„Alles hat seine Zeit“
Markus Joos, langjähriger Leiter des Bezirksamtes für Landwirtschaft, ist in Pension.
Schlanders - Rund 4 Jahrzehnte war Markus Joos, gebürtig aus Taufers im Münstertal, in verschiedenen Bereichen der Landwirtschaft tätig, zuletzt als Leiter des Bezirksamtes für Landwirtschaft in Schlanders. Im Interview mit dem der Vinschger spricht der Neo-Pensionist über die Entwicklung der Landwirtschaft im Vinschgau, aktuelle Herausforderungen im Obstbau und in der Berglandwirtschaft, über die Milchviehalmen, Wolf und Bär, die Förderpolitik und darüber, dass auch „Bauernhof drin“ sein soll, wo es „draufsteht“.
der Vinschger: Etwas mehr als 19 Jahre lang haben Sie das Bezirksamt für Landwirtschaft in Schlanders als Amtsdirektor geleitet. Wie fühlte es sich an, als Sie Ende Juni in den Ruhestand traten?
Markus Joos: Ich war rund 4 Jahrzehnte in einem landwirtschaftsnahen Umfeld tätig, über 30 Jahre in der Landesabteilung Landwirtschaft mit Stationen in Bozen, Meran und vor allem in Schlanders und dazwischen 9 Jahre beim Bonifizierungskonsortium Vinschgau. Die Gefühle nach der Pensionierung schwanken zwischen Dankbarkeit für das Erlebte, einer bestimmten Genugtuung über das Gelungene und vielleicht auch ein bisschen Wehmut über das Vergangene. Insgesamt gesehen fühlt es sich aber jedenfalls gut an.
Wie war es im Jahr 2006, als Sie Amtsdirektor wurden, um die Landwirtschaft im Vinschgau insgesamt bestellt und wie ist die Lage fast zwei Jahrzehnte nachher?
Im gesamten europäischen Raum ist die Anzahl der Landwirtschaftsbetriebe rückläufig, im Vergleich dazu ist dieser Rückgang in unserem Land – auch aufgrund der gezielten Förderpolitik zugunsten der kleineren Betriebe – weniger stark ausgeprägt; er lässt sich aber nicht gänzlich vermeiden. Der Vinschgau und seine Landwirtschaft bilden keine Insel, sondern sind eingebettet in Entwicklungen auf globaler und auf europäischer Ebene. Vor 20 Jahren schaute „die Welt noch relativ stabil aus“. Und dann kam eine Krise nach der anderen, von der Finanzkrise über die Wirtschaftskrise, von Corona bis zum Krieg in der Ukraine, die nicht mehr zu verleugnende Klimakrise, der starke demographische Wandel und das Erstarken des Populismus. Das alles geht nicht spurlos an Gesellschaft und Wirtschaft vorbei. Im Vergleich zu früher sind die möglichen Entwicklungsperspektiven auch in der Landwirtschaft etwas unsicherer geworden. Das stellt die junge Generation, welche die Betriebe übernehmen soll, vor entsprechend große Herausforderungen.
Wie in fast allen Bereichen der Landwirtschaft gab und gibt es auch in der Obstwirtschaft immer wieder einschneidende Änderungen, Stichwort Pflanzenschutzmittel, Wasserbedarf, Sortenwahl. Worin sehen Sie die derzeit größten Herausforderungen, auch angesichts des Klimawandels?
Die notwendigen Investitionen in wassersparende Systeme, die kürzeren Umlaufzeiten bei der Neupflanzung aufgrund der Marktentwicklungen, der Schutz vor Extremwetterereignissen, die steigenden Personal- und Produktionskosten und die Reglementierungen im Pflanzenschutz haben in den vergangenen Jahren, insgesamt gesehen, zu Ertragseinbußen geführt. Der Obstbau war bei uns in den vergangenen plus minus drei Jahrzehnten geprägt von einer halbwegs konstanten und insgesamt gesehen recht guten Ertragslage für die betroffenen Betriebe. Und wie in allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Belangen können wir leichter mit einem „immer mehr und immer besser“ umgehen als mit einer möglichen Stagnation oder gar Verzichtskultur. Andererseits muss betont werden, dass die Genossenschaften gut aufgestellt sind und für viele bäuerliche Familien auch weiterhin die Garantie bilden für ein entsprechendes Einkommen aus der landwirtschaftlichen Produktion. Eine große Herausforderung für alle landwirtschaftlichen Bereiche stellt die Hofnachfolge dar. Die längerfristigen Entwicklungen inklusive Ertragsperspektive sind unsicherer geworden, die Anzahl der potentiellen Hofübernehmer hat sich reduziert, das Angebot von attraktiven Arbeitsplätzen außerhalb der Landwirtschaft hat sich vor allem auch für entsprechend ausgebildete Arbeitskräfte erhöht.
Immer wieder ist zu hören, dass vor allem kleinere Bergbauern die Stalltür zusperren und die Milchwirtschaft aufgeben, auch im Vinschgau. Wo sehen Sie die Gründe dafür und wie lässt sich dieser Trend aufhalten?
Vor 20 Jahren gab es in unserem Land über 5.800 Milchlieferbetriebe, im vergangenen Jahr waren es noch knapp 4.000, wir haben also im Schnitt über 90 Betriebe im Jahr verloren, und das trotz eines im Vergleich zu den Nachbarregionen recht akzeptablen Auszahlungspreises. Die gesamte abgelieferte Milchmenge vor 20 Jahren hat sich im Vergleich zum letzten Jahr dabei kaum verändert. Das heißt, dass die Anzahl der Milchlieferbetriebe landesweit in diesem Zeitraum um rund 30% gefallen ist, während sich die jährliche Milchliefermenge pro Betrieb mit 14 bis 15 Kühen um rund 45% auf durchschnittlich 95 Tonnen erhöht hat. Von den gesamten rinderhaltenden Betrieben im Land liefern aktuell noch knapp 50% Milch ab. Eine auch wirtschaftlich erfolgreiche Milchviehhaltung erfordert u.a. täglichen Fleiß und Einsatz, ein genaues Zeitmanagement, eine gute Grundfutterbasis und eine fruchtbare Kuhherde. Einige dieser Faktoren sind bei einem kleineren, und daher notwendigerweise eher im Nebenerwerb geführten Betrieb schwieriger zu erfüllen. Die Zeiten sind krisenanfälliger geworden, die Märkte volatiler, die Produktionskosten teilweise unberechenbar und die Anforderungen an das Tierwohl und die exakte Nachvollziehbarkeit in der Lebensmittelkette sind aufwändiger geworden. Vor diesem Hintergrund ist es eine große Herausforderung für die betroffenen Betriebe, längerfristig zu planen und die erforderlichen Investitionen zu tätigen.
Stimmt es, dass im Vinschgau besonders viele Betriebe zusperren?
Im Vinschgau war der Rückgang an Milchlieferbetrieben aufgrund der gebietsweise stärkeren Ausdehnung des Obstbaues noch stärker ausgeprägt, zudem sind die einzelbetrieblichen Strukturen etwas kleiner als im Landesdurchschnitt. Unabhängig davon bin ich der festen Überzeugung, dass in unseren Berggebieten mit dem standortbedingt hohen Anteil an Grasland in Hanglagen nur eine flächenmäßig angepasste Haltung vorwiegend mit Wiederkäuern Sinn ergibt, wo die eigene Futtergrundlage gut genutzt und der Zukauf von außen auf das unbedingt Erforderliche begrenzt werden sollte. Je extremer das Berggebiet wird, umso relativer und überschaubarer ist in der Folge auch die klassische Produktionsfunktion in der Landwirtschaft. Das bedeutet auch, dass zusätzliche Standbeine sowohl innerhalb als auch außerhalb der Landwirtschaft erforderlich sind. Zusätzlich wird es auch Ausgleichszahlungen und Prämien für bestimmte, auch gesamtgesellschaftlich geforderte Leistungen – mit den entsprechenden Spielregeln – brauchen. In den vergangenen 20 Jahren wurden zwar etliche Schritte auch fördertechnisch in diese Richtung gemacht, es gibt aber noch „Luft nach oben“.
Werden sich klassische Nischen in der Landwirtschaft, wie etwa der Anbau von Beeren- und Steinobst, auch in Zukunft halten können?
Es wird auch in Zukunft immer wieder und weiterhin Nischen in der Landwirtschaft geben, sowohl klassische wie auch innovativere Ansätze. Nischen sind grundsätzlich kein flächenwirksames Patentrezept, sondern hängen von den persönlichen, betrieblichen und marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Sie sind damit auf eine eher begrenzte Anzahl von Betrieben ausgelegt und tragen jedenfalls zu einer gewünschten und sinnvollen Vielfalt in der Landwirtschaft bei.
Der Urlaub auf dem Bauernhof hat sich für nicht wenige landwirtschaftliche Betriebe zu einem unverzichtbaren zweiten Standbein entwickelt. Sehen Sie in diesem Bereich noch Luft nach oben?
Landesweit gibt es über 3.000 UaB-Betriebe, im Landwirtschaftsbezirk Vinschgau sind es rund 240. Im Verhältnis zu anderen Landesteilen ist der Anteil der Landwirtschaftsbetriebe mit UaB im Vinschgau relativ niedrig. Von daher ist ein gewisses Entwicklungspotential durchaus realistisch. Nachdem die klassische Produktionsfunktion vor allem bei den vielen Kleinbetrieben an natürliche Grenzen stößt, kann die Schaffung eines zweiten wirtschaftlichen Standbeines für etliche Betriebe durchaus sinnvoll sein. Landesweit machen die Übernachtungen in den UaB-Betrieben rund 10% der jährlichen Gesamtübernachtungen aus, also eine überschaubare Größenordnung. Nach meiner Erfahrung sind dabei als Erfolgsfaktoren für einen gelingenden Zuerwerb die „Figuren auf den Höfen mindestens so wichtig wie die Strukturen“. Und nicht zu vergessen: Es soll auch „Bauernhof drin“ sein, wo es „draufsteht“, und da gibt es nach meiner Einschätzung noch ein gewisses Optimierungspotential.
Eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Tourismus wird seit Jahren, ja Jahrzehnten von allen Seiten gepredigt und angemahnt. Wo wäre in diesem Bereich noch anzusetzen?
Es braucht meiner Meinung nach dafür keine neuen Ansätze, wenn nur 10% von dem, was gepredigt wurde und wird, auch in der Praxis umgesetzt würde, dann passt die Zusammenarbeit.
Ein Herzensanliegen waren für Sie seit jeher die Almen, besonders die Vinschger Milchviehalmen. Was hat sich auf den Almen in den vergangenen Jahren gebessert bzw. verschlechtert?
Zusammen mit dem Sennereiverband Südtirol, der Landwirtschaftsschule Fürstenburg, der Forstverwaltung und dem Sanitätsbetrieb sowie vielen engagierten Verantwortlichen auf den Almen ist es gelungen, die Auftriebszahlen auf unseren rund 30 Gemeinschaftsalmen im Vinschgau während der vergangenen 30 bis 40 Jahre annähernd konstant zu halten. Die hygienischen und sanitären Verhältnisse wurden deutlich verbessert, viele baulichen Strukturen saniert bzw. erweitert, die Qualität der erzeugten Alpprodukte ist insgesamt gesehen sehr gut. Die öffentlichen Förderungen für die Almen – vor allem, was die Flächenprämien betrifft – wurden in diesem Zeitraum ordentlich ausgebaut, und die gesellschaftliche Akzeptanz ist allgemein sehr hoch. Eine gewisse Herausforderung bilden der ständige Personalwechsel auf den Almen und die Suche nach qualifizierten Saison-Arbeitskräften, eine Schwachstelle bildet oftmals auch die recht arbeitsintensive Weidepflege.
Wie sehen Sie die Zukunft der Almwirtschaft im Vinschgau und wie stark hängt der Weiterbestand der Almen mit dem Auftreten von Wolf und Bär zusammen?
Solange es in unseren Berggebieten viehhaltende Betriebe gibt, wird es auch eine Form der Almbewirtschaftung geben. Insgesamt ist in unserem Land die Anzahl der viehhaltenden Betriebe, aber auch die der Rinder und Schafe eher rückläufig, sodass vor allem auf eher exponierteren Almen mitunter steile oder stark verbuschte oder weit entfernte Weideflächen aufgelassen werden. Das Großraubwild wie Wolf und Bär gefährdet in erster Linie die Kleinviehhaltung. Auch wenn es eine Illusion ist zu glauben, Südtirol und die umliegenden Berggebiete würden wolfsfrei, so müssen dennoch problematische Tiere – und zwar „zeitnah“ – entnommen werden können. Andererseits dürfte auf einzelnen Almen auch noch ein gewisses Optimierungspotential bei der Behirtung bestehen. Die hohe Biodiversität auf unseren über 100.000 Hektar Almweideflächen im Land hängt auch mit einer regelmäßigen und standortangepassten Beweidung mit unseren Nutztieren zusammen.
Wie hat sich die Förderungspolitik für die Landwirtschaft auf europäischer und staatlicher Ebene sowie auch auf Landesebene in den vergangenen Jahren entwickelt? Man gewinnt manchmal den Eindruck, dass es fast für alles irgendwo Beiträge gibt. Ist das so?
Zu Beginn meiner Tätigkeit vor nunmehr 40 Jahren stammten die Fördermittel für die Südtiroler Landwirtschaft vorwiegend aus dem Landeshaushalt. Heute ist es so, dass mehr als drei Viertel der Fördermittel von der EU bzw. von kofinanzierten Kapiteln stammen. Das führte in der Folge zu einem starken Anstieg des bürokratischen Aufwandes. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU und die damit zusammenhängenden Fördertöpfe sind ein wahres „Bürokratiemonster“, andererseits bestehen aber der nachvollziehbare Wunsch und Ansatz, diese Fördermittel auch für die heimische Landwirtschaft bestmöglich zu nutzen. Die GAP ist zunehmend zentralistisch geregelt und die entsprechenden Gestaltungsspielräume im Land sind begrenzt. Zusätzlich haben wir in unserem Land, wo auch die Erhaltung der Kleinbetriebe ein Ziel ist, mit 1 bis 2 Hektar Kulturfläche einen recht niederschwelligen einzelbetrieblichen Zugang zu diesen Förderungen. In Kombination mit den verschiedensten Förderschienen bedingt das eine sehr hohe Anzahl an Verwaltungsabläufen. Und ja, es gibt eine recht beachtliche Anzahl an Förderungen, auch wenn es sich im Einzelfall dann vielfach um „kleinere und größere Tropfen“ handelt, die – heruntergebrochen auf den Einzelbetrieb – in den meisten Fällen durchaus „überschaubar“ bleiben.
Fiel Ihnen der Abschied vom Landesdienst schwer und was legen Sie Ihrem Nachfolger bzw. Ihrer Nachfolgerin ans Herz?
Mein Motto in diesem Zusammenhang lautet „Alles hat seine Zeit“. Nach immerhin 40 recht intensiven Arbeitsjahren und im Bewusstsein, einiges erreicht und umgesetzt zu haben, gehe ich, um viele Erfahrungen und Erlebnisse reicher, dankbar und erfüllt in Pension. Eine gewisse Wehmut wird dabei relativiert durch die leider zunehmenden und auch bei uns in der Gesellschaft feststellbaren Entwicklungen in Richtung Verrechtlichung und Individualisierung, in Richtung Einzelwohl vor Gemeinwohl und zum teilweise einseitigen Betonen von Partikularinteressen. Das erleichtert den Ausstieg. Meiner Nachfolge wünsche ich von Herzen, dass sie die tägliche Arbeit im Wechselspiel zwischen Kundenkontakt und Verwaltungsanforderungen gerne macht. Und ich wünsche ihr eine gesunde Kombination aus Rechtsempfinden, sozialer Aufgeschlossenheit und Standvermögen.
Was machen Sie jetzt mit der vielen freien Zeit?
Nachdem erst ein knapper Monat vergangen ist, habe ich noch nicht allzu viel davon gemerkt. Meine Nachfolge im Amt dürfte frühestens gegen Jahresende feststehen. Und bis dahin habe ich zugesagt, bei Bedarf noch etwas „auszuhelfen“. Zudem bin ich weiterhin in der Arbeitsgemeinschaft der Vinschger Milchviehalmen und in der GWR in Spondinig tätig. Und nicht zuletzt gibt es Enkelkinder, die dankbar für meine freie Zeit sind.