Gruppenbild des Professoren-, Referenten- und Mitarbeiterteams des internationalen Workshops (Zweiter von links Riccardo Guerri, rechts Gabriel Prenner).
Bei der Abschlussveranstaltung des Architektur-Workshops „Sanfte Entmilitarisierung“.
Bei der Abschlussveranstaltung des Architektur-Workshops „Sanfte Entmilitarisierung“.
Die „Ermittlungen zum Umgang mit Gebäudebestand“ im Tatort-Stil im Rahmen der Performance zur Aufarbeitung des Geschehens rund um die „Palazzina Comando“.
Einige Auszüge aus den Workshop-Ergebnissen
Einige Auszüge aus den Workshop-Ergebnissen
Einige Auszüge aus den Workshop-Ergebnissen
Einige Auszüge aus den Workshop-Ergebnissen

„Sanfte Entmilitarisierung“

40 Studierende von mehreren Universitäten befassen sich mit der „Umnutzung“ des Kasernen-Areals in Schlanders.

Publiziert in 4 / 2023 - Erschienen am 28. Februar 2023

Schlanders - Vom 9. bis zum 18. Februar war BASIS Vinschgau Venosta, angesiedelt in der ehemaligen „Palazzina Servizi“ der Drusus-Kaserne, de facto eine Universität. 40 Studierende der Universitäten Bologna, Wien, Leuven, Lissabon und Ljubljana sowie Professorinnen und Professoren waren angereist, um am Architektur-Workshop „Demilitarise Gently“, auf Deutsch „Sanfte Entmilitarisierung“, teilzunehmen. Die Initiative für den Workshop war von der Universität Bologna ausgegangen. Auch an der „Alma Mater Studiorum“ in Bologna und an vielen weiteren Unis war der famose Abriss eines Teils der „Palazzina Comando“ am 5. Oktober 2022 nicht unbemerkt geblieben. Ziel des Workshops war es, in 4 Arbeitsgruppen Möglichkeiten und Visionen eines „kreativen Umgangs mit bestehenden Bauwerken“ zu erarbeiten und dabei die großen Herausforderungen, wie es der Klimawandel, die Ressourcenknappheit, die hohen Rohstoffkosten oder die Energie- und Umweltfragen sind, mitzudenken.

„Alles, nur nicht Tabula rasa“

„Die einzige Vorgabe für die Studierenden war es, keine Tabula rasa zu machen. Es sollten Nutzungs- und Gestaltungsmöglichkeiten erarbeitet werden, die den Bestand akzeptieren“, sagte der Bauingenieur Gabriel Prenner aus Taufers im Münstertal am 18. Februar bei der Vorstellung der Workshop-Ergebnisse im BASIS-Seminarraum. Prenner gehörte zum Team, das den Workshop vor Ort unterstützte. Auch laut dem Architekten Riccardo Guerri, der aus der Toskana stammt und seit 5 Jahren in Südtirol arbeitet, ging es beim Workshop darum, Ideen und Visionen für eine Umnutzung der bestehenden Gebäude zu entwickeln. Vom Vorhaben der Gemeindeverwaltung, 3 der 4 Riegel gemäß einschlägiger Gemeinderats- und Landesregierungsbeschlüsse abzureißen, und zwar die „Palazzina Comando“, die „Palazzina Misurata“ (Südriegel) sowie die „Palazzina Tagliamento“ (in einem Teil dieses Riegels befindet sich die BASIS-Kreativwerkstatt, für die es eine Nutzungsleihe gibt, die Ende 2023 abläuft, aber theoretisch verlängert werden könnte), weichen die Vorstellungen der Studierenden zum Teil diametral ab.

„Stehen lassen, was noch steht“

In der Gruppe, die sich mit der „Palazzina Comando“ befasste, war z.B. der Vorschlag erarbeitet worden, das, was noch steht, zu erhalten und den Rest in Grünfläche umzugestalten oder einen neuen Ergänzungszubau zu errichten. Auf der Fläche zwischen dem Kommando-Gebäude und der Bahnhofstraße könnte ein öffentlicher Park entstehen. Eine Erweiterung der Kreativwerkstatt auf weitere Teile der „Palazzina Tagliamento“ wurde ebenso vorgeschlagen, wie die Errichtung einer Art Treppen-Arena auf dem Exerzierplatz, der zu einer Stätte der Begegnung werden sollte, sowie die Schaffung von günstigem Wohnraum und von sportlichen Infrastrukturen. In Umgebungsanalysen wurden die einwirkenden Akteure und ihre Interessen untersucht. Dabei suchten die Studierenden z.B. das Gespräch mit den benachbarten Schulen. Erkenntnisse daraus sind, dass die Berufsschüler zwischen Heimplatz in Schlanders und Berufsschule weite Wege zurücklegen. In den modernen Planungsansätzen ist die Erreichbarkeit ausschlaggebend. So wurden im Projektvorschlag auch eine neue Schülerunterkunft angedacht oder die Umsiedelung der sich im Zentrum befindenden WFO hin in Bahnhofsnähe. Ebenso wurde über die geplante Tiefbauhalle gesprochen und über fehlende Ausstellungsmöglichkeiten der Werkstätten in der Berufsschule.

Performance zum Abbruch

Eine weitere Gruppe verarbeitete das Geschehen rund um die „Palazzina Comando“ künstlerisch in einer Performance: In dem dreiteiligen Akt wurde der Abbruch des Gebäudes im Stil eines Sonntagabends-Tatorts aufgearbeitet: Spurensicherung, Tatanalyse, Autopsie. In der „Grabesrede“ verabschiedeten sich die Studierenden von den Dissonanzen und bestatteten symbolisch die „ermordeten“ Bauteile. Die theatralische Vermenschlichung sollte den aktuell gepflegten Umgang mit Gebäudebestand kritisch hinterfragen. Die Architektin Alessia Zampini von der Universität Bologna ist überzeugt, „dass eine zukunftsweisende städtebauliche Entwicklung der Drusus-Kaserne zum Vorbild werden und große Chancen für das gesamte Tal bieten könnte.“ Dies würden bereits jetzt die Aktivitäten und Räume der BASIS zeigen: „Sie stellen einen Treffpunkt dar, durch den ein internationaler Hauch weht. Dieser bietet der Bevölkerung einen Bezugspunkt für Kultur, Wirtschaft und Ausbildung.“ Der Workshop sollte laut dem Architekten Lorenzo De Chiffre von der Universität Wien „vor allem Denkanstöße geben und die Diskussion fördern.“ Alle externen Faktoren und Interessen rund um den Ort sollten berücksichtigt und abgewogen werden. De Chiffre: „Das Beispiel Schlanders zeigt, wie kompliziert ein solches Unterfangen für alle Beteiligten sein kann.“ Im Bau- und Gebäudesektor fallen europaweit 55% der Abfälle an, es werden 90% der Rohstoffe verbraucht und 40% der Treibhausgasemissionen erzeugt. „Graue Energie ist in Südtirol noch ein Fremdwort“, hatte Architekt Walter Angonese aus Kaltern, seines Zeichens auch Dekan der Universität von Mendrisio, bei der Eröffnung des Workshops bedauert. Die sogenannte graue Energie bezeichnet die Energiemenge, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produktes – oder eines Gebäudes – aufgewendet werden muss. Zum größten Teil ist sie noch da, die graue Energie, „es wäre doch schade, sie zu zertrümmern.“

„Das ist der Ground Zero von Schlanders“

Zur Präsentation der Workshop-Ergebnisse sind viele Interessierte in die BASIS gekommen, darunter auch Architektinnen und Architekten aus dem Vinschgau und darüber hinaus. In den Augen des Architekten Jürgen Wallnöfer ist das Kasernen-Areal der „Ground Zero von Schlanders.“ Eine Interpretation davon könnte sein, dass die aktuelle Machbarkeitsstudie nicht das Loch, welches in das Gebäudeensemble gerissen wurde, füllt. Mehr als spärlich vertreten war die Politik. Als die Abschlussveranstaltung eröffnet wurde, war unter dem Publikum nur Hanspeter Staffler, Landtagsabgeordneter der Grünen, auszumachen, obwohl u.a. alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister des Vinschgaus eingeladen worden waren. Detail am Rande: die Ergebnisse des Workshops sollen in der Zeitschrift „Turris Babel“ der Architekturstiftung Südtirol veröffentlicht werden.

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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