„Jeder zieht sich in seine Höhle zurück“

Publiziert in 3 / 2022 - Erschienen am 15. Februar 2022

Vinschgau - Vor 144 Jahren hat Fjodor Dostojewski begonnen, seinen Roman „Die Brüder Karamasow“ aufzusetzen. In einer Textpassage schreibt Dostojewski über „unser Zeitalter“ und bezieht sich natürlich das seinige. Entstanden ist der Roman von 1878 bis 1880. Einige Sätze der folgenden Passage passen meiner Meinung nach auch zu unserer Zeit, der Zeit der Pandemie: „Die Gesamtheit hat sich in unserem Zeitalter in einzelne aufgespaltet, jeder zieht sich in seine Höhle zurück, jeder entfernt sich vom anderen, verbirgt sich und das, was er besitzt, und endet damit, daß er die Menschen zurückstößt und die Menschen ihn zurückstoßen. Einsam sammelt er Reichtum an und denkt: Wie mächtig bin ich jetzt und wie gesichert – dabei weiß der Unbesonnene nicht einmal, daß er, je mehr er ansammelt, um so tiefer in selbstmörderische Ohnmacht versinkt. Denn er ist es gewohnt, sich nur auf sich selbst zu verlassen, und hat sich als einzelner vom Ganzen abgesondert, hat seine Seele daran gewöhnt, an menschliche Hilfe, an die Menschen und die Menschheit nicht zu glauben, und bangt nur darum, sein Geld und seine erworbenen Rechte zu verlieren. Der menschliche Geist beginnt heutzutage allenthalben in lächerlicher Weise zu verkennen, dass die wahre Sicherheit des einzelnen nicht durch seine isolierten Bemühungen herbeigeführt wird, sondern nur durch die Solidarität der gesamten Menschheit gewährleistet werden kann. Doch auch diese furchtbare Isolierung wird bestimmt einmal ein Ende nehmen, und dann werden alle auf einmal begreifen, wie unnatürlich es war, sich voneinander abzusondern.“

Josef Laner
Josef Laner

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