„Wir zählen auf euch, neue Generationen von Rebellen“
Die italienische Band Los Fastidios zu Gast in der BASIS. Ein Gespräch über Antifaschismus, die aktuelle Politik und eine besondere Fußballkultur.
SCHLANDERS - Sie schrieben antifaschistische Hymnen, zählen zu den international wichtigsten Streetpunk-Bands, positionieren sich immer wieder politisch, rocken in Südamerika, Hamburg – und Schlanders. Heute setzen sie vor allem auf Ska-Rhythmen Am 26. Dezember spielte die Veroneser Kultband Los Fastidios im Rahmen von Back 2 Basics in der BASIS auf. der Vinschger hat mit Frontmann Enrico De Angelis, der 1991 die Band gründete, und Sängerin Elisa Dixan, früher Tourmanagerin, seit 2019 auch auf der Bühne fixer Bestandteil der Band, gesprochen.
der Vinschger: Wie gefällt es Ihnen im Vinschgau?
Enrico De Angelis: Hier im Vinschgau ist es wunderbar. Wir waren eine Weile nicht mehr hier, vor einigen Jahren waren wir in Naturns. In Südtirol treffen wir immer wieder auf bekannte Gesichter. Wir spielten ja unter anderem mit Jokerface. Wir sind immer glücklich hierher zu kommen, hier haben wir viele Freunde, die uns schon seit vielen Jahren begleiten. Das ist schön.
Wie intensiv sieht das Tourleben aus?
Elisa Dixan: Heute ist das 114. Konzert in diesem Jahr. Wir waren viel im Ausland unterwegs. Unter anderem in Südamerika. Mehrmals in Großbritannien, aber auch in den skandinavischen Ländern, Spanien etc. Überall. Nun sind wir froh wieder in Italien zu spielen. Wir waren zuletzt dieser Tage in Verona, Genua, Mailand und nun in Schlanders.
Welcher Ort hat bisher am meisten beeindruckt?
Enrico De Angelis: Jedes Konzert ist etwas Besonderes. Jeder Ort hat seine Geschichte. Auch hier diese Gemäuer haben ja eine spezielle Geschichte.
Herr De Angelis, Sie haben die Band 1991 in Verona gegründet. Die Stadt gilt historisch als rechts. Rechtsextremismus hat hier eine lange Tradition. Wie schwer ist es für eine antifaschistische Band?
Enrico De Angelis: Es ist die Stadt der Mode, die Stadt von Romeo und Julia. Natürlich gibt es in Verona auch eine andere Realität. Aber ich möchte das Positive hervorheben. Hier gibt es viele antifaschistische Gruppierungen, soziale Menschen, die helfen. Viel Freiwilligenarbeit. Verona ist auch eine Stadt, die seit jeher eine der aktivsten ist in Sachen Solidarität und Ehrenamt. Es gibt eine großartige feministische Szene. Zuletzt vor einigen Wochen, nach dem Mord an Giulia Cecchetin, da versammelten sich 4.000 Menschen für eine Kundgebung. Schauen wir auf die schöne, romantische Seite von Verona. Love, Love, Love, das ist das Verona, welches uns gefällt.
Ihr seid nicht nur in der Skinhead-Szene verwurzelt, sondern auch in der Fußballkultur. Ihr gehört der Fanszene von Virtus Verona – der Verein spielt derzeit in der Serie C – an. Die Anhängerschaft gilt als links und antirassistisch, das „große“ Hellas hingegen hegt und pflegt seit jeher eine rechte Fankultur, insbesondere die Ultraszene gilt als in Teilen offen faschistisch. Gibt es Probleme?
Enrico De Angelis: Wir von Virtus Verona sind eine kleine Realität, ein kleines Team des Viertels. Es ist eine tolle Geschichte, eine Geschichte der Leidenschaft, des echten Fußballs, der Werte. An Werte, an welche wir, die Fans und der Verein glauben. Auch wenn ich viel unterwegs bin und nicht regelmäßig im Stadion sein kann, alljährlich mache ich das Abo. Der kleine Verein lässt von sich reden. Im Kleinen entsteht oft Großes. Wie gesagt, es gibt in Verona auch andere Realitäten. Durchaus. Diese sind vielleicht größer als wir. Hellas Verona und die Anhängerschaft haben derzeit wohl ohnehin genug andere Sorgen. (Anm. der Redaktion: der Verein, der in der Serie A um den Klassenerhalt kämpft, ist in den Sog einer Untersuchung um gefälschte Rechnungen und Bilanzmanipulation geraten. Vermutet wird Steuerbetrug.)
Wir wollen aber nicht über Hellas und deren Fans reden. Und nicht Werbung für diese machen. Wenn sie meinen, uns als kleine Realität stören zu müssen, dann sollen sie das machen. Aber wir kümmern uns nicht um die anderen, sondern um uns. Lasst uns daher auch über andere Sachen reden, über eigene Werte, über das Schöne an Verona, an der Musik und am Fußball. Das ist unsere Sache.
Der musikalische Stil hat sich im Vergleich zu früher etwas geändert, heute viele Ska-Rhythmen, Rocksteady und Reggae, während es zum Jahrtausendwechsel noch in erster Linie schnörkellosen Punk und Oi!-Rock mit aggressiven Botschaften gab. Man denke nur an „Rabbia dentro il cuore“ (Anm. Zorn im Herzen), wo es um den Tod des G8-Demonstranten Carlo Giuliani geht. Woher der Wandel?
Enrico De Angelis: Damals waren es andere Zeiten. Es waren aggressivere Zeiten. Der G8-Gipfel in Genua, die Repressionen seitens des Staates dort und generell. Der Zorn war groß. Die Musik drückt schließlich auch den Gemütszustand aus. Das Album „Guardo Avanti“ aus dem Jahre 2001 ist daher, eben mit Titeln wie „Rabbia dentro il cuore“ aber auch weiteren, wohl durchaus unser aggressivstes.
Wie beurteilen Sie die derzeitige Politik in Italien?
Enrico De Angelis: Die Politik in Italien ist ein Desaster. Es ist traurig. Aber ich bin jemand, der das Glas immer halb voll statt halb leer sieht. Ich habe in meinem Leben immer gelernt, mit Optimismus nach vorne zu schauen. Vor mehr als 20 Jahren habe ich den Song „Guardo Avanti“ geschrieben. Schau nach vorne. Das tun wir auch jetzt. Und der Optimismus ist angebracht. Ich glaube, dass dies ein letztes Aufbäumen der Rechten ist, ein letztes Brüllen eines sterbenden Löwen. Ich bin optimistisch. Ich sehe die neuen Generationen. Die jungen Menschen, die sich in einer offenen Welt entwickeln.
Elisa Dixan: Es gibt Hoffnung, viel Hoffnung. Schauen wir nach Verona, das seit jeher eine schwierige politische Stadt ist. Viele Jahre war die rechte Politik an der Macht, nun seit 2022 regiert erstmals seit langer Zeit Mitte-Links (Anm., der frühere Fußball-Profi Damiano Tommasi, unterstützt von Mitte-Links, wurde in der Hochburg der Rechten überraschend zum Bürgermeister gewählt).
Enrico De Angelis: Ich erinnere an das Lied von 1998, „Noi contiamo su di voi, nuove generazioni di ribelli“ (Anm.: Wir zählen auf euch, neue Generationen von Rebellen), heißt es darin. Das ist aktueller denn je. Wir setzen auf die jungen Menschen, auf die neuen Generationen. Auf der Welt tut sich einiges. Man muss nur zusammenhalten, um Gutes für die Zukunft zu bewirken.