Auf dem Dach einer Bushaltestelle schwenkte Arno Rainer in Barcelona gleichzeitig die Tiroler Fahne sowie die katalanische Fahne.

„Freiheit bekommt man nicht geschenkt“

Publiziert in 33 / 2014 - Erschienen am 24. September 2014
Arno Rainer bei „Diada“ in Barcelona Barcelona/Goldrain - ­Geschätzte 2 Millionen Menschen feierten am 11. September in Barcelona, der Hauptstadt Kataloniens, den Nationalfeiertag „Diada“. Es wurde des 11. September 1714 gedacht, als Barcelona seine Unabhängigkeit verlor. Auch eine Delegation der Arbeitsgruppe „iatz!“ war im Auftrag des Südtiroler Schützenbundes nach Barcelona gereist, darunter auch Arno Rainer, Hauptmann der Schützenkompanie Goldrain. der Vinschger: Herr Rainer, warum fährt ein Schütze aus Südtirol nach Katalonien, um beim dortigen Nationalfeiertag dabei zu sein? Arno Rainer: Uns Schützen ging es darum, den Katalanen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. So wie auch viele andere Gruppen aus ganz Europa, wollten wir unsere Solidarität und Unterstützung zum Ausdruck bringen. Außerdem geht es uns auch darum, die Südtiroler darauf aufmerksam zu machen, dass sich Europa derzeit im Umbruch befindet. Nicht nur Südtirol ist in einem fremden Staat gefangen. Welches sind die stärksten Eindrücke, die Sie bei der „Diada“ erlebten? Besonders beeindruckend waren die riesigen Menschenmassen. Da waren rund 2 Millionen Männer und Frauen, ältere Menschen und Kinder und überall katalanische Fahnen. Während der Hauptveranstaltung kletterte ich auf das Dach einer Bushaltestelle. Mit einer Hand hielt ich die Tiroler Fahne, mit der anderen schwenkte ich die katalanische. Tausende Menschen jubelten mir zu und riefen ihren Schlachtruf: „Volem votar!“ (Wir wollen wählen!). Das war schon beeindruckend; einfach unvergesslich! Warum wollen sich die Katalanen vom spanischen Staat verabschieden? Das hat vor allem historische Gründe. Sie fühlen sich nicht als Spanier. Die Katalanen sind ein eigenes Volk, mit eigener Sprache, Kultur und Geschichte. Besonders unter der Franco-Diktatur hatten sie bis in die 1970er Jahre schwer zu leiden. Orts- und Familiennamen wurden hispanisiert, die katalanische Sprache verboten und politische Gegner verfolgt, gefoltert und ermordet. Zudem gab es eine massive staatlich gesteuerte Zuwanderung von Spaniern. Aber auch heute noch fühlen sie sich von der spanischen Zentralregierung ungerecht behandelt, wirtschaftlich wie kulturell. Vor allem Politiker der SVP unter­streichen immer wieder, dass der Fall Katalonien nicht mit Südtirol vergleichbar ist. Sind Sie anderer Meinung? Natürlich kann man beide Situa­tionen nicht 1:1 gleichsetzen. Aber die Gemeinsamkeiten überwiegen deutlich. Ein großer Unterschied ist der, dass die Südtiroler Politiker in Rom immer wieder als demütige Bittsteller auftreten und sich mit leeren Versprechen abspeisen lassen. Die Katalanen hingegen stellen selbstbewusst Forderungen und zeigen keine Angst vor der spanischen Regierung. Können Sie sich tatsächlich vorstellen, dass Italien eines der schönsten und wirtschaftlich stärksten Gebiete in die Unabhängigkeit entlässt? Italien ist weder wirtschaftlich von Südtirol abhängig, noch braucht es unbedingt unsere schöne Landschaft. Die Italiener sind keine Unmenschen. Viele wissen, dass wir keine Italiener sind und haben Verständnis für unseren Wunsch nach Selbstbestimmung. Bei den restlichen muss eben noch Aufklärungsarbeit geleistet werden. Wenn eine Mehrheit der Südtiroler mit demokratischen Mitteln von Italien weg will, dann kann der Staat uns Südtiroler nicht ewig aufhalten. Keine Grenze hat ewig Bestand. Das zeigt uns die Geschichte. Wird den Menschen in Südtirol nicht etwas vorgegaukelt, wenn man die Hoffnung weckt, von Italien wegkommen zu können? Nein, das ist durchaus realistisch. Geschichte kann man nicht aufhalten. Denken wir doch an den Fall der Berliner Mauer und die ­deutsche Wiedervereinigung in den Jahren 1989/1990, die einvernehmliche Trennung von ­Tschechen und der Slowakei oder das Unabhängigkeitsreferendum in Montenegro im Jahr 2006. In den vergangenen 25 Jahren gab es zahlreiche Grenzverschiebungen in Europa. Über 100 Millionen Menschen hat das betroffen. Das ist auch bei uns möglich. Nur dürfen wir nicht erwarten, dass Italien herwärts kommt und uns bittet endlich zu gehen. Wir müssen unser Recht auf Selbstbestimmung schon selbst einfordern. Freiheit bekommt man nicht geschenkt. Aber mit viel Einsatz und Zusammenhalt kann es gelingen. Wie realistisch sind die Chancen, dass Spanien den Katalanen die Unabhängigkeit zugesteht? Wenn die Katalanen mit demselben Schwung weiterkämpfen wie bisher und nicht locker lassen, dann haben wir sehr bald einen neuen Staat in Europa. Spanien kann sich auf Dauer nicht gegen ein ganzes Volk durchsetzen. Weiß man in Barcelona, dass auch Südtirol in einem fremden Staat „gefangen“ ist? Wir Schützen haben bei der ­„Diada“ sehr viel Informationsmaterial über die Situation in Südtirol verteilt und auch unzählige Gespräche mit den Menschen geführt. Außerdem pflegen wir internationale Kontakte nach Schottland, Flandern und Katalonien. Südtirol ist sicher nicht so bekannt wie Schottland, aber es hat mich immer wieder erstaunt, wie viele Menschen unser Land und seine Geschichte kennen. Manche waren sogar beruflich oder auf Urlaub in Südtirol. Würden auch wir Südtiroler aktiv versuchen von Italien loszukommen, wäre auch unser Land in der europäischen Presse so stark vertreten wie derzeit Schottland und Katalonien. Dann wüssten noch mehr Leute über uns Bescheid. Von den Schützen wird oft gefordert, dass sie sich aus der Politik heraushalten sollten. Traten Sie in Barcelona als Privatperson auf oder als Schütze? Ich war als Schütze dort. Ich bin überzeugt, dass Demokratie davon lebt, dass Menschen sich aktiv in die Diskussion einbringen. Die wichtigen Zukunftsfragen dürfen nicht den Berufspolitikern alleine überlassen werden. Sie verfolgen allzu oft nur ihre persönlichen Interessen und wollen vor allem ihren gut bezahlten Posten ­sichern. Wir Schützen hingegen arbeiten ehrenamtlich. Wir haben unsere Standpunkte und vertreten diese auch öffentlich. Wir betreiben aber keine Parteipolitik, wie das leider andere Verbände und Organisationen immer wieder tun. Wir haben in unseren ­Reihen Mitglieder verschiedenster politischer Lager und das ist auch gut so, weil wir dadurch sehr breit aufgestellt sind. Was geschieht, wenn Spanien dem für den 9. November geplanten „Independència“-Referendum nicht zustimmt? Es gibt mehrere Möglichkeiten: Entweder das Referendum wird trotzdem gemacht oder es kommt zu vorgezogenen Neuwahlen und das neue katalanische Parlament ruft dann die Unabhängigkeit aus. Es könnte aber auch sein, dass Spanien weitreichende Zugeständnisse macht und Katalonien eine Art „Vollautonomie“ anbietet, so wie das Großbritannien kurz vor der schottischen Abstimmung gemacht hat. Auch dies wäre allemal eine deutliche Besserstellung gegenüber der heutigen Situation. Wie beurteilen Sie den Ausgang des Referendums in Schottland? 55,3 Prozent der Schotten stimmten für den Verbleib beim Vereinigten Königreich. Das Referendum war an sich schon etwas ganz Besonderes. Die Regierung des Zentral­staates hat sich nicht hinter billigen Ausreden und juristischen Spitzfindigkeiten versteckt, so wie das Spanien und Italien gerne tun. Es wurde klar gesagt, dass einzig der freie Wille der Bevölkerung zählt. Großbritannien ist hier ein Beispiel dafür, was Demokratie wirklich bedeutet. Zum Abstimmungsergebnis selbst: Das Ziel der Unabhängigkeit wurde zwar knapp verfehlt, aber als Sieger dürfen sich die Schotten trotzdem sehen. London muss nun seine Wahlversprechen einlösen. Die britische Regierung hat angekündigt, bis Ende Oktober ein Konzept für eine weitreichende Autonomie Schottlands vorzulegen. Das Referendum in Schottland hat Vorbildfunktion für ganz Europa. Auch für Südtirol. Interview: Sepp Laner * In der nächsten Ausgabe veröffentlichen wir ein Interview mit Bezirksmajor Peter ­Kaserer, der bei der Abstimmung in ­Schottland live dabei war.
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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