Die langsame Heimkehr des Gottfried D.
Publiziert in 11 / 2009 - Erschienen am 25. März 2009
Meran/Matsch – In die nostalgisch-elegante Atmosphäre des Meraner Cafès Villa Bux passt Gottfried Deghenghi bestens. Der 41-jährige Filmemacher wirkt, als habe ihn gerade Franz Kafka beraten, Sunnyboy David Frost darzustellen: Die Mischung aus jungenhafter Leichtigkeit mit einer Prise Melancholie bestimmt zumindest den ersten Eindruck.
Gottfried Frank Deghenghi wird vielleicht öfter so gesehen: er selbst findet äußerlich wenig Südtirolerisches an sich. Dabei kommt der Adoptivsohn des in Meran ansässigen Wiener Filmemachers Mario Deghenghi aus dem Matscher Tal. Von einem Hof, wo 1969 noch kein fließend Wasser war, wo seine kranke Mutter elf Kinder zu versorgen hatte, von eben jenem Matscher Hof, über den Mario Deghenghi 1969 einen Film drehte. Und der später den dreijährigen Gottfried als seinen Adoptivsohn nach Meran brachte. Seine leiblichen Eltern sah Deghenghi im Laufe seines Lebens selten, obwohl er sie hin und wieder besuchte: „Das Bewusstsein war immer vorhanden.“ Mit dem Adoptivvater erschließt sich für ihn bald eine andere Welt: Fünfjährig begleitet er seinen Vater zu Dreharbeiten, lernt Luis Trenker kennen, viele Prominente, trägt Kabel, schaut durch die Kamera, ist einfach dabei. Und dann, mit 16, macht er seinen ersten eigenen Film: „Meran im Herbst“ ist das Ergebnis seiner Beobachtungen, die er zu Fuß in Meran anstellt. Er spricht italienisch, schließlich kommt seine Adoptivmutter Renata aus Triest. Aber Zweisprachigkeit reicht ihm nicht: Länder, die gutes Essen und Trinken anböten, so der Matscher Meraner, hätten es ihm angetan. Frankophil ist er und Russland hat es ihm angetan. Tolstojs „Krieg und Frieden“ kann er nach vier Jahren Russischkursen und einigen Russlandaufenthalten im Original lesen. So klärt sich der erste Eindruck. Er scheint ein Mann zu sein, der sein Gespür für das Savoir-vivre mit einem kleinen Schüsschen Schwermut mixt. Während er von seinem Vater das Handwerk lernt, das Schneiden, das Filmen und alles, was sonst noch dazugehört, denkt er darüber nach, die Filmakademie zu besuchen. Aber nicht lange, denn sein Vater überzeugt ihn, dass dies keineswegs so vorteilhaft wäre, wie er es sich ausmalt. Ein Rückgrat baut er sich auf, indem er die Hotelfachschule besucht, „dann durfte ich in den Betrieb meines Vaters einsteigen.“
In Russland legt er 14.000 Kilometer mit dem Auto zurück, besucht St. Petersburg, Wolgograd, Moskau. 1997 zeigt er den Film, für den er unterwegs war: „Kriegsgefangenschaft in Russland 1944-1955 - Man hat es überlebt.“ Für die Dokumentation sprach er mit Südtiroler Spätheimkehrern, ein Obervinschger ist dabei. Durch diese Berührung mit menschlichen Schicksalen stelle sich die Frage: „Wie respektiere ich eine Person?“ Deghenghi habe dadurch gelernt, mit Menschen umzugehen. „Wie war das Leben im Lager? Wie der Kontakt zur Zivilbevölkerung?“ fragte sich der Filmer und förderte bei den Dreharbeiten einiges ans Licht, was lange keiner wissen wollte. Noch heute ist das Feld rund um die späte Kriegsgefangenschaft in Russland so unerforscht wie die Leichen, die immer wieder einmal dort gefunden werden.
Nicht nur Dokumentationen reizen den Filmemacher, obgleich er über das Filmen zu seinem Ursprungsfleckchen hinfindet: Nach einem Potpourri über Mals soll eines in diesem Jahr über Matsch folgen. Mittlerweile hat ihn das Interesse am Durchzugsgebiet entlang der Claudia Augusta und ihrer viel gepriesenen Mystik gepackt. Im letzten Jahr zeigte der Produzent - unter anderem auch des Eltern- und Jugendmagazins Klick (RAI) - mehr von seiner Spielfilmer-Leidenschaft: „Angeli in Fuga: Luigi Bartolini - Anni a Merano.“ Aufgrund seines Erfolges im Herbst 2008 wird der Film in diesem Frühling nochmals gezeigt. Die Geschichte ist spannend, schließlich handelt sie von einem der eklektischsten Künstler, der je in Meran lebte: Luigi Bartolini. Von den Faschisten nach Meran ins Exil verbannt, verbrachte der Maler und Schriftsteller (Vittorio de Sica verfilmte sein Buch „Die Fahrraddiebe“) eine künstlerisch durchaus hochproduktive Zeit im erzwungenen Exil. Der vielseitig talentierte Mittvierziger lernte dort ein junges Mädchen kennen, Anna Pichler. Sein Roman „Vita di Anna Stickler“ ist Zeugnis dieser unkonventionellen Liebe. Die Geschichte ist eine traurige, erzählt in ästhetischen Bildern. Die Suche nach der Ästhetik, die er in Spielfilmen ausdrücken kann, beschäftigt Deghenghi: „Sich auf das Wesentliche konzentrieren,“ darauf komme es an. Anfang April kann jeder schauen, wie gut ihm das gelungen ist.
Katharina Hohenstein