Peter Gamper
Rafael Micheli
Raimund Rechenmacher

„Krieg so darstellen, wie er war“

Rafael Micheli stellt Masterarbeit vor.

Publiziert in 22 / 2025 - Erschienen am 1. Dezember 2025

Schlanders - Wird über den Gebirgskrieg zwischen Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg berichtet oder gesprochen, steht oft die heroisierende Darstellung der Gebirgssoldaten im Mittelpunkt. „Aber es gab nicht nur die Kämpfer in Eis und Schnee am Ortler und an weiteren Frontabschnitten in den Bergen, sondern auch den Kriegsalltag im Tal“, sagte Rafael Micheli aus Schlanders, als er am 18. November in der Bibliothek in Schlanders seine Masterarbeit „Der Erste Weltkrieg in Alltagserfahrungen. Zur Edition der Kriegschronik von Peter Gamper (1868-1952)“ vorstellte. In seiner Arbeit blickt der Student an der Uni Innsbruck über die Kriegsfront in den Bergen hinaus und beleuchtet die militärische Alltagsgeschichte in der Talsohle des Vinschgaus. „Der Krieg soll so dargestellt werden, wie er war, nämlich grausam und brutal, auch im Tal“, sagte Micheli.

Die Kriegschronik von Peter Gamper

Die wichtigste Quelle der Arbeit von Micheli war die bisher nicht veröffentlichte Kriegschronik von Peter Gamper, Oberleutnant im Standschützenbataillon Schlanders. Gamper war Bäckermeister, Beamter der Sparkasse und Vereinsfunktionär bei der Feuerwehr, den Schützen und weiteren Vereinen. Vom 31. Juli 1914 bis zum 17. November 1918 verfasste er ein 150 Seiten umfassendes Tagebuch, das im Palais Mamming in Meran aufbewahrt wird. Bei der Transkription und Kommentierung des schwer lesbaren Tagebuches konnte Micheli u.a. auf die Mithilfe von Bibliotheksleiter Raimund Rechenmacher zurückgreifen. Als Oberleutnant im Standschützenbataillon Schlanders verfügte Peter Gamper über viel Hintergrundwissen, das er dem Tagebuch „anvertraute“. Die Aufzeichnungen stehen zum Teil im Widerspruch zu den damaligen offiziellen „Kriegsmitteilungen“ bzw. zur öffentlichen Propaganda.

„Großer Eifer“ unter den Standschützen

Am 4. Oktober 1914 schrieb Gamper anlässlich des „Kaisernamenstages“, dass unter den Standschützen „großer Eifer“ herrsche: „Sie wollen im Falle der Gefahr eine geschulte und disziplinierte Truppe sein, auf die sich das Land verlassen kann.“ Als „unliebsten Dienst“ seiner Standschützen-Mannschaft und als ihm „widerwärteste Aufgabe“ nannte er am 19. September 1916 die „Bereitstellung von Mannschaften bei der Getreide Requisition durch die polit. Behörde. Diese Requisitionen erzeugen viel böses Blut.“ Auch vom Ausbruch einer „Revolte beim Ausgang des Schnalstales gegen die dortige Wache u. Gendarmerie“ berichtet Gamper. Wachposten gab es u.a. auch in Schlanders und Goldrain. Das Rayonskommando befand sich in Prad, das Stationskommando in Schlanders.

Viele Kriegsgefangene

Auch über die Kriegsgefangenen schreibt Gamper. Insgesamt gab es im Vinschgau rund 250 russische Kriegsgefangene, die Schwerstarbeit leisten mussten und trotz Verbot Kontakte mit der Zivilbevölkerung hatten. Am 20. Juni 1918 heißt es im Tagebuch: „Vor einigen Tagen ist eine ganze Kompagnie Kriegsgef. Russen hier heute unter Bewachung von 30 Standschützen aus Martell und Goldrain gekommen, um nach Sulden abtransportiert zu werden, da man dort Leute für Geschützlieferung benötigt. Sie erklärten jedoch, sie seien bereits dort gewesen und keine Macht werde imstande sein, sie nochmals dorthin zu bringen.“ Auch im Straßenbau und in der Landwirtschaft wurden russische Gefangene eingesetzt. Von einem der Gefangenen schreibt Gamper, dass er „auf einem primitiven Saiteninstrument schwermütige slawische Weisen spielte“, und andere „russische Nationaltänze zum Besten gaben.“ Im Vinschgau sind während der Kriegsjahre auch Kinder von russischen Kriegsgefangenen geboren.

„Vollständiger Mangel an Mehl“

Im letzten Kriegsjahr 1918 wirken die Aufzeichnungen von Gamper im Gegensatz zur anfänglichen „Euphorie“ düster, hoffnungslos und enttäuschend. Ende August 1918 zum Beispiel schreibt er, „daß in Goldrain die Militärbäckerei wegen vollständigem Mangel an Mehl den Betrieb einstellen mußte.“ Am 29. Oktober sagt er einer Tischgesellschaft, „daß der Krieg nur mehr von einem Tage auf den anderen weitergeführt werde und bestimmt noch vor Anbruch des Winters sein Ende nehmen werde.“ Am 1. November zeichnet er auf, dass „die Heeresverwaltung angeblich nicht mehr in der Lage ist, für gänzlich zerrissene u. zerlumpte Uniformstücke Ersatz zu liefern.“ Am 5. November „herrschte schon allg. Anarchie, keine Behörde funktionierte mehr u. die Gendarmen schlichen in Zivil unsicher herum. Es herrschte eine solche Unsicherheit, daß schon hart auf den Einmarsch der Italiener gewartet wurde.“ Am 7. November heißt es im Tagebuch: „Es rückten heute erste ital. Truppen in Schlanders ein. Sie bezogen die Kaserne, stellten einen Wachposten beim Kasernentor auf und es kehrte nun wieder Ruhe in die erregten Gemüter zurück.“

„Armes Deutschland!“

Der letzte Eintrag vom 17. November lautet: „Armes Deutschland! Aus“. Zusammenfassend hielt Rafael Micheli fest, dass bei Peter Gamper zunächst eine Kriegsbegeisterung zu spüren gewesen sei. Auf diese folgten später der Kriegsalltag sowie Frust und Kritik an Vorgesetzten. Beim Zusammenbruch dominierte die Angst vor der Zukunft. Die Kriegschronik zeige den schleichenden Zusammenbruch im Jahr 1918 auf, biete neue Forschungsfelder für den Vinschgau und gewähre Einblicke in den „Ersatzkörper“ der Standschützen, die aus heutiger Sicht als „paramilitärische Einheit“ einzuordnen seien. 

Josef Laner
Josef Laner

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.