Post von Künast und Co.
Mehrere Bundestagsabgeordnete der Fraktion Bündnis90/Die Grünen sowie EU-Abgeordnete fordern von Schuler die Rücknahme aller Anzeigen.
Berlin/Bozen - „Mit großer Sorge sehen wir eine Eskalation des Konflikts um den Pestizideinsatz in Südtirols Apfelplantagen.“ So beginnt ein Schreiben mehrerer Bundestagsabgeordneter der Fraktion Bündnis90/Die Grünen sowie einiger EU-Parlamentarier an Landesrat Arnold Schuler. Die Erstunterzeichner des offenen Briefs aus Berlin, den der Vinschger exklusiv veröffentlicht, sind Renate Künast (Sprecherin für Ernährungspolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag) und Harald Ebner (Sprecher für Gentechnik und Bioökonomiepolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen). Der Brief trägt zudem die Unterschriften weiterer Bundestagsabgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Oliver Krischer, Bettina Hoffmann, Kirsten Kappert-Gonther und Markus Tressel), sowie von Martin Häusling (Sprecher für Agrarpolitik der Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament), Gisela Sengl (Sprecherin für Landwirtschaft und Ernährung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag), Ophelia Nick (Sprecherin Bundesarbeitsgemeinschaft Landwirtschaft & ländliche Entwicklung Bündnis 90/Die Grünen), Thomas Waitz (EU-Abgeordneter der Grünen Österreich und Ko-Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei) und von Sarah Wiener (Köchin und EU-Abgeordnete).
Nachfolgend der offene Brief:
„Sehr geehrter Herr Landesrat Schuler, mit großer Sorge sehen wir eine Eskalation des Konflikts um den Pestizideinsatz in Südtirols Apfelplantagen. Der immense Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft ist eine Gefahr für die menschliche Gesundheit, wie Studien etwa zu Chlorpyrifos und zur möglichen Krebsauslösung durch Glyphosat deutlich gemacht haben. Pestizide schaden auch Bestäubern, der Artenvielfalt und dem Grundwasser und dem Bodenleben. Zudem ist die Produktion sehr energieintensiv. Hinzu kommt, dass ökologisch wirtschaftende Betriebe sowie die Imkerei durch Abdrift auch ökonomisch gefährdet sind, wenn ihre Produkte wegen zu hoher Pestizidbelastung nicht mehr verkehrsfähig sind. Dies trifft gerade auch auf Landwirtschaft in Tälern wie im Vinschgau zu. Die freie Meinungsäußerung ist elementare Grundlage unserer Demokratie. Wir halten es für das gute Recht von Bürgerinnen und Bürgern sowie von Organisationen der Zivilgesellschaft, auf Probleme hinzuweisen und Kritik an Missständen zu üben. Diese Kritik lässt sich auch durch Klagen nicht mundtot machen. Wir sind überzeugt: Probleme ausblenden oder leugnen löst diese nicht, sondern verschlimmert sie nur. Wir begrüßen sehr, dass Sie ursprünglich Bereitschaft gezeigt hatten, die Klage gegen Karl Bär und seine Kolleg*innen des Umweltinstitut München sowie gegen Autor Alexander Schiebel und Jacob Radloff (oekom-Verlag) zurückzuziehen. Leider mussten wir kürzlich erfahren, dass Sie offenbar als Bedingung für den Klagerückzug ein Unterlassen von weiterer Kritik gefordert haben. Damit verfestigt sich hier der Eindruck, dass die Landesregierung Bozen-Südtirol sich kritischen Debatten verweigert und gezielt versucht, Kritiker durch Klagen und damit verbundene hohe Kosten bzw. Schadensersatzrisiken einzuschüchtern. Wir sind überzeugt, dass dieses Handeln dem Image von Südtirol in Deutschland mehr schadet als die Kritik, gegen die sich Ihre Klage richtet. Wir fordern Sie und die weiteren Klageführer daher auf, alle Klagen gegen die genannten Personen zurückzuziehen. Dies schließt die Klage wegen Markenfälschung ein, denn auch satirische Kampagnen sind durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Seien Sie versichert, dass die deutsche Öffentlichkeit das Verhalten der Südtiroler Landesregierung aufmerksam verfolgt. Das Interesse an gesundem Obst ohne Rückstände wächst bei den Konsument*innen ja stetig an.Der kuriose Effekt Ihrer Anzeigen ist doch, dass über die umfassende Verwendung von Fungiziden, Insektiziden und auch Herbiziden im Obstanbau in Ihrem Verantwortungsbereich zunehmend berichtet wird. Die Zeit und die Ressourcen, welche Sie in dieses Verfahren investieren, können von allen Beteiligten dafür genutzt werden, konstruktive Lösungen für den Konflikt um Pestizide in den Apfelplantagen Südtirols zu finden und umwelt- und bestäuberfreundliche Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz voranzubringen. Die Bereitschaft dazu haben bereits einige Akteure wie die Südtiroler Grünen und Bioland Südtirol erklärt. Südtirol hat als eines der wichtigsten Obstanbaugebiete Europas die Chance, zum Pionier bei Pestizidreduktion und nicht-chemischem Pflanzenschutz zu werden, entsprechend der Ziele in der neuen EU-Strategie ‚Vom Hof auf den Tisch’. Voraussetzung für einen ehrlichen und konstruktiven Dialog und Zusammenarbeit für dieses Ziel ist aber, dass alle aktuell drohenden Klagen gegen Kritiker des pestizidlastigen Anbaumodells endgültig abgewendet sind. Wir möchten Sie mit diesem Brief bitten: Hören Sie auch den kritischen Stimmen zu und öffnen Sie sich für einen echten Dialog auf Augen-
höhe. Sorgen Sie dafür, dass alle anhängigen Verfahren gegen Kritiker des pestizidintensiven Anbaus in Südtirol schnellstmöglich eingestellt werden. Und lassen Sie uns gemeinsam an Wegen für einen umwelt- und gesundheitsschonenden Pflanzenschutz in Europa arbeiten. Wir sind sicher, dass dies die Zukunft der Obstbauern sichert. Weil Obst aus dem Vinschgau dann für Produkte steht, die auf die Gesundheit der Bäuerinnen und Bauern, Bewohner*innen und Konsument*innen achtet. Und auf eine intakte, vielfältige Natur, die ja die unabdingbare Voraussetzung für ein gutes Leben der nachfolgenden Generationen ist.“
Berlin, 08.10.2020
„Neue Spritztechnik allein reicht nicht“
Zur Feststellung, dass sich die Obstwirtschaft schon seit Jahren darum bemüht, nur das Notwendigste an Pflanzenschutzmitteln auszubringen, dass technische Maßnahmen zur Verminderung der Abdrift gesetzt wurden, vor allem in Form einer moderner Sprühtechnik, und dass auch Bemühungen in Richtung einer Ökologisierung der Landwirtschaft in Südtirol im Gang sind, meinte Renate Künast zum der Vinschger: „Die EU hat das Ziel ausgegeben, bis zum Jahr 2030 50 % der Pestizide einzusparen. Alle Politikerinnen und Politiker sind also gefordert dafür zu sorgen, dass die Bäuerinnen und Bauern dieses Ziel auch umsetzen können. Dafür müssen die Strukturen grundlegend geändert werden, neue Spritztechnik allein wird nicht ausreichen. Für den Vinschgau braucht es ein mit Bauern und anderen Fachleuten erarbeitetes Gesamtkonzept, das das Image noch toppt, indem wirklich ökologisiert wird. Gute Produkte, vielfältige Natur und auskömmliche Bedingungen für Bauern und Tourismus kann ein zukunftsfähiges Ziel sein.“