Ceval oder Zufall - was ist besser, was ist richtig?

Publiziert in 28 / 2007 - Erschienen am 25. Juli 2007
Autor: M. Reichstein Martell – Wenn bei der Nennung der Marteller „Zufall“-Hütte auf die Herkunft dieses originellen „Zufall“-Begriffes Bezug genommen wird, dann dominiert gegenwärtig die ­Version, dass das Wort etwas mit „zum Fall“, also der Nachbar­schaft zum attraktiven Wasserfall vom Hohenferner zu tun hat. Doch eine solche Begründung berührt nicht den wahren Kern der wechselvollen Anwendungen der Bezeichnungen: ­Zufall und Ceval. Um der Objektivität näher zu kommen, werden hier einige historische Quellenbezüge mit wörtlichen Zitaten angeführt. Eröffnen wollen wir diesen geschichtlichen Exkurs mit Hinweisen aus der Marteller Chronik des Joseph Eberhöfer (1784-1864). Zu unserem Thema „Ceval oder Zufall“ finden sich hier etwas versteckt ab Seite 160 sogar eine ganze Reihe von Zufall-Ceval-Verbindungszitaten. Selbst die selteneren Begriffsvarianten wie „Zerfall“ für Zufall oder gar „Jufall“ bis „Juval“ für Zufall (S. 164) werden erwähnt. Bei den zunehmend auf Erkundungsreisen befindlichen Akademikern jener Zeit sehen wir dann 1855 die Ceval-Bezeichnung für die Weideplätze dieser Region in bevorzugter Anwendung; so zum Beispiel bei Friedrich Simony (1813-1896), von dem das bekannte Bild vom hintersten Martell stammt, das er „im Cevel“ nennt (siehe auch Abbildung). Julius von Payer (1841-1915) verhält sich etwas reservierter, wenn er gleich eingangs seiner großen Kartierungsarbeit über die Gebiete Martell, Laas und Saent in „Petermanns Geographischen Mitteilungen“ von 1872 (Seite2) schreibt: „Peter Anich und nach ihm der Generalstab wie der Kataster nannten den dreigipfeligen zeltartigen Schneebau im Hintergrund des Zufall Zufall-Spitze. Eine Notiz im Österreichischen Alpenvereinsbuche, welche diesen Namen verwarf, veranlasste mich, auch den Namen Cevedale einzutragen.“ Was verbirgt sich hinter dieser Payer-Notiz von 1865? Es sind dies die Erkenntnisse vor allem der Wiener Forschungsreisenden um die Mitte des 19. Jahrhunderts, wie sie zum Beispiel Edmund v. Mojsisovics (1839-1907), Wiener Alpinist, Dolomiten- und Ortlerexperte, mit weit ausholender, logischer Begründung in den Schriften des Österreichischen Alpenvereins (1865) wiedergegeben hat. Auszugsweise sei hier die wichtigste Passage wörtlich wiedergegeben. Es heißt dort in seinem Beitrag mit dem Sammeltitel „Aus den Orteler Alpen“ auf Seite 227: „Der Angelpunkt dieser Irrtümer scheint mir einzig in der Identificirung der Suldenspitze zu liegen.... Indem sie nun durch den in Tirol nicht gebräuchlichen Namen Cevedale für ihre ‚Zufallspitze‘ irre geführt, denselben der Suldenspitze beigaben, erhielten sie die merkwürdige Route um die Suldenspitze und mussten dem Suldenferner den Namen ‚del Monte Martello‘ aufoctroieren.“ Man vergleiche zum Verständnis der Fehleinschätzungen aus damaliger Zeit den Kartenausschnitt aus „Petermanns Geographischen Mitteilungen“ von 1865. Auf Seite 228 heißt es dann u. a.: „Die allgemein beliebte Nomenklatur ‚Zufallspitz‘ ward in der letzten Zeit von mehreren unseren Alpengeographen, so von Sonklar, Ruthner, aufgegeben und dafür das dem heutigen Sprachgebrauch im Martell entsprechendere ‚Zufallspitz‘ adoptiert.“ Auf gleicher Seite fügt er dann noch an: „Die oberste Thalstufe des Martellthales wird von den Eingeborenen ‚im Zefahl‘ (phonetisch geschrieben) genannt, und davon nennen sie auch par excellence das Fürkele ‚den Zefahlspitz’“. Auf Seite 229 finden wir dann seine wichtigsten Schlussfolgerungen, in denen es heißt: „Es wäre, wenn es eines weiteren Beweises für meine Anschauung bedürfe, noch daran zu erinnern, dass die sogenannte Suldenspitze, von der Val di Cedeh gesehen, nur als ein unbedeutender Höcker aus dem weiten Sattel sich abhebt, der die Königsspitze mit unserem Monte Cevedale verbindet, dass sonach für die mit Namen geizenden Bewohner von Val Furva gar keine Veranlassung vorlag, die unscheinbare Erhöhung mit einem besonderen Namen auszuzeichnen. Denn das scheint sicher, dass ‚Cevedale‘ von der italienischen Seite stammt.“ Und dann schließt er seine kritische Stellungnahme mit den Worten: „Sind meine Speculationen richtig, so ist damit das Geschick des von Peter Anich, wie es scheint, eingeschmuggelten ‚Zufall’ entschieden.“ Um mehr Verständnis für die von Mojsisovics aufgeführten Irrtümer besonders in der Verwechslung von Cevedale und Suldenspitze zu gewinnen, muss man sich vergegenwärtigen, dass gerade zu Peter Anichs Zeiten, als dieser seinen großen Tyrolatlas (gedruckt 1774) schuf, die Kartographie im alpinen Bereich sich in einer Umbruchphase befand, da man eben erst anfing, ein dazu dienliches Netz von Höhenmessungen anzulegen. Für uns empfiehlt sich heute, vor allem das Bestehen von mindestens zwei Hauptrichtungen historischer Quellen nicht außer Acht zu lassen - die eine von Norden kommend, die andere von Süden. Und so, wie die einen ihre Deutung mit einem sehenswerten Wasserfall verbinden, der allerdings in der Sprache der Einheimischen auch „Kuenzentschatter“ genannt wird, so lässt sich „Ceval“ als Wortkombination abgekürzt aus „Cembra“ für die hier und an der oberen Waldgrenze vorherrschende Arve oder Zirbe mit dem Anhang „val“ (vallis) nach romanischem Wortstamm für Tal verstehen. Somit könnte einst unter den sich von Nord und Süd ­begegnenden Hirten nur ein charakteristisches Umfeld ihrer Weideplätze angesprochen worden sein.

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