Christian Kreiß bei seinem Vortrag in Schlanders

„Gekaufte Wissenschaft“

Kreiß: „Wegen Mals kam ich nach Südtirol.“ Appell an die Politik.

Publiziert in 38 / 2017 - Erschienen am 7. November 2017

Schlanders - Interne Konzern-Studien dominieren europäische Zulassungsbehörden. Auch in Südtirol werde durch eine interessenbeeinflusste Informationslage die Diskussion zugunsten einer scheinbaren Harmlosigkeit von Pestiziden verzerrt, so Christian Kreiß, Professor an der Hochschule Aalen, der am 30. Oktober in Schlanders über „gekaufte Forschung“ referierte. „Wegen Mals bin ich nach Südtirol gekommen. Diese Initiative, eine pestizidfreie Gemeinde zu werden, sollte man unterstützten“, sagte Kreiß. Er ist Autor mehrerer Bücher, untersucht seit Jahren die Objektivität wissenschaftlicher Studien und verfolgt, inwieweit Geldgeber Einfluss auf die Wissenschaft nehmen. Die Beispiele, die er auswählte, deckten die Einflussnahme der Tabak- und Lebensmittelindustrie, von Pharma-Giganten und Pestizidherstellern auf öffentliche Gremien, Lehrstühle an Hochschulen und Zulassungsbehörden auf. Diesen kritischen Blick zu schärfen, war auch das Anliegen der Umweltschutzgruppe Vinschgau, wie die Vorsitzende Eva Prantl betonte. Ein genaues Hinschauen ermöglichte Kreiß dem Publikum, indem er darlegte, auf welche Art und Weise Studien so gestaltet werden können, dass sie die gewünschten Ergebnisse erzielen. Er berichtete von einem schier unerschöpflichen Arsenal an Gestaltungsmöglichkeiten in eine einseitige Richtung. Möglichkeiten wie z.B. ein Aussortieren von Probanden, die nicht ins Bild passen, Variieren von Laufzeit oder Dosis, Ablenkungskriterien einfügen oder Nebenwirkungen nicht nennen, seien in Studien beliebte Methoden, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen.Rund 90% aller Studien, die für die Zulassungen von Pharmaprodukten relevant seien, stammten laut Kreiß aus einseitigen, industriegesponserten Studien. Gerade im Impfbereich seien die Beispiele erschütternd deutlich zu sehen: Die im Robert-Koch-Institut in Berlin eingerichtete ständige Impfkommission (STIKO), die für Deutschland die Impfstandards festlegt, bestünde zum Großteil aus industrienahen Fachleuten. Das Ergebnis sei ein enormer Anstieg von Impfungen seit den 1970er Jahren. Auch das Beispiel Glyphosat wurde beleuchtet. Nachdem die Einschätzung der unabhängigen und renommierten Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) veröffentlicht wurde, wonach es sich bei Glyphosat um ein möglicherweise krebserregendes Mittel handle, sei eine wahre Flut von konzerngesteuerten, interessengeleiteten Studien über die Debatte hereingebrochen, die Glyphosat als nicht krebserregend darstellten. Sämtliche Institutionen, die Einfluss auf die Zulassungen haben, stuften Glyphosat daraufhin weiterhin als unbedenklich ein. Für Kreiß ein Skandal: „Die große Masse der den Zulassungen zugrundeliegenden Untersuchungen in Europa und den USA basiert auf unveröffentlichten, internen, interessengeleiteten Konzernstudien, die lediglich den isolierten Wirkstoff und nicht den real auf die Felder ausgebrachten Chemiecocktail untersuchten“.

Gefährliche Cocktails

Die Cocktails der Mittel seien jedoch sehr viel gesundheitsschädlicher als der isolierte Wirkstoff von Glyphosat. Außerdem flössen lediglich die Kriterien „krebserregend“ und „genschädigend“ in Zulassungen ein, Allergien erwirkende oder nervenschädigende Substanzen spielten keine Rolle. Die von Markus Lobis moderierte Diskussion zeigte deutlich: Der Mangel an Ethik und seine direkten Auswirkungen auf die Allgemeinheit hatte das Publikum, zu dem auch Michael Oberhuber, Direktor des Versuchszentrums Laimburg, und Bauernbund-Bezirksobmann Raimund Prugger gehörten, teilweise erschüttert. Auch die Studie von Lino Wegher, die einen Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und intensiven Obstbaugebieten verneinte, stand im Kreuzfeuer der Kritik: Sie solle, so Kreiß, wegen gravierender methodischer wissenschaftlicher Mängel, auf die die italienische Onkologin Patrizia Gentilini hinwies, nicht berücksichtigt werden. Kreiß kam während seines Aufenthaltes im Vinschgau zu einem Fazit: „Ich appelliere an die Politiker, insbesondere an Herrn Arnold Schuler, darauf hinzuwirken, den Pestizideinsatz zu Gunsten der Gesundheit der Bevölkerung und insbesondere zu Gunsten der direkt exponierten Landwirte so schnell wie möglich und so stark wie möglich zu reduzieren“.

Redaktion

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