Organisatoren und Festredner: Tanja Flarer, Zeno Christanell, Michael Ganthaler, Leo Andergassen und Sigrid Rosa (von links).
Martin Pittertschatscher erklärte Deborah, Magdalena und Petra Fliri (v.l.) die Zusammensetzung der Putzmasse.
Florian Hofer interpretierte und die Gruppe „Pasui“ mit Barbara Grimm (Bozen), Volker Klotz (Lana) und Johanna Springeth (Bozen) sorgte für den mittelalterlich-musikalischen Hintergrund.
Maria Theresia Kreid

„Weder Provinzfall, …

… noch Phänomen der Peripherie.“

Publiziert in 15 / 2023 - Erschienen am 29. August 2023

Naturns - Es war nicht das Ende des Jubiläumsjahres, aber es war ohne Zweifel ein Höhepunkt. Nicht nur, weil am 26. August alles gepasst hatte. Trotz der Unruhe, den der leichte Regen am frühen Morgen unter den Freiwilligen des Prokulus-Kulturvereins, der Pfarrei St. Zeno, des Prokulus-Museums und der gemeindeinternen Initiativgruppe KULTUR Naturns zur Folge hatte. Der letzte Samstag im August wurde zum Kultur-und Festtag erklärt zur Erinnerung an die Freilegung der weltberühmten Fresken vor 100 Jahren. Das „faire Frühstück“ des Weltladens Latsch unter Obmann Richard Theiner nannte Bürgermeister Zeno Christanell „einen sinnigen Auftakt und eine runde Geschichte.“ Vor der angekündigten Festrede des Kunsthistorikers Leo Andergassen schauten die Besucher bei Restaurator Martin Pittertschatscher aus Bozen vorbei. Er bot einen handwerklichen Zugang zur Fresko-Maltechnik. Immer wieder und immer wieder altersgemäß musste der Restaurator und Konservator erklären, wie man vor mehr als 1.000 Jahren imstande war, solche Farben zu entwickeln und sie haltbar an den Wänden anzubringen.

„Tiefgründiges angestoßen“

Den Festakt eröffnete Kulturreferent Michael Ganthaler zu den Klängen eines Horn-Quartetts der Musikkapelle Naturns unter der Leitung von Dietmar Rainer. Bürgermeister Christanell machte für den warmen Samstag den Viehpatron St. Prokulus auch zum Wetter-Heiligen. Er begrüßte unter den Ehrengästen Maria Theresia Kreidl als Präsidentin des Prokulus Kulturvereins, die Museumsleiterin Tanja Flarer, die Familie Koch als langjährige Betreuer in St. Prokulus und als Festredner den Kunsthistoriker Leo Andergassen. „Dieses Jahr hat sehr viel Tiefgründiges angestoßen“, stellte er fest. Und erwähnte als weiteres Vorhaben eine literarische Aufbereitung des Prokulus-Jahres“ durch Selma Malknecht zusammen mit dem Historiker Kurt Gritsch. Festredner Andergassen stellte sich freiwillig in den Schatten und schaffte auf scharfsinnige Weise nicht nur einen unmissverständlich klaren Blick auf die Datierung des Kirchenbaus und der Fresken, sondern gestand, dass sich die Fresken von St. Prokulus einer schnellen und griffigen Erklärung entziehen. „Aber gerade, weil sich die Malereien nicht mit einem eindeutigen ‚so und nur so‘ erklären lassen, wird sie unwahrscheinlich modern“. Für Andergassen war klar: „Die Fresken von St. Prokulus machen ein breites europäisches Netzwerk erforderlich, um über Parallelen Rückschlüsse auf das Bildsystem einzuholen.“ St. Prokulus sei kein Provinzfall. Es bleibe eingebettet in eine breite Entwicklung, ohne selbst in dieser Entwicklung eine eindeutige, durch Schulbeispiele erhärtete Position zu beziehen. St. Prokulus sei auch kein Phänomen der Peripherie. An der Via Claudia Augusta gelegen erfüllte es alle Bedingungen hoher Frequenz, vergleichbar mit der einer mittelgroßen Stadt. Mobilität sei im Mittelalter die lebenserhaltende Infrastruktur per se. Das Nachdenken über St. Prokulus gehe weiter. An St. Prokulus werde deutlich, was Mittelalter eigentliche sei: ein Kräftemessen zwischen römischen, germanischen und christlichen Komponenten. Ein nachdenkliches Publikum begab sich in die Mittagspause.

„Forschung steht nie still“

Eine andere Art der Vermittlung bot der gebürtige Stilfser und Kunsthistoriker auf Schloss Runkelstein, Florian Hofer. Das Besondere an den Fresken in St. Prokulus sei die nicht enden wollende Diskussion über Alter und Interpretation der Fresken. Hier stehe die Forschung nie still. Einstimmen ließ er das Publikum mit Dudelsack, Drehleier und Trommel durch die mittelalterlichen Klänge des Trios „Pasui“. Nicht weniger und nicht mehr wolle er das vermitteln, was die Gläubigen vor gut 1.000 Jahren auch gesehen haben. Erschwerend sei, dass die Einmaligkeit und Einzigartigkeit der Malerei nicht vergleichbar seien. In Sinne des Wortes „anschaulich“ versuchte Hofer einige Interpretationsansätze. Auch Hofer orientierte sich an der nachgewiesenen Datierung der verschiedenen Figurengruppen und -szenen. Gespannt verfolgte man die Interpretation der Darstellungen an Süd-, West- und Nord-Wand. Es waren Einzelheiten, auf die Hofer hinwies und die fesselten. So soll Prokulus, oder die Gestalt, die man für Prokulus hält, aus Verona gejagt worden sein. Für die rätselhafte Rinderherde an der Westwand trug Hofer zwei Interpretationen vor. Es könnte sich um die Darstellung des „ehernen Meeres“ im Alten Testament handeln. Ein Metallbecken ruhe auf 12 Rindern (Buch der Könige 7,23). Zudem würden in der Vita des Heiligen Zeno – bekanntlich der Pfarr-Heilige in Naturns – auch Rinder auftreten. Abschließend dankte die Vorsitzende des Prokulus Kulturvereins, Maria Theresia Kreidl, allen Beteiligten am Kulturtag und bat die Musiker um  Erläuterungen zu ihren Instrumenten.

Günther Schöpf
Günther Schöpf
Vinschger Sonderausgabe

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