Im Bild (v.l.): Jürgen Wirth Anderlan, Myriam Atz Tammerle, Herwig van Staa, Moderator Eberhard Daum, Sepp Noggler, Brigitte Foppa und Alex Ploner
Jürgen Wirth Anderlan
Myriam Atz Tammerle
Herwig van Staa
Sepp Noggler
Brigitte Foppa
Alex Ploner
Alfred Theiner

Geteiltes Land

Wie kann Tirol wieder zusammenfinden?

Publiziert in 36 / 2019 - Erschienen am 22. Oktober 2019

Prad - Vor den Fahnen der EU und von Tirol wurden am 18. Oktober im Nationalparkhaus in Prad Antworten auf die Frage gesucht, wie Tirol nach der Trennung vor 100 Jahren wieder zusammenfinden kann. Zur vierten „Podiumsdiskussion dieser Art“ konnte der Prader Schützenhauptmann Alfred Theiner 6 Gäste am Podium und rund 100 interessierte Zuhörer begrüßen. Zur Frage von Moderator Eberhard Daum, wie weit wir denn tatsächlich getrennt sind, sagte der ehemalige Tiroler Landeshauptmann Herwig van Staa: „Wir sind es soweit, insofern wird nicht bereit sind, die Gemeinsamkeiten zu leben.“ Mit der Gründung und späteren Institutionalisierung der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino in Form eines Europäischen Verbundes territorialer Zusammenarbeit (EVTZ) sei der rechtliche Rahmen geschaffen worden, „um die Tiroler Einheit zu fördern.“ Laut Myriam Atz Tammerle, Landtagsabgeordnete der Süd-Tiroler Freiheit, seien die Grenzen zwar durchlässiger geworden, „aber noch nicht überwunden.“ Es gebe zwar positive Beispiele der Zusammenarbeit, aber zu tun sei noch viel, die Grenze sei noch immer spürbar: „Vieles klingt gut, aber oft sind es nur schöne Worte mit wenig Inhalt.“ Landtagspräsident Sepp Noggler (SVP) widersprach: „Es wurde und wird sehr viel getan. Von den 213 Beschlüssen, die von den Dreierlandtagen seit 1991 gefasst wurden, sind nur 15 nicht umgesetzt worden.“ Noggler verwies auch auf grenzüberschreitende Projekte, zum Beispiel zwischen Vinschger Gemeinden und Gemeinden des Oberen Gerichts. Nach Ansicht von Brigitte Foppa, Landtagsabgeordnete der Grünen, sind die Grenzen im Gegensatz zu früheren Zeiten durchlässiger geworden. Es sei an der Zeit, nicht mehr in Abgrenzungskategorien zu denken, „sondern grenzüberschreitend Probleme und Themen anzugehen, die wir in unserem zerbrechlichen, sensiblen und stark belasteten Alpenraum gemeinsam haben.“ Foppa nannte den Transitverkehr, die Umwelt, den Klimaschutz und die touristische Belastung. Alex Ploner, Landtagsabgeordneter des Team Köllensperger, sieht in der Schiene der menschlichen Beziehungen die beste Möglichkeit dafür, dass Süd-, Nord- und Osttirol wieder stärker zusammenfinden: „Wenn zum Beispiel die Schützen zu einem großen Treffen einladen, kommen Menschen aus allen historischen Tiroler Landesteilen zusammen.“ Dass man historisches Unrecht nicht vergessen darf und soll, stehe außer Frage. Den besten Weg der Wiedergutmachung sieht Ploner in Europa, im Aufbau und der Pflege von Beziehungen, in der Kultur: „Die jungen Menschen von heute denken in größeren Zusammenhängen und das ist gut so.“ Es sei wichtig, „über die Vergangenheit Bescheid zu wissen, aber der Blick muss nach vorne gerichtet werden.“ Die Schützen seien keine Ewiggestrigen, meinte Jürgen Wirth Anderlan, der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes. In der Autonomie sieht er nur eine Übergangslösung, „in unseren Augen muss nach 100 Jahren Zwangsehe und Fremdherrschaft die Selbstbestimmung das Ziel sein.“ Wenn die Brennergrenze schon durchlässiger geworden sei, „könnte man sie dann nicht in Richtung Süden verschieben?“ Die Bevölkerung in Südtirol solle selbst darüber abstimmen dürfen, was sie will. Wichtig sei, vom Staat Italien weg zu kommen. „Wir hatten noch nie eine so stark abgesicherte Autonomie wie heute“, sagte hingegen Noggler. Es gelte, weitere primäre Zuständigkeiten zu erhalten „und irgendwann werden wir ein Staat im Staat sein. Das jedenfalls ist unsere Art, Politik für Südtirol zu machen.“ Es sei fraglich, ob die Mehrheit der Bevölkerung im Falle einer Abstimmung auf die Autonomie verzichtet. Laut van Staa sei die Selbstbestimmung ein wichtiger Wert, „aber wo beginnt sie und wo hört sie auf?“ Theoretisch sei alles möglich und man dürfe auch träumen, doch die einzige realistische Alternative sehe er in der Stärkung der Europaregion, in mehr Regionalismus und mehr Föderalismus, wobei der Alpenraum im Mittelpunkt stehen sollte: „Wir müssen gemeinsam in der Welt als Europaregion auftreten.“ Auf die abschließende Frage, was sie tun würden, damit die Tiroler Landesteile wieder enger zusammenfinden, fielen die Antworten unterschiedlich aus. Foppa würde zunächst eine permanente Alpenschutzkonferenz ins Leben rufen. Atz Tammerle würde sich dafür einsetzen, grenzüberschreitende Projekte mit Leben zu füllen und gemeinsame Strukturen zu schaffen. Die Europaregion müsse von der Basis heraus leben. Wirth Anderlan kann sich z. B. eine gemeinsame Fußball-Liga vorstellen und die Umsetzung weiterer gemeinsamer Großprojekte. Für Noggler ist es wichtig, in Richtung einer gesellschaftlichen Einheit zu arbeiten. Es solle auch das Positive gesehen werden, das bisher geschaffen wurde. Leider werde vielfach nur das Negative herausgestrichen. Ploner rief dazu auf, „junge, kreative Leute arbeiten zu lassen.“ Gutes könne nur wachsen, wenn es von der Bevölkerung gewollt und gelebt wird. Das Vereinende sollte immer vor dem Trennenden stehen. Die Europaregion ist für van Staa eine große Chance: „Klagen wir doch nicht immer über die Defizite und die Unterschiede, sondern nutzen wir die institutionellen und persönlichen Möglichkeiten, um noch enger zusammen zu finden.“ Bei der Diskussion wurde unter anderem die Frage in den Raum geworfen, was geschehen würde, wenn sich die Mehrheit der Bevölkerung im Falle einer Abstimmung für den Verbleib bei Italien aussprechen würde. Es wurden auch Stimmen laut, wonach Südtirol „von diesem Staat zu trennen ist.“ Auch die kürzlich aufgeflammte Diskussion rund um den Begriff „Alto Adige“, die Proteste nach den Urteilen gegen die katalanischen Separatistenführer und weitere Themen wurden aufs Tapet gebracht.  Ein Diskussionsteilnehmer meinte, dass das Thema Grenzen und Einschränkungen überhaupt vergessen werden sollte. Europa sei ein Friedensprojekt. Das sollte man nie aus den Augen verlieren. Unterstützt und mitgetragen hat die Podiumsdiskussion der Südtiroler Schützenbund, bei dem sich Alfred Theiner bedankte.

Josef Laner
Josef Laner

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