Diese zwei Maremmen-Abruzzen-Schäferhunde verbrachten den Sommer 2020 auf der Soy-Alm in Martell. Während der Weidesaison 2021 sollen sie als Herdenschutzhunde eingesetzt werden.
Julia Stauder: „Im Moment sind Herdenschutzmaßnahmen die einzige Alternative, die Viehbauern haben.“
Max Rossberg (European Wilderness Society) bei einer Info-Veranstaltung im Dezember 2019 in Tschengls.

Herdenschutz im Fokus

Erste mehrsprachige alpine Herdenschutzkonferenz im Rahmen von LIFEstockProtect

Publiziert in 7-8 / 2021 - Erschienen am 4. März 2021

Vinschgau - Seit der vermehrten Ausbreitung des Wolfes in den Alpenländern rückt das Thema Herdenschutz immer stärker in den Brennpunkt. Im September 2020 ist das auf 5 Jahre ausgelegte Projekt LIFEstockProtect angelaufen. Es handelt sich um ein Projekt von, für und mit landwirtschaftlichen Organisationen zur Schulung und Ausbildung sowie Erprobung und Umsetzung wirksamer Herdenschutzmaßnahmen im deutschsprachigen Alpenraum, und zwar von Flachlandweiden bis hinauf zu Hochalmen. Mitfinanziert wird das Projekt von der EU. Ende Jänner 2021 hat die erste alpine Herdenschutzkonferenz stattgefunden. Rund 500 Interessierte hatten sich online zugeschaltet. Im Anschluss an die Projektvorstellung seitens der insgesamt 17 Partner berichteten Nutztierbesitzer aus Österreich, Südtirol und Bayern über ihre Erfahrungen mit Herdenschutz. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet: bestehende oder mögliche Herdenschutzmaßnahmen werden analysiert und erprobt und die Ergebnisse werden allen landwirtschaftlichen Betrieben zugänglich gemacht. Das Ausbildungsprogramm konzentriert sich auf den Herdenschutz von Schafen und Ziegen, aber auch von Pferden, Schweinen, Geflügel und Rindern. In den nächsten 5 Jahren sollen über 1.000 Landwirte, Herdenschutzberater und Hirten aus- und weitergebildet werden. Auch 20 Herdenschutzkompetenzzentren sollen entstehen. Die flächendeckenden Ausbildungskurse sollen im Herbst 2021 beginnen. Wie der Project-Leader Otto Gasselich (BIO AUSTRIA) bei der Konferenz unterstrich, bestätigen alle Experten, dass die Anzahl der Wölfe in Österreich zunehmen werde und sich die Landwirte darauf einstellen müssten. BIO AUSTRIA Niederösterreich und Wien werde sich diesen Herausforderungen stellen und gemeinsam mit der European Wilderness Society Info-Veranstaltungen und weitere Initiative ins Leben rufen. Laut Max Rossberg (Project Management und European Wilderness Society) ist es höchst an der Zeit, Herdenschutz und Herdenmanagement ernst zu nehmen. Dass die Präsenz von Wölfen professionelle Weidehaltung brauche, hatte Rossberg bereits bei einer Informations- und Diskussionsveranstaltung unterstrichen, die im Dezember 2019 in Tschengls stattgefunden hatte. Thomas Schranz aus Tirol sagte bei der Konferenz: „Ich habe mich für die Präventionsmaßnahmen entschlossen, weil ich das Möglichste tun muss, um meine Tiere zu schützen. Ich kann mir kein Risiko leisten.“ Für Beate Rutkowski (Vorstandsmitglied BUND Naturschutz in Bayern) ist der nun notwendige Herdenschutz eine große Herausforderung für die Weidetierhalter: „Mit diesem praxisorientierten Projekt wollen wir Projektpartner sie auf dem schwierigen, aber wichtigen Weg eines umsetzbaren Herdenschutzes unterstützen.“ Aus Südtirol war u.a. Julia Stauder von Eurac research zugeschaltet.

der Vinschger: Frau Stauder, welche Aufgabe hat Eurac Südtirol im Rahmen von LIFEstockProtect übernommen?

Julia Stauder: Eurac koordiniert die Umsetzung aller Aktionen in Südtirol. 2021 wird der Fokus auf dem Aufbau der ersten Kompetenzzentren und der Abhaltung der ersten Kurse für Viehbauern und Hirten liegen. Die Zentren dienen als Anlaufstelle für Viehbauern und Interessierte, wo sie Informationen und praktische Anwendung von Herdenschutz kennenlernen sollen.

Was dürfen sich speziell die Hirten und Almbewirtschafter von diesem Projekt erwarten?

Im Moment arbeiten wir bereits an der Ausarbeitung von Kursen für Hirten, Viehbauern und Interessierten. Speziell beim Kurs für Hirten soll aber nicht nur das Thema Herdenschutz abgedeckt werden, sondern auch die Tiergesundheit, Weideführung und das Arbeiten mit Hunden behandelt werden. Ziel ist es, den Beruf des Hirten wieder stärker zu fördern und eine Berufsanerkennung in Südtirol zu erzielen. Zudem wird im Rahmen des Projektes ein Netz an Freiwilligen aufgebaut, die Almbewirtschaftern und Hirten bei ihrer täglichen Arbeit begleiten sollen. Dies soll ein Angebot sein, für den zusätzlichen Aufwand durch Herdenschutzmaßnahmen eine Unterstützung zu erhalten. In der Lombardei wird dieses Konzept im Projekt „Pasturs“ bereits seit Jahren erfolgreich umgesetzt. Besonders junge Leute begeistern sich dafür und lernen so aber auch die Herausforderungen kennen, denen sich ein Viehbauer und Hirten stellen müssen.

Gibt es eine Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Bauernbund?

Erste Gespräche mit dem Bauernbund finden in Kürze statt und wir sind sehr an einer Zusammenarbeit interessiert.

Bei der Konferenz wurde immer wieder unterstrichen, dass Herdenschutzmaßnahmen die derzeit einzigen Alternativen sind, um Schafe, Ziegen und andere Nutztiere vor dem Wolf zu schützen. Sehen Sie das auch so?

Ja, so schwierig diese Umstellung auch sein mag, aber im Moment sind Herdenschutzmaßnahmen die einzige Alternative, die Viehbauern haben.

Der Verband der Kleintierzüchter hält von Herdenschutz wenig und fordert drastischere Maßnahmen, so vor allem die Möglichkeit, Wölfe zu entnehmen? Ist das reines Wunschdenken?

Die rechtliche Grundlage auf europäischer Ebene ist eindeutig. Der Wolf ist eine streng geschützte Tierart und Einzeltiere dürfen nur in Ausnahmefällen entnommen werden. Eine flächendeckende Bejagung des Wolfes ist derzeit rechtlich nicht möglich und die Entnahme von Einzelwölfen langfristig nicht effektiv, da neue Individuen nachrücken und versprengte Rudel mehr Schäden anrichten können. 

Wie kann Herdenschutz konkret funktionieren, wenn es aufgrund des Geländes de facto unmöglich ist, Weidegebiete einzuzäunen?

Herdenschutz im alpinen Bereich ist eine große Herausforderung und auf gewissen Flächen auch schwer umsetzbar. Dies muss offen gesagt werden. Das Einzäunen von ganzen Weidegebieten ist oft nicht möglich, vielmehr sollte der Fokus auf der Begleitung der Tiere mit einem kompetenten Hirten mit Hütehunden liegen. Kleine Herden zusammenlegen und Nachtpferche errichten sind Möglichkeiten, die Tiere zu schützen. Herdenschutzhunde werden in vielen Gebieten Europas wieder eingesetzt, in der Schweiz sind derzeit über 250 Hunde im Einsatz, rund 90% der Schäden an Nutztieren in der Schweiz entstehen auf Weiden ohne Herdenschutzhunde. Die Haltung, die Finanzierung und der Umgang mit diesen Hunden ist bei uns noch nicht geregelt, was es interessierten Viehbauern erschwert, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. An diesem Thema wollen wir auch vermehrt arbeiten, wobei auch Herausforderungen in Wandergebieten nicht außer Acht gelassen werden. Generell ist zu sagen, dass Herdenschutz für die kleinstrukturierte Berglandwirtschaft gute Planung und Organisation erfordert, da jede Alm mit ihren Eigenheiten einzeln behandelt werden muss. Die Rolle des Hirten in diesem Systemwandel ist dabei zentral, daher müssen wir wieder mehr Bewusstsein entwickeln für die Bedeutung dieses Berufes, sei es für den Herdenschutz als auch für die Landschaftspflege, das Aufwerten einer Planung im Sinn von Weidemanagement und das Tierwohl. Dazu gehört auch die offizielle Anerkennung dieses Berufes in Südtirol.

Werden die Kosten eventueller Herdenschutzmaßnahmen von der öffentlichen Hand übernommen? 

Im Rahmen unseres Projektes werden keine Zäune oder Hunde finanziert, sondern wir konzentrieren uns auf die Ausbildung und Wissensvermittlung zum Thema Herdenschutz. Die finanzielle Unterstützung von Herdenschutzmaßnahmen obliegt den zuständigen Landesämtern. Dort können Interessierte Beiträge für Elektrozäune anfragen.

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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