AUSSTELLUNG
Publiziert in 16 / 2003 - Erschienen am 28. August 2003
Friedrich Gurschler und Martin Rainer wurden vor 80 Jahren geboren. Wie sah es damals, 1923, im Schnalstal aus? Südtirol war seit 4 Jahren bei Italien. Über den Alpenhauptkamm führte plötzlich eine Grenze, die auch die Weidegründe der Schnalser durchschnitt. Die Straße führte nur bis Neuratheis. Der Verkehr in das Talinnere musste bis zum Beginn der 30er Jahre durch Saumtiere, Ochsenkarren und Kraxenträger bewältigt werden; erst 1936 – als Friedrich und Martin 13 Jahre alt waren – ist die Straße bis Unser Frau durchgehend befahrbar. Schon 1924 hatte ein großer Dorfbrand Kartaus zerstört – mit schweren sozialen Folgen für das ganze Tal. Die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse (Weltwirtschaftskrise 1930) wurden durch den Verfall der Viehpreise erschwert. Zusammenfassend: Schnals war in den 30er Jahren ein relativ abgeschlossenes Tal mit wenig Außenkontakten, dessen bergbäuerliche Bewohner ein bescheidenes, einfaches Leben führten, das aber frei von Not war.
Friedrich und Martin konnten keine deutsche Grundschule besuchen, die Unduldsamkeit des Faschismus hatte sie abgeschafft, es gab zwar auch in Schnals die so genannte Katakombenschule und die Pfarrschule für den Religionsunterricht – aber gleich drei Schulen mussten vielfach zu einer Überforderung der Kinder führen, vor allem wenn sie noch zu Hause bei der bäuerlichen Arbeit mithelfen mussten. Im Jahre 1939 erlebten die beiden als 16-Jährige das Drama der Option, die hier in Schnals – wie überall in Südtirol – Familie und Dorfgemeinschaft spaltete und beiden Seiten, Optanten und Dableibern, viel Leid bringt. Wie alle Schnalser Buben wurden auch Friedrich und Martin zunächst als Hirten und Knechte gebraucht und entwickelten dabei die schon von Beda Weber im Jahre 1838 beobachtete Freude der Schnalser am Schnitzen. Die ersten Figuren, Krippenfiguren, Tierfiguren entstehen, vor allem aber wird bei beiden auf ganz natürliche und selbstverständliche Art das Formempfinden, das Gespür für Körper und Plastizität geschult.
Im Jahre 1939 allerdings beginnt der Zweite Weltkrieg, viele Männer müssen einrücken, 45 Schnalser kehren nicht mehr in ihr Heimattal zurück. Auch Friedrich und Martin werden mit 20 Jahren eingezogen, überleben den Krieg aber unversehrt (von Martin weiß ich, dass er in der Gefangenschaft eine Schnalser Muttergottes geschnitzt hat). Sie sind zwar wieder in der Heimat, aber ohne Ausbildung, ohne Mittel, mit dem Wunsch im Herzen, Bildhauer zu werden – es gab noch kein autonomes Land Südtirol mit den vielen Stipendien und Künstlerbeihilfen. Und so blieb den beiden kein anderer Weg als zwei Jahre lang als Knechte zu arbeiten, um dann mit dem ersparten Geld nach Gröden zu ziehen und dort fünf Jahre lang die Kunstschule zu besuchen. Anschließend besuchen sie die Akademien von München und Nürnberg und schließen sie mit 36 Jahren erfolgreich ab – und erst von diesem Zeitpunkt an kann ihr großes Werk entstehen.
Hier müssen wir einen Augenblick innehalten und überlegen, was die Entscheidung für einen künstlerischen Beruf bedeutet (damals bedeutet hat). Zunächst ist es die Entscheidung für einen schwierigen Weg, von dem man nie weiß, ob er zum Erfolg führt. Einmal abgesehen von der Sicherheit über die eigene Berufung, muss ein guter Künstler seiner Zeit einen Schritt oder auch mehrere voraus sein, nach neuen, nur ihm eigenen Gestaltungswegen suchen und die Bahnen des Gewohnten und Vertrauten verlassen – dies führt oft bei den Zeitgenossen zu Miss- verständnissen und Ablehnung, wie auch Friedrich und Martin erfahren mussten. Zudem haben es Bildhauer – im Vergleich mit Malern etwa – besonders schwer, weil sie mit einem besonders schwierigen Material arbeiten müssen und ihre Werke naturgemäß einem besonders langen und mühseligen Entstehungsprozess unterworfen sind. Friedrich und Martin haben natürlich von all diesen Schwierigkeiten und Problemen gewusst und sind trotzdem zielsicher ihren Weg gegangen, - in einer Zeit als es fast keine öffentlichen Aufträge gab (1970 ist auch in Schnals eine schwierige Zeit, viele müssen auswärts Arbeit suchen, erst die Eröffnung der Gletscherbahn im Jahre 1975 bringt die Wende).
Doch nun zum Werk, das – wie ich glaube – in einer engen Verbindung zu Kunst und Leben – von den alten Schnalser Eigenschaften und Werten geprägt ist:
Fleiß und hohes Arbeitsethos: Wenn man bedenkt, dass bei beiden das eigentliche künstlerische Schaffen erst mit 35/36 Jahren einsetzt, staunt man über die fast schon nicht mehr überschaubare Fülle von Werken, die sie geschaffen haben. Wer solches leistet, braucht große Ausdauer und Fleiß. Beide verbinden dabei ein hohes handwerkliches Können mit einer natürlichen Beziehung zum gewählten Material (Holz, Bronze, Kupfer, Marmor, Porphyr usw.) und dies alles in einer symbolisch verdichteten Formsprache.
Bescheidenheit, Zurückhaltung und Unbestechlichkeit: Sie haben ein Werk geschaffen, das dem Schnalstal und ganz Südtirol zur Ehre gereicht. Sie sind trotz des Ruhmes, der Preise und Orden, die ihnen verliehen wurden, einfach und bescheiden geblieben und haben sich nur über eine Auszeichnung am meisten gefreut: und das ist die Ehrenbürgerschaft von Schnals. Was die Unbestechlichkeit anlangt, sage ich Folgendes: Niemand kann zu Friedrich oder Martin hingehen, um eine Plastik zu kaufen. Wehe dem Sammler, der keinen anderen Grund kennt als seine Sammellust. Es braucht entweder eine langjährige persönliche Beziehung oder einen konkreten Anlass. Als mich ein verzweifelter Kunstfreund einmal fragte, wie komme ich zu einer Plastik, konnte ich nur antworten: Wenn du stirbst, erhältst du sicher ein Grabkreuz.
Familiensinn und die Freude mit und an den Kindern: Frau und Kinder sind ihre Lieblingsmodelle, so gestaltet Friedrich immer wieder die Zwillinge Annemarie und Friederike, den Sohn Gregor, die Frau Annemarie; Martin genauso Clementine und die sieben Kinder, deren Spiel und Bewegung er in vielen Plastiken festgehalten hat.
Epische, das heißt erzählerische Begabung: Beide sind als Menschen gute Erzähler aber noch mehr als Künstler, denken Sie bei Friedrich nur an die Krippe – welche Fülle an Episoden sie enthält, oder bei Martin an die Grabkreuze draußen am Friedhof von Karthaus. Dazu noch eine Bemerkung: Wenn jemand erzählt, muss man sich Zeit nehmen und zuhören können, so ist es auch bei der Betrachtung von Kunstwerken, nur wenn man sich Zeit nimmt, erschließen sie sich dem Betrachter.
Und nun komme ich zum entscheidenden Punkt bei Friedrich und Martin und das ist ihre überzeugte, tief empfundene Religiösität. Daher ist es einsichtig, dass der Schwerpunkt ihres Schaffens im sakralen Bereich liegt.
Diese Religiösität gilt auch für Gurschlers Tierdarstellungen und die großen Krippen, die für ihn nicht so sehr Zeugnisse der alten Kulturlandschaft des Schnalstales sind, sondern ganz unter dem Motto stehen: Die Schöpfung preist den Herrn.
Marjan Cescutti
Die Ausstellung im Kreuzgang von Karthaus in Schnals dauerte vom 20. Juli bis 24. August 2003 und enthielt eine Reihe noch nie oder selten gezeigter Arbeiten.