„Schön ist ein Dorf, wenn es alt ist“
Leerstehende Häuser und Städel für einen Tag offen. Fruchtbarer Austausch in Schluderns.
Schluderns - Eine besondere Note verlieh dem heurigen Katharinamarkt in Schluderns die Veranstaltung „Offene Türen“. Ausnahmsweise für alle offen waren am 20. November leerstehende und ungenutzte Gebäude und Städel. Den ganzen Tag über nutzten viele Schludernserinnen und Schludernser, aber auch Besucher von auswärts die Möglichkeit, die Gebäude, die man normalerweise nur von außen kennt, zu betreten und in ihre interessanten Geschichten einzutauchen. Geöffnet waren der Stadel und die Waage des Schweizerhofes sowie das Garber Anwesen (Haflinger Hof). Am Richterhaus (Zingerle Haus) und am Kropfhof (Agethle Haus) wurde an Informationsständen vor den Gebäuden über die Baugeschichte informiert. Neben dem Bauforscher Martin Laimer und Rosa Sigmund vom Landesdenkmalamt und den Bauforscherinnen Mitterer & Lanz warteten zum Teil auch die Gebäudeeigentümer mit Führungen auf. Besonders viel Zuspruch gab es für die Führungen und Schilderungen von Arthur Gfrei. Er ist ein gebürtiger Schludernser. Im großräumigen Stadel des ehemaligen Gasthofs Schweizer, seinem Heimathaus, hatte Arthur Gfrei eine kleine Dokumentation über die Geschichte des Gasthofes und des Stadels ausgehängt. Ein besonderes Merkmal des Stadels ist bis heute die 19 Meter lange und mit 39 „Sprisslen“ versehene Einholmleiter auf der Straßenseite des Stadels. Sie diente zum Klauben der Palabirnen.
Aus Bärenwirtstaverne wurde der Schweizerhof
Der Schweizerhof hieß ursprünglich „Wirthstaferne zum Bären“ (Bärenwirtstaverne) und wurde nach dem Konkurs des damaligen Besitzers Anton Senn in Schweizerhof umbenannt. Ein weiteres Kleinod ist ein kleines Holzhäuschen an der Hofeinfahrt. Im Inneren befindet sich der Messbalken einer großen Waage, die 1911 als „Straßenfuhrwerks Brückenwaage“ angeschafft wurde. Der Hof war einst ein wichtiger Umschlagplatz für Früchtelieferungen der Schludernser Bauern. Ein besonders günstiges Jahr für die Palabirnen muss 1940 gewesen sein. So soll der große Palabirnen-Baum im Anger des Posthotels von Glurns allein 1.147 kg an Früchten getragen haben. Anstelle des ehemaligen Gasthofs Schweizerhof werden in absehbarer Zeit Wohnungen entstehen, wobei die Außenfassaden erhalten bleiben sollen. Was mit dem Stadel geschehen wird, ist ungewiss.
„Bewusstsein für diese Gebäude wecken“
„Es ist wichtig, das Bewusstsein für leerstehende und ungenutzte Gebäude zu wecken. Die Bevölkerung soll sich Gedanken machen, was man aus solchen Gebäuden machen könnte,“ sagte Bürgermeister Heiko Hauser zum Auftakt des gut besuchten Austausch- und Dialognachmittages im Kulturhaus. Das Thema sei angesichts der Gemeindeentwicklungsprogramme, wie sie alle Gemeinden Südtirols in den nächsten Jahren erstellen müssen, „wichtig, aktuell und zukunftsweisend.“ Die Veranstaltung „Offene Türen“, welche die Gemeinde in Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt, dem Landesamt für Gemeindeplanung, der Bürgergenossenschaft Obervinschgau „da“ und dem Heimatpflegeverein Südtirol organisiert hatte, fand im Rahmen des Interreg-Projektes „Umsetzbare Ortskernrevitalisierung Terra Raetica“ statt. Der Bürgermeister dankte allen Beteiligten und ganz besonders den Gebäudebesitzern, die sich bereit erklärt hatten, ihre Häuser bzw. Städel für einen Tag zu öffnen.
„Leben und Arbeiten im Zentrum“
Die Projektkoordinatorin Susanne Waiz erinnerte in ihrem Impulsreferat daran, dass der Ortskern von Schluderns vor Jahrzehnten noch ein sehr lebendig war: „Mit dem Leerstand kam es zur einer Ausdünnung der Gesellschaft und das bedauern wir heute.“ Das Leben und das Arbeiten im Zentrum seien zum Teil abhandengekommen. Jetzt sei es wichtig, darüber nachzudenken, wie es weitergehen kann, „wobei dieser Prozess von der Bevölkerung getragen werden muss.“ Regina Steinmann vom Amt für Gemeindeplanung gab sich überzeugt, dass Schluderns ein großes Potential hat. Auch sie verwies auf die Bedeutung der Bewusstseinsbildung. „Im Grund geht es um den Schutz des Ungeschützten“, sagte die Landeskonservatorin Karin Dalla Torre, „und um eine emotionale Annäherung an ungenutzte Gebäude“. Die Menschen bräuchten nicht zu befürchten, dass sie als „Denkmalhexe“ alles unter Schutz stellen möchte, sollten sich aber überlegen, ob und wie leerstehende Gebäude genutzt werden könnten. Vor allem im Vinschgau gebe es in diesem Sinn viele positive Beispiele. Konkret nannte Dalla Torre das Atelier des Künstlers Jörg Hofer in Laas, die BASIS in Schlanders (ehemaliges Kasernenareal) und das Hostel FinKa in Mals (ehemalige Finanzkaserne).
„Bauindustrie will Geschäft machen“
Besonders klare Worte fand der Architekt Jürgen Wallnöfer, der auch in der Bürgergenossenschaft Obervinschgau mitarbeitet: „Als schön bezeichnet man Dörfer, die alt sind, wo das Imperfekte Platz hat, wo es alte Häuser aus Stein, Holz und Kalk gibt und wo die Fassaden nicht alle gleich und schurgerade sind.“ Er könne oft nicht nachvollziehen, wie an einem Nachmittag ein jahrhundertealtes Gebäude verschwindet „und durch Minderwertiges ersetzt wird.“ Die Bauindustrie sei natürlich darauf aus, „Geschäft zu machen“. Es dürfe aber nicht vergessen werden, dass ein Dorf mit dem Verschwinden alter Gebäude an Identität verliert: „Werden pro Jahr auch ‚nur’ zwei Häuser abgerissen, so sind es in 20 Jahren 40. Wir haben es mit einem schleichenden Prozess zu tun, gegen den wir uns wehren müssen.“ Wallnöfer rief dazu auf, „behutsam mit alten und ungenutzten Gebäuden umzugehen und besser hinzuschauen.“ Moderiert hat den Nachmittag Katharina Erlacher (blufink). Im Anschluss an die Impulsreferate hatten alle die Möglichkeit, sich in kleineren Dialog-Kreisen mit der Frage „Wie sieht ein lebendiges Dorf aus?“ zu beschäftigen. Der Bürgermeister hatte bereits eingangs versichert, dass die Ergebnisse bzw. Vorschläge des Interreg-Projektes und des Austausch-Nachmittages bei der Erstellung des Gemeindeentwicklungsprogrammes mit einfließen werden. Im Fritzen Stadel wurde am 20. November anhand positiver Beispiele aus dem Vinschgau gezeigt, was aus alten Gebäuden entstehen kann.