Endlich Nägel mit Köpfen
Publiziert in 39 / 2016 - Erschienen am 3. November 2016
Das Stilfserjoch und seine Umgebung sollen zu einem einzigartigen „Erlebnisraum“ werden. Drei Regionen ziehen an einem Strang. Eintrittsgebühr ab 2019.
Stilfserjoch - Drei Regionen, drei verschiedene Kulturen, eine unvergleichliche Natur- und Bergwelt inmitten eines Nationalparks und eine der weltweit bekanntesten und schönsten Passstraßen. Das und mehr bietet das Gebiet rund um das Stilfserjoch. Die Voraussetzungen dafür, die Passstraße und ihre Umgebung in einen attraktiven und begehrten Erlebnisraum zu verwandeln, sind zweifellos gegeben. Schon seit 2015 beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe unter Südtiroler Leitung damit, ein Projekt für eine touristische und gesamtwirtschaftliche Aufwertung der Passstraße, des Jochs und der umliegenden Gebiete auf den Weg zu bringen. Eine erfolgreiche Zwischenbilanz wurde am 24. Oktober auf dem Stilfserjoch gezogen. Neben Vertretern aus Südtirol waren auch Ugo Parolo, Unterstaatssekretär der Region Lombardei, und die Vizepräsidentin der Gemeinde Val Müstair, Gabriella Binkert Becchetti, aufs Joch gekommen. Drei Arbeitsuntergruppen aus dem Vinschgau, aus Bormio und dem Val Müstair hatten unter der Leitung einer Steuerungsgruppe, der Arnold Gapp, Stephan Gander, Kurt
Sagmeister und Michaela Platzer angehören, Ideen, Projekte und Initiativen zu Papier gebracht, um das Gebiet in den jeweiligen Regionen aufzuwerten. Wie Kurt Sagmeister, Stephan Gander,
Alois Kronbichler (Geschäftsführer Südtirol von „Kohl & Partner“) und weitere Redner ausführten, geht es darum, das Stilfserjoch als „Wirtschaftsmotor“ für die drei Grenzregionen zu entwickeln und zu etablieren. Das Projekt „Erlebnisstraße Stilfserjoch“, in Auftrag gegeben von den Landesräten Richard Theiner und Florian Mussner, soll eine wirtschaftliche, kulturelle und soziale Ausstrahlungskraft in allen drei Regionen haben, und zwar über die direkt betroffenen Gemeinden hinaus.
Festung Gomagoi
als Eintrittsgebäude
Als „Vorgeschmack“ für den Erlebnisraum Stilfserjoch ist laut Gapp der neue Kreisverkehr in Spondinig anzusehen, wo die Stilfserjochstraße – historisch gesehen – beginnt. Als Eintrittsgebäude wird die ehemalige Festung Gomagoi fungieren. Erste Arbeiten, wie etwa der Bau eines Parkplatzes, wurden bereits durchgeführt. Geplant ist nicht nur ein Museum zum Thema „Erster Weltkrieg“, sondern auch eine Verleih- und Ladestation für E-Bikes, sanitäre Anlagen, Verkaufspunkte regionaler Produkte, attraktive Angebote für das Anhalten und Rasten von Gästen, die mit Autos, Motorrädern und Fahrrädern ankommen, und weitere Einrichtungen mehr. Die Südtiroler Landesregierung hat für die Sanierung und Umgestaltung der Festung Gomagoi kürzlich 3,1 Mio. Euro bereitgestellt. Weitere 1,5 Mio. Euro wurden für die Sanierung bzw. Umgestaltung des ehemaligen Straßenarbeiterhauses auf der Franzenshöhe in einen kulturellen Treffpunkt zweckgebunden.
Auch auf der Passhöhe
sind Eingriffe geplant
Weitere Geldmittel stehen für die Instandhaltung und die Verbesserung der Passstraße bereit. Auch auf der Passhöhe sind bauliche und gestalterische Maßnahmen dringend notwendig. Szenen, wie sich bisher regelmäßig bei Großveranstaltungen abspielen, wie etwa beim Radtag, sollen möglichst vermieden bzw. in den Griff bekommen werden. Auf Maßnahmen, die auf der Seite von Bormio und im Val Müstair geplant sind, gingen Ugo Parolo und Gabriella Binkert Becchetti ein. Laut Parolo stellt die Region Lombardei für die Stilfserjochstraße und den Pass insgesamt über 5 Mio. Euro zur Verfügung. Binkert Becchetti verwies auf die geplante Einbindung der Museen im Val Müstair. Der Tourismus und die Wirtschaft im Val Müstair profitieren sehr von der Pass-
straße auf das Joch.
Längere Öffnungszeiten
Mehrfach unterstrichen wurde auch die Notwendigkeit, die Passstraße länger offen zu halten. Gander dazu: „Derzeit ist der Pass in der Regel nur 5 Monate im Jahr geöffnet und 7 Monate geschlossen. Ziel muss es sein, die Straße mindestens 7 Monate offen zu halten, sofern dies die Wetterbedingungen zulassen.“ Gander, Sagmeister und andere Akteure gaben sich überzeugt, dass der Lebensraum Stilfserjoch das Potential hat, zu einer der größten Gästeattraktionen des Landes zu werden, wie es derzeit zum Beispiel die Gärten von Schloss Trauttmansdorff in Meran sind, die pro Jahr ca. 400.000 Besucher anlocken.
Zusammenarbeit
auf allen Ebenen
Das große Schlagwort des hehren Vorhabens heißt grenz-
überschreitende Zusammenarbeit. Ganz in diesem Sinne werden für die Umsetzung des Projektes „Erlebnisraum Stilfserjoch“ nicht drei, sondern nur ein Businessplan erstellt. Im nächsten Jahr soll eine gemeinsame Führungsgesellschaft mit Verwaltungsrat und Geschäftsleitung gegründet werden. Diese Gesellschaft soll sich um die Organisation und Vermarktung des „Erlebnisraums Stilfserjoch“ kümmern und die Einhebung Eintrittsgebühr im Jahr 2019 vorbereiten.
„Keine Maut“
Als eine Maut sei die Eintrittsgebühr nicht zu verstehen. Es gehe vielmehr darum, für die Besichtigung des „Erlebnis-
raumes Stilfserjoch“ eine Gebühr einzuheben, die nicht nur das Befahren der Passstraße gewährt, sondern auch den freien Zutritt zu bereits bestehenden und neu geplanten Sehenswürdigkeiten und Attraktionen in allen drei Regionen. Die Gebühr soll auf allen drei Seiten mit Hilfe eines Vignettensystems eingehoben werden. Dafür errichten alle drei Regionen Eintrittsgebäude. Auf Südtiroler Seite ist dies die Festung Gomagoi. Die Vignetten auf Südtiroler Seite werden erst nach Trafoi mit Kamera bzw. Kontrollpersonal überprüft. Bestimmte Gruppen werden von der Vignettenpflicht befreit, so etwa Mitarbeiter am Joch, Standbetreiber oder Logiergäste. Die genaue Höhe der Gebühr wird die noch zu gründende, gemeinsame Gesellschaft festlegen. Stephan Gander ließ sich dazu nur soviel entlocken, dass die Gebühr nicht so hoch sein wird, wie zum Beispiel jene für die Großglockner Hochalpenstraße, sprich 35 Euro pro Auto, aber auch nicht zu tief. Richard Theiner wertet das ehrgeizige Unterfangen auch als ein politisches Projekt. „Vor 100 Jahren wurde hier oben Krieg geführt. Jetzt arbeiten wir gemeinsam an einem grenzüberschreitenden Projekt,“ sagte Theiner, „und zwar an einem Vorhaben, das nicht von oben verordnet wurde, sondern von unten gewachsen ist.“
„Auch ein politisches Projekt“
Besonders angetan zeigte sich Theiner vom Projekt eines völkerverbindenden Höhenweges rund um den Ortler. Weiterhin im Auge behalten wolle man den Antrag für eine eventuelle Aufnahme der Passstraße in die UNESCO-Welterbe-Liste.

Josef Laner