Seit 3 Jahren gibt es in Wien das Projekt „TheaterFlucht Österreich“; Foto: Amina Lehner

„Immer noch einmal um die Ecke denken“

Publiziert in 36 / 2015 - Erschienen am 14. Oktober 2015
Die gebürtige Schlanderserin Susanna Sulig, Mitbegründerin von „TheaterFlucht Österreich“, spricht über Flüchtlinge, Fehler im System und darüber, warum „Gutmensch“ kein Schimpfwort sein kann. der Vinschger: Frau Susanna Sulig, Sie haben von 2006 bis 2012 das Diplomstudium der Kultur- und Sozialanthropologie absolviert, und zwar mit Spezialisierungen im Bereich Migration und Bildung sowie Menschenrechte und Rechte indigener Völker. Was hat Sie veranlasst, ihre Heimat Schlanders zu verlassen, sich in Wien niederzulassen und dieses Studium anzugehen? Susanna Sulig: Schlanders und Südtirol habe ich noch vor meinem Studium in Wien verlassen. Meine Eltern sind 2003 aus beruflichen Gründen nach Berlin gezogen und so habe ich meine letzten Schuljahre in der deutschen Hauptstadt verbracht. Wien habe ich bei einem Urlaub mit der Familie kurz vor meinem Abitur kennen gelernt und irgendwie stand für mich sehr schnell fest: nächste Station, Wien! Warum Kultur- und Sozialanthropologie? Menschen als soziale und kulturelle Wesen haben mich schon immer fasziniert. Ich bin bis heute sehr froh über mein Studium, da es mich gelehrt hat, immer noch ein Mal um die Ecke zu denken, noch ein Mal nachzufragen, nichts als sicher und gegeben anzunehmen. Es hat mich das ständige Hinterfragen gelehrt, könnte man sagen. Sie sind Gründungsmitglied von „TheaterFlucht Österreich“. Seit wann gibt es dieses Projekt und was soll damit erreicht werden? Susanna Sulig: „TheaterFlucht“ stammt ja ursprünglich aus der Schweiz, wo es das Projekt bereits seit 2009 gibt. Seinen Anfang nahm „TheaterFlucht“ in Zürich, mittlerweile werden Projekte in der gesamten Schweiz angeboten, was ich sehr schön finde. 2010 und 2011 habe ich bei „TheaterFlucht“-Projekten in Bern mitgemacht und war begeistert. Ganz schnell kam da der Gedanke: das brauchen wir in Wien! Gemeinsam mit meinen Studienkolleginnen Christina Rauchbauer und Claudia Wühler haben wir in Absprache mit den Trägern des Projektes in der Schweiz 2012 „TheaterFlucht Österreich“ gegründet und auch zum ersten Mal durchgeführt. Die Idee hinter dem Projekt ist einfach: wir wollen, dass junge Menschen, die auf der Flucht sind, mit jungen Menschen aus Österreich in einem außerschulischen Rahmen zusammen kommen. Vorurteile und Vorbehalte verschwinden schnell, wenn es Möglichkeiten und Räume gibt, in denen sich Menschen begegnen und austauschen können. Zudem ist es uns ein Anliegen, Kindern und Jugendlichen im Asylverfahren die Beteiligung am kulturellen Leben der Gesellschaft zu ermöglichen und einen Rahmen zu schaffen, in dem sie, zumindest für kurze Zeit, losgelöst von der Zuschreibung „Flüchtling“, spielen und einfach nur Kind sein können. Wie kann man sich die Projektarbeit konkret vorstellen? Susanna Sulig: Die Förderlage ermöglicht es momentan leider nicht, „TheaterFlucht Österreich“ ganzjährig anzubieten, auch wenn wir es uns wünschen würden. Daher konzentrieren wir uns aktuell auf zwei intensive Wochen im Sommer. In diesen zwei Wochen nehmen bis zu 30 Kinder und Jugendliche aus Österreich und im Asylverfahren am Projekt teil. Theaterimprovisation, Tanz, Gesang und kreative Angebote bestimmen das Programm. Täglich wird von 10 bis 17 Uhr gemeinsam getanzt, improvisiert, gespielt und an einer Aufführung gearbeitet, die am Ende der beiden gemeinsamen Wochen Eltern, Freunden und Freundinnen, Bekannten und Interessierten präsentiert wird. Wir haben aber auch sogenannte freie Nachmittage, an welchen es keine Theater- oder Tanzeinheiten gibt und wir mit den Kindern in den Park gehen, einfach nur spielen. Begleitet werden die Kinder und Jugendlichen in den beiden Wochen von 4 Theater- und Tanzpädagoginnen und ganz vielen freiwilligen Helfern und Helferinnen. Ohne all die Menschen, die uns unentgeltlich unterstützen, wäre so ein Projekt niemals möglich. Daher möchte ich auch an dieser Stelle all jenen Menschen danken, die uns in den drei Jahren geholfen haben und „TheaterFlucht Österreich“ möglich gemacht haben! Welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht? Susanna Sulig: Unendlich viele! Und wunderschöne! Wenngleich es natürlich immer auch Herausforderungen gibt. Wir sind ja ohne Erfahrungen ins kalte Wasser gesprungen, als wir „TheaterFlucht Österreich“ ins Leben gerufen haben. Vor allem im ersten Jahr haben wir viel gelernt und waren emotional persönlich auch herausgefordert. Ich denke, jede Person, die Teil des Projektes ist, ist damit konfrontiert einen Weg zu finden, mit der Tatsache umzugehen, dass manche dieser Kinder, die man kennen lernt und ins Herz schließt, kein Asyl bekommen werden. Manchmal erzählen die Kinder auch von ihrer Flucht oder Erlebnissen auf dieser. Wie reagiert man darauf? Was machen diese Erzählungen mit einem? Das kann emotional schon an die Substanz gehen. Aber es gibt auch schöne Momente? Susanna Sulig: Ja, sehr viele. All die schönen Momente die man als Teil eines solchen Projektes erlebt, geben so viel Mut und Zuversicht und Kraft. Kinder und junge Menschen sind unglaublich offen und begegnen sich ganz anders als Erwachsene. Unterschiede werden einfach angesprochen. Nicht beleidigend, nicht wertend, sondern interessiert. So haben wir zum Beispiel erlebt, dass ein Kind aus Österreich ein Mädchen mit einem Kopftuch nach der Tanzstunde gerade heraus gefragt hat: „Ist dir nicht unglaublich heiß?“. Die Antwort war ein ja und die Folge ein Gespräch über die Frage, warum sie das Kopftuch dann anhabe beziehungsweise aus welchen Gründen sie es trage. Das ist doch wünschenswert, oder? Dass Menschen nachfragen, sich austauschen, versuchen sich zu verstehen. Ganz oft erleben wir im Projekt aber auch, dass die Kinder und Jugendlichen gar keine Unterschiede sehen oder machen oder sie als nicht bedeutend werten. Das ist für mich persönlich eine der schönsten Erfahrungen. Dass junge Menschen da noch viel freier sind als Erwachsene. Gemeinsames Spiel, gemeinsames Tanzen und gemeinsames Tun sind viel wichtiger als Herkunft, Hautfarbe, Essgewohnheiten oder Sprache. Ich glaube, dass das auch für die Zuschauer/innen bei der Abschlusspräsentation zu spüren ist: dass da einfach Kinder gemeinsam auf der Bühne stehen und Spaß haben und stolz darauf sind, was sie gemeinsam geschafft haben. Die Aufführung ist immer ein ganz besonderer Moment für alle! In Mals leben seit wenigen Wochen 40 Asylbewerber. Sie müssen jetzt monatelang zuwarten, bis ihre Asylverfahren abgewickelt sind. Diese Verfahren dauern in Italien bis zu 15 und mehr Monate. Könnten Sie sich ein Projekt „TheaterFlucht Südtirol“ vorstellen? Insgesamt leben in Südtirol derzeit rund 800 Flüchtlinge. Susanna Sulig: Auf jeden Fall! Ich denke es ist überflüssig anzumerken, dass der Zustand des Wartens zermürbend ist. Man muss sich vor Augen halten, dass diese Menschen darauf warten, dass Instanzen über ihr Leben entscheiden. Darüber, ob und wenn ja wie lange sie in Italien, oder Österreich, oder wo immer in Europa sie um Asyl ansuchen, bleiben dürfen und ob sie sich ein neues Leben aufbauen können. Das ist ja schon in der Vorstellung kaum auszuhalten. Hinzu kommt, dass Asylsuchende in dieser Zeit zum Nichtstun „verdammt“ sind. Ich denke, jede Initiative, die versucht, Asylsuchende am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen, sie einzubinden, ihnen Möglichkeiten zu geben, sich mit anderen Menschen zu treffen und etwas zu tun ist zu begrüßen. Das kann ein Projekt „TheaterFlucht Südtirol“ sein, aber auch eine wöchentliche Sport- oder Fußballgruppe, Spielgruppen, Kochgruppen usw. Freunde von mir betreiben den Verein KAMA. Dort bieten Asylwerbende unterschiedlichste Kurse an. Das finde ich eine sehr schöne Idee. Dass Asylsuchende in diesem Kontext nicht etwas „bekommen“, sondern geben können. Es gibt unzählige Möglichkeiten, Menschen im Asylverfahren einzubinden. Man muss nur wollen und dann tun! Wenn man mit Flüchtlingen ein paar Worte wechselt, wird einem alsbald klar, dass sie möglichst bald einer regulären Arbeit nachgehen wollen. In Italien dürfen Asylbewerber während der ersten 6 Monate nicht arbeiten. Ist das in Österreich anders? Susanna Sulig: Theoretisch haben laut Ausländerbeschäftigungsgesetz Personen, die seit drei Monaten zum Asylverfahren zugelassen sind, Zugang zum Arbeitsmarkt. Praktisch sieht die Situation anders aus und Menschen im Asylverfahren haben eigentlich keine oder kaum eine Möglichkeit, Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. Das hängt u.a. mit den Regeln bezüglich der Erteilung der Beschäftigungsbewilligung zusammen. 2004 wurde die Erteilung von Bewilligungen durch den Bartenstein-Erlass auf Saisonarbeit beschränkt. Die Chance, eine Bewilligung zu erhalten geht also gegen Null. In Ländern wie in Österreich, wo Asylverfahren mehrere Jahre in Anspruch nehmen können, ist eine solche Situation nicht nur aus menschenrechtlicher Sicht bedenklich. Die Verweigerung, Menschen die Möglichkeit zu geben, während des Asylverfahrens zu arbeiten, erschwert auch die viel geforderte Integration nach Zuerkennung von Asyl. Zuerst werden die Menschen während des Verfahrens jahrelang zum Warten und Nichtstun gezwungen. Erhalten sie Asyl, sollen sie aus dem Nichts Wohnung und Arbeit finden und sich problem- und nahtlos integrieren. Dass das nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand. Der Fehler liegt aber eben nicht bei den Menschen, sondern im System. Die Freiheitlichen haben bei den jüngsten Wahlen in Oberösterreich kräftig zugelegt. Hängt das direkt mit den aktuellen Flüchtlingsströmen zusammen? Susanna Sulig: Das ist eine viel diskutierte Frage. Ich glaube, dass die mediale Angstmache über die Flüchtlinge, die in Europa Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen, rechtskonservativen Parteien zum Teil in die Hände spielt. Diese Parteien wissen die Angst und Unsicherheit mancher Bürger/innen angesichts der sich verändernden Situationen in Europa für sich zu nutzen. Klare, ehrliche Aussagen, Vorschläge und Antworten anderer Parteien zum Thema Flüchtlinge und der Frage, wie Europa damit umgehen will, sind zu lange ausgeblieben. Bei uns gibt es rechtsgerichtete Landespolitiker, die all jene, die sich für Flüchtlinge einsetzen, als „Gutmenschen“ zu bezeichnen. Ist „Gutmensch“ auch in Österreich zu einer Art Schimpfwort geworden? Susanna Sulig: Die FPÖ Niederösterreich hat kürzlich eine „Gutmenschen-Steuer“ gefordert. Der Klubchef der FPÖ Niederösterreich argumentierte, dass jene Menschen, die sich für die Aufnahme von Flüchtlingen in Österreich über die Quote hinaus einsetzen, auch für die Asylwerber/innen zahlen sollen. „Gutmensch“ ist in Teilen der Bevölkerung sicher zu einem negativen Begriff geworden, der gerne auch mal als Schimpfwort eingesetzt wird. Nimmt man den Begriff aber auseinander, bedeutet er nicht mehr als „ein guter Mensch“. Kann das ein Schimpfwort sein? Ich denke, Parteien und Menschen, die diesen Begriff als Schimpfwort einsetzen, demaskieren damit ihre seltsame Logik. Sie sind ziemlich oft unterwegs, auch im Ausland. Haben Sie im Sinn, irgendwann in den Vinschgau zurückzukehren? Susanna Sulig: Das ist schwer zu beantworten. Ich liebe Wien und grundsätzlich das Gefühl, in einer Stadt zu leben. Aber wer weiß, vielleicht ziehe ich in 20 oder 30 Jahren die Überschaubarkeit des Dorfes und die Ruhe des Tales dem Leben in der Stadt vor? Interview: Sepp Laner
Josef Laner
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Vinschger Sonderausgabe

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