Abriss eingestellt
Um 5 Uhr ging es los und am späten Vormittag hieß es Stopp. Schlanderser Bürgermeister im Kreuzfeuer der Kritik.
Schlanders - Was sich am 5. Oktober ab 5 Uhr in der Früh auf dem Gelände der ehemaligen Drusus-Kaserne abspielte, wird sicher in die Annalen der Schlanderser Dorfgeschichte eingehen. Den offiziellen „Auftakt“ der Aktion hatte Bürgermeister Dieter Pinggera am Abend zuvor mit der Anordnung „Abbruch von Kasernen“ gesetzt. Die Anordnung wurde am 4. Oktober um 17.38 Uhr digital unterzeichnet. Am Morgen danach - es war noch stockdunkel - fuhren mehrere Bagger und Lastkraftwagen auf und rissen nicht wenige Anrainer aus dem Schlaf. Auch eine stattliche Anzahl von Ortspolizisten war vor Ort. 2 der 4 großen Gebäude-Riegel wurden abgesperrt: einmal die sogenannte „Palazzina Comando“ mit der Marmorfassade an der Bahnhofstraße und einmal die „Palazzina Misurata“, der Südriegel. In der „Palazzina Servizi“ wo sich die BASIS befindet, und in der BASIS-Kreativwerkstatt in der „Palazzina Tagliamento“ (Nordriegel) fielen die Leute ebenso aus allen Wolken wie die Anrainer der unmittelbaren Umgebung.
„Zeitpunkt wurde bewusst gewählt“
Dass die Abbrucharbeiten an den zwei genannten Gebäude-Riegeln bei Nacht und Nebel beginnen würden, hatten nur sehr wenige gewusst. „Wir haben diese Vorgangsweise bewusst gewählt, um Proteste aus gewissen Kreisen zu vermeiden und einen ‚Aufstand’ zu verhindern. Dass wir damit nicht falsch lagen, zeigen die Protestaktionen, zu denen es derzeit kommt“, sagte Dieter Pinggera kurz nach 10 Uhr in seinem Büro im Rathaus. Zu dieser Zeit war er bereits außerstande, alle Telefonate, mit denen er bombardiert wurde, entgegenzunehmen. Den Medienvertretern erklärte er, dass mit den Abbrucharbeiten das umgesetzt werde, „was im Rahmen eines langjährigen, aufwendigen und demokratischen Entwicklungsprozesses entstanden ist und vereinbart wurde.“ Der Abriss des Kommando-Gebäudes und des Südriegels bette sich in ein Nachnutzungskonzept ein, wie es der Gemeinderat und weitere Gremien beschlossen hätten: „Wir tun das, was wir beschlossen und auch immer kommuniziert haben. Ein sehr großer Teil der Bevölkerung steht hinter dem Konzept.“
„Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit“
Zur Frage „Warum jetzt und warum um 5 Uhr in der Früh?“ meinte Pinggera: „Der gesetzliche Verwahrer der Liegenschaft, Georg Sagmeister, und Sonja Wallnöfer vom Infrastrukturamt haben am 20. September bei einem Ortsaugenschein schwere strukturelle Mängel festgestellt.“ Zusätzlich zu Verfallserscheinungen seien Absperrungen immer wieder aufgebrochen worden. Unbefugte seien in das Areal eingedrungen und Obdachlose hätten in den Ruinen die Nacht verbracht. Dies und mehr habe ihn veranlasst - übrigens mit der Rückendeckung des gesamten Ausschusses - die Abbrucharbeiten aus „Gründen der öffentlichen Sicherheit“ anzuordnen. In der Anordnung ist auch von einer Einsturzgefahr bestimmter Gebäude-Teile die Rede.
Schaffung von Wohnraum
Gemäß dem Nachnutzungskonzept der Gemeinde soll auf dem Areal vor allem Wohnraum geschaffen werden. Der Abriss des Südriegels ist laut Pinggera außerdem auch eine Voraussetzung dafür, um einen Teil dieser Fläche für den Bau der dringend notwendigen Tiefbauhalle für Landesberufsschule nutzen zu können. Zur Marmorfassade an der „Palazzina Comando“ sagte er, „dass sich die Firmen, die mit dem Abriss beauftragt sind, bemühen werden, die Fassade nicht zu zerstören, sondern schonend abzubauen, damit Teile davon in Zukunft möglicherweise als Erinnerungs-Relikte aufgestellt werden können.“ Für einen Teil der „Palazzina Tagliamento“ an der Kortscher Straße gebe es eine Nutzungsleihe mit der BASIS, die Ende 2023 abläuft. Eine Verlängerung dieser Zwischennutzung um 5 oder 10 Jahre könne er sich vorstellen.
Proteste und Kritik
Im Bereich des Kommando-Gebäudes, wo der Abriss voll begonnen hatte, kam es schon in den frühen Morgenstunden zu Protestaktionen. Bitter enttäuscht und verärgert über die Nacht- und Nebelaktion zeigten sich vor allem Vertreter der Initiative Drususkaserne und von BASIS Vinschgau Venosta. Diese vom Bürgermeister angeordnete Aktion „wirft uns weit in die Vergangenheit zurück“, hieß es wörtlich. Angesichts der aktuellen Diskussionen rund um Klimawandel und Nachhaltigkeit „ist das, was wir heute hier erleben müssen, völlig absurd und anachronistisch.“ Besonders groß war der Frust u.a. bei Gerda Platzgummer Wellenzohn: „Unsere Initiative hat bereits alternative Vorschläge für die Nachnutzung ausgearbeitet. Es wurde uns außerdem versprochen, uns noch Zeit einzuräumen und über Kompromisse zu diskutieren.“ Nun aber habe der Bügermeister mit der Brechstange alles zunichtegemacht.
„Ist noch was zu retten?“
Diese Frage hatte BASIS Vinschgau Venosta schon um 8 Uhr in einer Eilmeldung aufgeworfen: „Die Initiativgruppe Drususkaserne, die sich für den Erhalt des Ensembles, der Freiflächen und des Baumbestandes einsetzt, ist schockiert.“ Die Gruppe versuche schon seit einem Jahr, Gespräche für eine alternative Nachnutzung in die Wege zu leiten. Neben Protestaktionen einiger Personen von der BASIS bzw. der Kreativwerkstatt kam es am Vormittag des 5. Oktober auch zu scharfen Stellungnahmen verschiedener Parteien. Der Landtagsabgeordnete Hanspeter Staffler von den Grünen z.B., der sofort zum Ort des Geschehens geeilt war, sprach von einem „überfallartigen Abriss.“ Diese Vorgehensweise deute darauf hin, „dass der Bürgermeister Tatsachen schaffen will, um ein enormes Immobilienprojekt durchzudrücken.“ Staffler sprach von einem „unglaublichen Skandal und einer riesigen Enttäuschung für alle junge Menschen, die für sich und für den gesamten Vinschgau das Kasernenareal als lebenswerten Wohn- und Arbeitsort entdeckt haben.“ Staffler kündigte zudem eine Anzeige gegen Dieter Pinggera, Georg Sagmeister und Sonja Wallnöfer an, „weil einige Behauptungen, wie sie in der Anordnung aufgestellt wurden, schlichtweg nicht wahr sind.“
„Sofortige Einstellung“
Die Landeskonservatorin Karin Dalla Torre hat noch am Vormittag die sofortige Einstellung der Arbeiten verfügt, „da diesen Arbeiten kein Antrag auf Feststellung des kulturellen Interesses vorangegangen ist.“ Für den Abbruch öffentlicher Gebäude, die älter als 50 Jahre sind, müsse eine Zustimmung des Landesdenkmalamtes vorliegen, das ein mögliches kulturelles oder denkmalpflegerisches Interesse überprüft, so Dalla Torre. Dies sei im Falle der Drususkaserne nicht geschehen. Vielmehr werde das gesamte Gelände derzeit im Auftrag des Landesdenkmalamtes bauhistorisch untersucht. Dalla Torre: „Diese Untersuchung wurde zwischen Landesdenkmalamt und Gemeinde vereinbart und noch nicht abgeschlossen.“
Ortsaugenschein angekündigt
Bei einem gemeinsamen Lokalaugenschein mit der Gemeinde wolle das Landesdenkmalamt nun klären, inwieweit die Schäden an den historischen Gebäuden behoben oder die gesetzten Maßnahmen rückgeführt werden können. „Nun wird anhand eines Lokalaugenscheins ermittelt, was es noch zu retten gibt oder wie hoch der entstandene Schaden ist“, schrieb BASIS nach der Einstellung der Abbrucharbeiten. Auch die Vorgehensweise des Abrisses werde auf Ordnungsmäßigkeit und Zulässigkeit überprüft. Mit einer Online-Petition bittet BASIS um Mithilfe, „um einer organischen, bedarfsorientierten Entwicklung Raum zu geben.“ Wie sich der Bürgermeister im Anschluss an den einstweiligen Baustopp äußerte, komme eine Unterschutzstellung für die Gemeinde nicht in Frage. Gegen eine Erhebung bzw. baugeschichtliche Dokumentation habe man nichts einzuwenden. Am 7. Oktober wurde eine Pressemittelung des gesamten Gemeindeausschusses verschickt (siehe Bericht auf Seite 9). Ob die Abrissarbeiten in wenigen Wochen fortgesetzt werden können, ist derzeit noch offen.
„Politischer Wille und Verpflichtung“
Dass an der Absicht, das Kommando-Gebäude und den Südriegel abzureißen, nicht gerüttelt wird, hatte Dieter Pinggera schon am Vormittag des 5. Oktober erklärt: „Es ist unser politischer Wille und auch unsere Verpflichtung, demokratisch und so gut wie einstimmig gefasste Beschlüsse umzusetzen.“ Was nicht wenige Bürgerinnen und Bürger im Zusammenhang mit der Aktion kritisieren, ist - unabhängig vom Abriss an und für sich - die Vorgangsweise: war es wirklich notwendig, unangekündigt und noch vor dem Morgengrauen auf diese Art und Weise vorzupreschen? Neben allen Protesten waren unter den Zuschauern auch andere Meinungen zu hören. Zum Beispiel: „Ich freue mich, dass diese Kasernen-Relikte endlich dem Erdboden gleichgemacht werden.“
Von „Brutales Aus“ bis „Ja zu Abriss“
Der von Bürgermeister Dieter Pinggera angeordnete Abriss führte sofort zu Stellungnahmen und Reaktionen, auch von Seiten verschiedener Parteien. Die Grünen schrieben von einem „brutalen Aus“ für Teile des Kaserenareals und haben noch am 5. Oktober eine Anfrage eingebracht, mit der sie Antworten seitens der Landesregierung auf viele Fragen einfordern. Das Team K äußerte sich entsetzt über die Vorgangsweise, die Nichtinformation sowie die Nichteinbindung der Bevölkerung und der Initiative Drususkaserne. „Ja zu Abriss und Wohnungsbau, aber ohne Hau-Ruck-Aktion“ ist die Kernbotschaft der Freiheitlichen. Es brauche dringend Flächen für leistbaren Wohnraum. Dies stehe nicht im Widerspruch zu einer vielfältigen Nutzung oder zur BASIS, „denn beides ist wichtig und das Areal ist wahrlich groß genug.“ Der Bezirk Vinschgau der Süd-Tiroler Freiheit bezeichnet das Verhalten des Bürgermeisters als „äußerst fragwürdig und politisch unklug.“ Man hätte vorab einfach die gesamte Bevölkerung direkt miteinbinden können, „um einen passenden Konsens zu finden.“ Unverständlich ist für die Süd-Tiroler Freiheit, dass das Denkmalamt den Abriss nur deshalb gestoppt habe, „weil es sich um ein faschistisches Bauwerk handelt.“ Das Denkmalamt handle hier völlig einseitig, „denn jedes Jahr werden in Südtirol teils jahrhundertealte Bauwerke abgerissen und unwiederbringlich zerstört, ohne dass das Denkmalamt eingreift.“ Die „halbabgerissene Bauruine“ stehen zu lassen, „ist jedenfalls kategorisch abzulehnen.“ - Voll hinter die Landeskonservatorin stellt sich indessen die Architektenkammer. Die Schäden an der „Palazzina Comando“ dürften nicht mehr wiedergutzumachen sein.“ Die Architektenkammer fordert Aufklärung darüber, „ob das Handeln der Gemeinde tatsächlich angemessen und verhältnismäßig war.“