Anton und Ida Stieger; im Hintergrund ein Teil der Rebe, die Anton 1949 gepflanzt hat.

„Iss schnell und laaf wiedr“

Publiziert in 28 / 2013 - Erschienen am 31. Juli 2013
Anton Stieger blickt auf bewegte Zeiten zurück. Aus Liebeswerk-Bua wird Bauer auf Pardell. Der Bauer und die Bäuerin, zwei Knechte, zwei Dirnen, ein Stallbub und der Liebeswerk-Bua. An Arbeit fehlte es keiner dieser Personen, denn auf dem Pardellhof am Außernörderberg in Schlanders gab es viel zu tun. Auf rund der Hälfte der über 10 Hektar umfassenden Grundflächen wurde einst Korn angebaut. „Wir brauchten für die Aussaat 70 Star Samen, also rund 1.400 Kilogramm,“ erinnert sich der 89-jährige Anton Planatscher Stieger. Er war es, den ein Pater im Jahr 1926 vom Liebeswerk in Meran mit dem Zug nach Schlanders brachte und auf den Pardellhof - der übrigens auf das 12. Jahrhundert zurückgeht - trug. Sein Ziehvater, geboren 1882, und seine Ziehmutter, geboren 1889, waren kinderlos geblieben und hatten sich entschlossen, ein Kind zu adoptieren. Planatscher, den Nachnamen seiner natürlichen Mutter, die aus der Salurner Gegend stammte, hat Anton nicht nur bis zur formellen Adoption, sondern auch später beibehalten. Adoptiert wurde Anton erst, als er schon über 20 Jahre alt war: „Man hot gwellt schuagn, ob dr Bua a richtig tuat.“ Von seinem natürlichen Vater weiß Anton nichts. Zumal der Nachname der Mutter immer erhalten bleibe, wurden einige der Kinder von Anton und seiner Frau Ida im Taufbuch auf den Nachnamen Planatscher Stieger eingetragen. Geschuftet wie die „Sklaven“ An harte Arbeit musste sich Toni von Kindesjahren an gewöhnen. Besonders auf den Äckern wurde schwer geschuftet. Toni: „Das war Sklavenarbeit nach dem Motto: Iss schleini (schnell) und laaf wiedr.“ Von Stundenlohn sprach damals niemand, nur von Tagschichten war die Rede. Unten im Tal waren einst nur wenige Apfelbäume zu sehen, „und diese standen zwischen 6 bis 10 Metern voneinander entfernt. Wenn die Nonnen des „Dr. Vögele-Hauses“ (Vinzenzheim) auf den Getreidefeldern in Schlanders jäteten und Gras für die Kühe einsammelten, „erkannten wir sie von hier aus an ihren Hauben,“ erinnert sich Toni. Als Dableiber „schief angeschaut“ Zumal sich die Zieheltern von Toni zur Optionszeit für das Dableiben entscheiden hatten, „wurden wir immer etwas schief angeschaut.“ Der Seniorbauer am Pardellhof kann sich bis heute nicht erklären, „wie man Menschen dazu bringen kann, Haus und Hof zu verlassen und noch dazu mit Gaudi.“ Anton wurde zwar als 18-Jähriger einberufen, mehrmals gemustert und im April 1944 von der Wehrmacht nach Innsbruck geschickt, konnte aber dennoch nach Hause gehen, denn er hatte Hörprobleme. „Das, was ich hören wollte, habe ich aber immer gehört,“ sagt er heute mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Umbruch in der Landwirtschaft Der Hirsch hielt am Nörderberg erst um 1940 Einzug. Toni: „Vor 1940 wusste hier niemand, was ein Hirsch ist.“ Mit der Schaffung des Nationalparks hat sich einiges geändert: „Zuerst wurden Wildzäune bis Talair gebaut, dann bis zu den Göflaner Wiesen. Hier bei uns richteten Hirsche und Rehe große Schäden in den Getreide- und Weizenäckern und auch an den Marillenbäumen an. Später wurde alles eingezäunt bis hinauf auf 1.200 Höhenmeter.“ Vor allem zu dieser Zeit setzte sich Anton Stieger als Funktionär des Bauernbundes und des Bonifizierungskonsortiums für die Interessen der Bergbauern am Nörderberg ein. Am Pardellhof setzte er nach der Auflassung des Kornanbaus vermehrt auf Marillen: „Der Anbau von Marillen ist wirtschaftlich durchaus rentabel.“ Ein kleiner Meilenstein in der Viehwirtschaft setzte Antons Ziehvater, als er 1950 die erste Mähmaschine - ein Modell aus der Schweiz - auf den Nörderberg brachte. Gutes Futter für die Pferde holte man sich damals von einem Moosfeld in Laas, das damals zum Pardellhof gehörte und wo später der erste Teil der Genossenschaft ALPE gebaut wurde. „Die Laaser haben ganz schön geschaut, wie ich mit der neuen Mähmaschine Moos mähte,“ erinnert sich Toni. „Das tat sehr weh“ 1955 haben Toni und Ida ­Spechtenhauser aus Allitz (Burghof) geheiratet. Als am Pardellhof nach 5 Mädchen (Annelies, Hildegard, Katharina, Erika und Emma) der erste Sohn auf die Welt kam, war die Freude groß. Umso größer war das Leid, als Hubert im Alter von nur zwei Monaten starb: Toni und Ida: „Das tat sehr weh“. Später kamen noch drei Buben auf die Welt: Karl, Hubert und Walter. Trotz aller Arbeit und Mühen fand Toni immer Zeit für seine große Leidenschaft, das Jagen. „Ich musste 84 werden, um einen Hirsch mit 140 kg zu schießen, und 85, um einen Dreistangenbock zu erlegen,“ erzählt er nicht ohne Jägerstolz. Den Hirsch schoss er auf Matatsch am Sonnenberg aus einer Distanz von ca. 350 Metern. Auch eine Vorliebe für Pflanzen, Heilkräuter und Blumen hat der „Pardeller“. Die Seibel-Rebe aus Kurtatsch, die er 1949 pflanzte, ist über 10 Meter lang, gedeiht seit jeher prächtig und trägt reichlich Trauben, „und zwar ohne Spritzmittel und auf 1.000 Metern hier am schattigen Nörderberg, wo es im Winter ganz schön kalt ist,“ sagt Anton Stieger. Alte Mühlsteine und vieles mehr Vom einstigen Leben und Arbeiten am Bauernhof zeugen am Pardellhof viele Geräte aus längst vergangenen Zeiten, von denen heute viele nicht einmal mehr die Bezeichnungen kennen. Holzknospen, die er noch als 20-Jähriger trug, hat Anton Stieger ebenso als Erinnerung und Zeugen der Vergangenheit an die hölzerne Stadelwand genagelt wie eine alte Wiegesäge, Dreschflegel, Zaumzeug und viele weitere Gegenstände. Von der jahrhundertealten Tradition des Getreideanbaus und der Mahlens am Pardellhof zeugt vor allem die restaurierte Mühle. Besonders stolz ist Anton Stieger auf zwei Mühlsteine, die seinerzeit auf dem Hof gemeißelt wurden, aber nie zum Einsatz kamen. Den „Läufer“ hat Sebastian Steiner aus Göflan, vulgo Speckn-Woschtl, 1939 angefertigt, den „Leger“ Franz Gamper aus Göflan, vulgo Fugs-Franz, im Jahr 1947. „Gute Quarz-Mühlsteine sind rar gestreut. Nach diesen hier musste lange gesucht werden. Sie stammen aus dem Wald am Nörderberg,“ erinnert sich Anton.
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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