Das Gebiet der Laugen-Melaun-Kultur (Strichmarkierung) und die ostalpinen Kupferproduktionszentren der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends und des frühen 1. Jahrtausends v. Chr.; 1: Vinschgau, 2. Etschtal/Kurtatsch, 3. Trentino, 4. Eisack- Sarntal, 5. Ahrntal/Prettau, 6. Osttirol/Matrei, 7: Unterinntal, 8: Kitzbühel, 9: Pinzgau, 10: Pongau/Mitterberg, St. Veit, 11: Eisenerzer Alpen, 12: Bezirk Neunkirchen, 13: Oberhalbstein. Grafik: Koch Waldner
Prähistorische Kupferschlacke am Schmelzplatz SP2 bei Stilfs.
Kaschlin bei Stilfs
Pfossental Gurgler Eisjoch: Schneereif aus Birke, (3800-3700 v. Chr.)
Martelltal, Bronzedolch (18.-17. Jahrhundert v. Chr.)
Schluderns Ganglegg, Bronzefibel mit Inschrift have fide (spätes 1. Jahrhundert v. Chr.)

Prähistorie: Vernetzung, Recycling, Wissenstransfer

Der internationale Workshop „Alpenkupfer im Vinschgau“ lockte über 500 Interessierte.

Publiziert in 20 / 2021 - Erschienen am 10. Juni 2021

Stilfs/Prad - Organisiert vom Deutschen Bergbau-Museum Bochum (Thomas Koch Waldner) und dem Vienna Institute for Archaeological Science, Universität Wien (Mathias Mehofer), mit der Unterstützung des Landesmuseums Bergbau Südtirol, der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung/D, dem Amt für Bodendenkmäler Südtirol und dem Vintschger Museum „vuseum“, gaben rund 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sieben europäischen Ländern Einblicke in neueste Forschungserkenntnisse rund um den bronzezeitlichen Bergbau und die Kupferproduktion in Südtirol, dem Trentino, Österreich, Slowenien, der Schweiz und Serbien.

Forschungslücke schließen

Die umfangreichen Präsentationen vermittelten – trotz der Limitierung des Workshops auf die Online-Variante – eine enorme Fülle an Wissen auf neuestem Informationsstand. Eine Forschungslücke in Südtirol, sagte Thomas Koch Waldner, Mitarbeiter des Deutschen Bergbau-Museums Bochum, habe der österreichische Prähistoriker Richard Pittioni bereits in den 1940er Jahren festgestellt: „Nun, 80 Jahre später können wir endlich weitermachen“. Generell handele es sich um eine dynamische Zeit für die Montanarchäologie. Die derzeitige Dynamik erschließt sich auch dem Laien: Die 2008 bei Planierarbeiten entdeckten Schlacken am Prader Berg haben nicht nur neue Forschungen angestoßen und ermöglicht; die dort entdeckten Schmelzplätze der Kupferverhüttung ließen ein neues Bild entstehen: Denn der Obervinschgau ist das fehlende Verbindungsglied für Südtirol, Nordtirol, Graubünden und das Veltlin und stellt einen der bedeutendsten Verkehrsknotenpunkte der Zentralalpen dar. Das Bergbaugebiet Stilfs-Prad ist somit eine prähistorische Schnittstelle zwischen dem Ofenpass/Graubünden und dem Stilfser Joch/Veltlin/Westalpen. Für die Mithilfe an den Forschungsarbeiten, die Thomas Koch Waldner am 28. Mai darlegte, bedankte er sich bei einem weiteren Vinschger; dem in München tätigen Gert Karner, dessen Ingenierbüro mit 3D-Modellen ebenfalls zum Projekt beigetragen habe.

Wissenstranfser: Von der Etsch an den Rhein?

Fest steht, dass im Vinschgau in der Bronzezeit Kupfer produziert wurde; Streufunde aus dem Suldenbach finden sich von der Bronze- bis in die späte Eisenzeit. Kaschlin – der auffallende Geländevorsprung oberhalb von Stilfs –
zeigt ebene Flächen, die durch Terrassierungen entstanden sind; bronze- und eisenzeitliche Gebäudereste wurden gefunden, auch spätantike Störungen sind nachgewiesen. Das Taubenkropf-Leimkraut weist auch heute als Zeigerpflanze auf Kupfervorkommen hin. Die Datierung der Schmelzplätze gehen vom 13./12. Jahrhundert v. Chr. bis ca. 200 v. Chr; die Spuren des Erzabbaus sind auch anhand von Pingen (durch den Bergbau verursachte Vertiefungen) und Mundlöchern (Eingang eines Stollens) zu sehen. „Es zeigt auch, wie wichtig die Kupferproduktion für die Laugen-Melaun-Kutur gewesen sein muss“, sagte Koch Waldner. Seine These: die Laugen-Melaun-Kultur könnte das Wissen für den Bergbau und die Kupferverhüttung nach Westen gebracht haben. Ein Indiz dafür könnte die Akzeptanz der Fremden von der Etsch im Oberhalbstein und Rheintal sein. Hier lebten über mehrere Jahrhunderte Menschen der Laugen-Melaun-Kultur (Südtirol, Trentino und Osttirol) neben der Lokalbevölkerung und behielten über Generationen ihre kulturelle Identität bei. Sie assimilierten nicht und hielten an ihren Traditionen und Vorstellungen fest, die sie von der Etsch an den Rhein mitbrachten. Das neu entdeckte Bergbaugebiet bei Stilfs-Prad wirft nun einige spannende Fragen auf: Handelte es sich um Migrationen von Gruppen hochspezialisierter Fachkräfte aus Südtirol? Waren es die urgeschichtlichen Vinschgauer Bergleute und Schmelzmeister, die sich in der Ostschweiz niederließen? Akzeptierten die Einheimischen die Fremden von der Etsch, weil diese das Wissen rund um die Kupfer-Technologie mitbrachten?

Machtzentrum, Oberschicht & keltische Importe

Hubert Steiner, Amt für Archäologie Südtirol, brachte einen Überblick der prähistorischen Funde in Südtirol aus der Bronze- und Eisenzeit und verwies auf die Gletscherschmelze, die auf über 3.000 Metern Meereshöhe in den letzten Jahrzehnten vieles zutage gebracht habe. Wegen der Überlagerung durch den im Talboden des Vinschgaus vorherrschenden Murschschuttkegel seien dort Besiedlungen schwieriger nachzuweisen: in den Seitentälern hingegen, wie jenen von Matsch, Schlandraun, Schnals, Langtaufers ect. habe es zahlreiche Streufunde gegeben, unter anderem einen Schneereif aus Birke. „Mitte des 5. Jahrtausends waren die Menschen im Vinschgau bereits unterwegs“. Die Pässe müssen in allen Epochen eine maßgebliche Rolle gespielt haben; oberhalb des Talbodens, an den Eingängen der Täler ist eine Zunahme des Siedlungsbildes auszumachen: „In der frühen Bronzezeit“, erklärt Hubert Steiner, „vollzieht sich ein starker Wandel der kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse“, in der mittleren Bronzezeit werden noch deutlichere Siedlungsverdichtungen sichtbar; die Seitentäler werden wirtschaftlich intensiv genutzt: „Im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte konnten im Schnalstal Hinweise auf Rodung und Hochweidenutzung gewonnen werden, welche die Anfänge einer Almwirtschaft belegen“. Die Großsiedlung Ganglegg hingegen habe eine Befestigungsmauer gebaut, verfügte über einen ausgezeichneten Überblick über das Tal, bespielte ein 13m x 8m großes Haus – und hatte einen Brandopferplatz. Steiner erklärte, dass „mit der befestigten Siedlung am Ganglegg erstmals die wirtschaftlichen Möglichkeiten und die politischen Funktionen der sozialen Oberschicht klar zum Ausdruck gebracht werden“. Der Brandopferplatz, argumentiert er, bilde ein zentrales Heiligtum mit größerem Einzugsgebiet, was bedeuten kann, dass es sich bei Ganglegg um ein Machtzentrum handelte. Während die Häuser eng am Hang gebaut wurden, dienten die ebeneren Wiesen als wirtschaftliche Grundlage. Auch wurden Gussformen gefunden, die nur in Osteuropa vorkamen, der dort gefundene Schmuck verweise auf den Balkan, erklärte Steiner. Die gefundenen Tierknochen waren von Ziege, Schaf, Schwein und Rind, Ackerbohnen und Getreidesamen konnten ebenso bestimmt werden. Auf Hütten als Unterschlupf in höheren Lagen verweisen die gefundenen bronzezeitlichen Funde am Langgrubjoch: Hier konnten Lärchenbretter, die als Dachschindeln dienten, erforscht werden. Auch auf dem Tartscher Bichl wurde ein Brandopferplatz ausgegraben; das Zentrum der „Venosten“? Nur wenige der Bichl-Bewohner, sagte Steiner, haben die römische Besiedlung erlebt: die Siedlung sei nach und nach aufgelassen worden; das Machtzentrum habe sich vom Bichl nach Ganglegg verlagert; etliche Inschriftenfunde (wie der auf einer römischen Fibel) zeigten die Vorrangstellung am Ganglegg. Die hier gefundene keltische Ware wurde wahrscheinlich vor Ort hergestellt. Somit ließe sich vermuten, dass auch keltische Handwerker vor Ort gewesen sein könnten.

Prähistorisches Holz-Management: Recycling oder Reparatur

Der Hauptgang am Mitterberg im Salzburger Land ist eine der ergiebigsten Kupferzlagerstätten der Ostalpen. Eva Neuber und Benedikt Horst haben die Wiederverwendung der Rohstoffe am Troiboden näher untersucht, ein Gebiet, dass seit über 200 Jahren erforscht wird. Der Troiboden ist ein Hochmoor, wo über eine sehr lange Periode hinweg Erz aufbereitet und in speziellen Kastenkonstruktionen durch nassmechanische Prozesse zu Erzkonzentrat angereichert wurde. Das Konzentrat wurde zu den Schmelzplätzen gebracht, wo es zu Kupfer geschmolzen wurde. Diese Nassaufbereitungsanlagen für das Erzwaschen sahen sie sich genauer an und haben 3.000 Jahre alte Holzartefakte untersucht, darunter: Hackscharten (741 Stck.), Leuchtspähne (1.955 Stck.), Bauhölzer (423 Stck.) und verschiedene Geräte wie Löffel, Schaufeln, Schaber oder Nadeln (115 Stck.). Während die Waschkästen größtenteils aus Fichten-, Lärchen- oder Weißtannenholz bestanden, sind die Geräte oft aus Buchenholz, teilweise auch aus Kernobstgewächsen gefertigt. Während des Siedlungsanstieges kam es vermutlich zu einem großflächigen Auslichten des Waldes und einem enormen Holzbedarf, letztlich zu einer Verknappung des Rohstoffes. So wurden anstelle der bisher üblichen 100 bis 300 Jahre alten Bäume in einer späteren Phase eher 50 Jahre alte Bäume gefällt und weiterverarbeitet. Und noch etwas setzt ein: eine Umbau- und Reparationsphase. Die Ressourcennutzung war umfassend: kaputte Geräte wurden als Baumaterial wiederverwendet und dienten teilweise auch für provisorische Zwecke. Das Fazit der beiden Wissenschaftler: Je intensiver der Holzbedarf in der späten Phase des Bergbaus am Troiboden, desto mehr wurde repariert. Und oft solange verwendet, bis es nur für eine Funktion taugte: als Brennholz.

Katharina Hohenstein
Katharina Hohenstein
Vinschger Sonderausgabe

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