„In Zukunft absolut dicht“
Mit der Einführung von Kunststoffrohren in den Druckstollen will Alperia die Wasseraustritte in den Griff bekommen. Viele Fragen und Zweifel bei Bürgerversammlung aufgeworfen.
St. Valentin a.d.H. - Wirtschaftliche Einbußen, Schäden in Kellern und an Gebäuden, Ängste, Pumpen- und Baulärm. „Vor allem für die direkt Betroffenen waren die Wochen und Monate nach den ersten Wasseraustritten Ende Juli unerträglich“, schickte Bürgermeister Franz Prieth voraus, als er am 12. Oktober viele Bürgerinnen und Bürger aus St. Valentin auf der Haide zu einer Informationsversammlung begrüßen konnte. „Ein ganzer Dorfteil war im August eine Baustelle“, so Prieth, der sich ausdrücklich für die Geduld bedankte, mit der selbst die direkt Betroffenen die untragbare Situation „hingenommen“ haben. „Jetzt steht uns zwar noch eine weitere große Baustelle ins Haus, aber wir hoffen, das Problem endgültig an der Wurzel packen zu können“, so der Bürgermeister. Was genau geplant ist, schilderte Andreas Bordonetti, der Technische Direktor von Alperia Greenpower, der zusammen mit den leitenden Mitarbeitern Alessandro Olivotto und Daniele Faggin nach St. Valentin gekommen war.
„Weder Löcher noch Risse“
Das Ziel der von Alperia geplanten Maßnahme ist es laut Bordonetti, „Planungssicherheit für die weitere Dorfentwicklung zu bieten.“ Zur heutigen Situation schickte er voraus, dass der Betonstollen, der das Dorf unterquert und der einen Innendurchmesser von 3 Metern und eine Wandstärke von einem Meter hat, nicht beschädigt ist. Das habe auch die jüngste Inspektion vom Februar 2021 ergeben. Es seien weder Löcher noch Risse festgestellt worden. „Beton ist von seiner Natur her nicht vollständig wasserundurchlässig. Jeder Betonstollen verliert ein bisschen Wasser. Der Stollen hier in St. Valentin ist allerdings der einzige in Südtirol, der ein Dorf unterquert“. Als er vor ca. 70 Jahren gebaut wurde, habe es im Umkreis des Stollens fast keine Gebäude oder Infrastrukturen gegeben.
Glasfaserverstärkte Kunststoffrohre
Mit dem jetzt geplanten Bauvorhaben werde eine „total wasserdichte Situation realisiert.“ Vorgesehen ist die Einführung glasfaserverstärkter Kunststoffrohre in den bestehenden Betonstollen, und zwar auf einer Länge von ca. einem Kilometer. Die ersten Arbeiten sollen Anfang November beginnen. In 4 Monaten soll der Eingriff abgeschlossen sein. Der Druckstollen wird unmittelbar nach der Rohrbrücke („Ponte Canale“) geöffnet, wo auch die Baustelle eingerichtet wird. Vorgesehen ist ein Lagerplatz für die Rohre, ein Container für die Büros und ein Platz für die Baumaschinen. Die Rohre werden mit einem Kranwagen vom Lagerplatz zur Baustelle gebracht und dann mit einem eigenen Kompaktlader Stück für Stück in den Druckstollen eingeführt. „Der Stollen wird mit dieser Maßnahme absolut dicht“, sagte Bordonetti. Theoretisch könnten Kunststoffrohre dieser Art auch im freien Erdreich verlegt werden. Der Hohlraum zwischen dem Stollen und den Rohren wird mit einer speziellen Betonmischung gefüllt. Dank der Baumaßnahme, für die Alperia rund 8 Millionen Euro in die Hand nehme, „kann der äußere Einfluss von Faktoren wie Bauarbeiten und Straßenverkehr verringert werden, sagte Bordonetti.
Viele Fragen und Zweifel
Bei der Diskussion wurden u.a. viele Fragen zum Thema Sicherheit aufgeworfen: Wie sicher ist der Staudamm tatsächlich? Was geschieht in Notfallsituationen? Können die Schleusen bei Bedarf schnell geschlossen werden? Wie sieht es mit Wasseraustritten im Bereich weiterer Stollen-Abschnitte aus? Warum muss man monatelang zuwarten, um den Pegel zu senken? Gibt es überhaupt einen Gefahrenplan? Andreas Bordonetti wies darauf hin, dass nicht nur die nationale Staudammbehörde alle 6 Monate Kontrollen durchführe, sondern auch das Landesamt für Hydrologie und Stauanlagen. Die Schleusen an der Wasserfassung seien schließbar, „sämtliche Ablassorgane sind intakt.“ In den vergangenen 10 Jahren sei in keinem der regelmäßigen Prüfberichte irgendwelche Mängel in punkto Sicherheit aufgezeigt worden. „Ein Gefahrenplan existiert für jeden Damm in Südtirol“, so Bordonetti. Die derzeitigen Wasseraustritte „haben absolut nichts mit der Sicherheit des Staudamms zu tun.“ Alperia Greenpower habe die Anlagen erst 2017 übernommen und man sei dabei, Schritt für Schritt Verbesserungen durchzuführen. Bordonetti: „Alles auf einmal können wir nicht machen. Lasst uns bitte etwas Zeit und habt Geduld.“ Für den Stollenabschnitt zwischen der Rohrbrücke und dem Staudamm kündigte er Analysen und eventuelle Verbesserungsmaßnahmen an.
Mehr Transparenz gefordert
Mehrfach gezeigt hat sich bei der Diskussion, dass ein bestimmtes Maß an Misstrauen dem „Stauseebetreiber“ gegenüber nach wie vor da ist. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn als der Damm und die Anlagen gebaut wurden, fuhr man radikal über die Köpfe der Menschen hinweg und ließ die Bevölkerung über Jahrzehnte hinweg im Dunkeln und Unwissen. „Was früher geschah, ist Geschichte“, sagte Bordonetti, „jetzt sind wir als Alperia hier und bemühen uns, alle Anlagen so sicher und umweltverträglich wie möglich zu gestalten.“ Dass unlängst ein Teil der Etsch ausgeholzt wurde, habe keineswegs mit einer Gefahrensituation zu tun gehabt: „Die Ausholzung war schon seit Jahrzehnten überfällig und wurde nun von der Wildbachverbauung endlich durchgeführt. Auch ohne Zwischenfall wäre diese präventive Maßnahme notwendig gewesen.“ Zum Thema Transparenz sicherte Bordonetti zu, dass Alperia jederzeit bereit sei, sämtliche Prüfberichte, Sicherheitsprotokolle und Messdaten vorzulegen.
„Jede Bewegung wird gemessen“
Der Druckstollen sei voll von Apparaten und Messgeräten, die Minute für Minute alle Bewegungen aufzeichnen. Der Bürgermeister regte an, in Zukunft möglicherweise eine eigene Bürgerversammlung zu organisieren, bei welcher der Schwerpunkt auf das Thema Sicherheit gelegt werden könnte. Zusätzlich zu mehr Transparenz soll auch die Kommunikation zwischen Alperia, Gemeinde und Bevölkerung weiter verstärkt werden, „wenngleich ich sagen muss, dass die Zusammenarbeit mit Alperia gut war und weiterhin gut ist“, so Franz Prieth. Was die nun anstehende Baustelle betrifft, so werde man sich gemeinsam bemühen, die bevorstehende Wintersaison möglichst wenig zu beeinträchtigen. Auf keinen Fall vergessen dürfe man die direkt Geschädigten.
Keine Aussagen zur „Schuldfrage“
Was die tatsächliche Ursache der jüngsten Wasseraustritte in St. Valentin betrifft, äußerte sich Bordonetti bewusst nicht: „Das ist ein anderes Kapitel dieser Geschichte.“ Er sagte lediglich, dass der seinerzeitige Zwischenfall beim Gebäude der Raiffeisenkasse völlig anders gelagert gewesen sei als die derzeitigen Wasseraustritte: „Es handelt sich zwar in beiden Fällen um Wasser aus dem Stollen, aber beim Zwischenfall bei der Raffeisenkasse war nicht der Stollen sanierungsbedürftig.“ Es musste das Fundament des Gebäudes, „das seinerzeit auf dem Stollen erbaut wurde, isoliert werden.“ Zur Anmerkung aus dem Publikum, dass man sich seitens der Alperia zumindest eine Entschuldigung erwarten dürfe, meinte Bordonetti: „Wir haben heute ausdrücklich nur zu einem technischen Informationsabend eingeladen.“ Mit anderen Fragen beschäftigen sich u.a. Gerichtssachverständige.
Thema Schadenersatz
Auch bezüglich des Themas Schadenersatz hielt er sich bewusst zurück: „Alperia ist gut versichert und wir stellen uns dem Problem. Wie haben nie etwas heruntergespielt und haben nichts zu verbergen.“ Dezidiert zurückgewiesen hat Bordonetti bestimmte Wortmeldungen, in denen an die „Katastrophe vom Vajont“ (1963) und an den Tesero-Dammbruch (Val di Stava, 1985) erinnert wurde: „Ich bin felsenfest überzeugt, dass der Staudamm am Reschen sicher ist. Eine 100prozentige Sicherheit gibt es natürlich nie und nirgends.“