Ein Schema möglicher Bahnverbindungen im Dreiländereck
Auch grobe Kostenschätzungen der möglichen Bahnverbindungen wurden vorgenommen.
„Jedes Jahr zählt“, sagte der Malser Bürgermeister Josef Thurner (oben links).

Nur die Bahn kann es richten

Bis Ende 2023 sollen vertiefende Studien zum Eisenbahnkreuz im Rätischen Dreieck vorrliegen. Bergmeister: „Realisierung ist vor 2040 nicht möglich.“

Publiziert in 13 / 2022 - Erschienen am 19. Juli 2022

Vinschgau - Der gemeinsame Wille von Südtirol, Nordtirol, der Schweiz und der Lombardei ist zwar da und es wird auch geplant und studiert, aber der Weg bis zur Schaffung eines Eisenbahnkreuzes im Dreiländereck, eingebettet in das europäische Schienennetz, ist noch lang und schwierig. Einmal mehr gezeigt hat sich das bei einer Videokonferenz, zu der Mobilitätslandesrat und Landeshauptmannstellvertreter Daniel Alfreider sowie der Präsident der Bezirksgemeinschaft Vinschgau, Dieter Pinggera, am 4. Juli eingeladen hatten. Neben fast allen Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen des Vinschgaus sowie Vertretern der Initiativen „Pro Alpenbahnkreuz Terra Raetica“, „Reschenbahn 2.0“ und weiterer Interessensgruppen war auch Professor Konrad Bergmeister zugeschaltet. Bergmeister hatte im Auftrag des Landes bisherige Studien und Vorschläge bezüglich der Schaffung von Eisenbahnverbindungen im Dreiländereck zusammengetragen und ausgewertet.

Grenzüberschreitender Konsens gefragt

Mit Daniel Alfreider stimmte Bergmeister darin überein, dass es gelingen muss, einen grenzüberschreitenden Konsens für einen Trassenvorschlag zu finden, der von allen mitgetragen wird und mit dem man dann auch gemeinsam für die Mitfinanzierung vor die EU-Gremien treten kann. „Wir müssen dahin kommen, dass wir alle vom Gleichen reden“, sagte Bergmeister. Ohne Geldmittel der EU sei die Verwirklichung eines Vorhabens dieser Dimension nicht denkbar. Ebenso klar sei, dass nur dann Geldmittel von der EU zu erwarten sind, wenn die Bahnverbindungen im Dreiländereck in das europäische Eisenbahnnetz eingebettet werden, im Besonderen in die großen alpenquerenden Nord-Süd-Korridore. Zu finden sei laut Bergmeister eine Trasse, die für alle 4 Regionen, sprich für die Schweiz, die Lombardei, für Nordtirol und Südtirol die gleiche ist. Beim Treffen hoher politischer Vertreter aus allen vier Regionen am 2. März in Scuol sei man zur Einsicht gelangt, dass es noch in allen 4 Gebieten vertiefende geologische und hydrologische Untersuchungen, Probebohrungen sowie auch Erstgespräche bezüglich der Finanzierung braucht. Für die Strecke Scuol-Mals gelte das ebenso, wie für die Strecke Landeck-Scuol bzw. die Reschenbahn, für die Verbindung Tirano-Bormio-Mals und für die Strecke von Garmisch-Partenkirchen nach Silz im Inntal. Die vertieften Studien sollen auf Betreiben der 4 eigenen Arbeitsgruppen (Lombardei, Nordtirol, Südtirol und Engadin) erstellt werden und bis Ende 2023 vorliegen.

Die Lombardei macht Druck

Erheblichen Druck macht derzeit die Lombardei. Konrad Bergmeister: „Favorisiert wird die Variante Bormio-Müstair-Mals. Für den Neubau der Strecke Tirano-Bormio erhoffe sich die Lombardei Geldmittel aus dem staatlichen PNRR-Fonds. Grundsätzlich einig sei man sich darin, dass die neuen Bahnverbindungen eine Spurweite von 1.435 Millimeter (Normalspur) haben sollen. Den Schweizern wäre ein meterspuriges Schmalspurnetz nach dem Muster der Rhätischen Bahn zwar lieber, „aber die EU finanziert keine Schmalspurbahn“, gab sich Bergmeister überzeugt. Von welchen Summen die Rede ist, veranschaulichte er mit groben Schätzungen: 2.800 Millionen Euro für Tirano-Bormio-Mals (71 km), 1.500 Mio. für Scuol-Mals (27 km), 1.700 Mio. für Scuol-Pfunds-Landeck (65 km) bzw. 2.100 Mio. für Mals-Reschen-Landeck (79 km) sowie 1.200 Mio. für Garmisch-Partenkirchen-Silz (22 km). Zusätzlich zu den Kosten sollen auch die Fahrzeiten in die Gesamtbetrachtungen mit einfließen, ein einheitliches Betriebssystem (25 kV- 50 Hz), die Errichtung von Nebentunnels (Rettung und Wartung), die „Situation Nauders“ (Kehrtunnel Selles im Falle der Reschen-Variante zur Überwindung der Höhenunterschiede dies- und jenseits des Reschenpasses) sowie viele weitere Aspekte. Parallel zu den vertiefenden Studien soll auch eine begleitende Nachhaltigkeits- und Wirtschaftlichkeitsstudie zur Entwicklung von Bahnverbindungen in der „Terra Raetica“ für die Bauphase sowie für eine Betriebsphase von 150 Jahren erstellt werden. Überzeugt gab sich Bergmeister davon, „dass mit der Realisierung eines Vorhabens dieser Dimension nicht vor 2040 zu rechnen ist.“ Das sei auch deshalb klar zu sagen, um nicht unrealistische Erwartungshaltungen zu wecken.

„Je früher, desto besser“

„Je früher das Vorhaben angegangen wird, desto besser. Jedes Jahr zählt,“ sagte der Malser Bürgermeister Josef Thurner bei der Diskussion. Nur mit einer guten funktionierenden Bahnverbindung über Mals hinaus werde man imstande sein, dem Verkehr auf der Straße ernsthaft die Stirn zu bieten. „Die Bahn muss zu einer wirklichen Konkurrenz zum Auto werden“, sagte Thurner. Landesrat Daniel Alfreider pflichtete dem Malser Bürgermeister ebenso bei, wie Bezirkspräsident Dieter Pinggera und weitere Diskussionsteilnehmer. „Die Bahn ist in Südtirol die einzige Alternative zum Auto,“ sagte Alfreider und bedauerte in diesem Zusammenhang, dass es bei den Tunnelarbeiten entlang der Bahnstrecke Töll-Marling, die zum Projekt der Elektrifizierung der Vinschger Bahn gehören, zu Verzögerungen gekommen ist. Den Zeitrahmen für neue Bahnverbindungen im Dreiländereck hält Bergmeister für günstig: „Europa fördert grenzüberschreitende Achsen.“ Alles, was jetzt zügig vorangehe, sei gut: „Wertvolle Jahre gehen nicht bei den Planungsarbeiten verloren, sondern bei den politischen Entscheidungen.“ Zur Frage eines Vertreters der Initiativgruppe „Pro Reschenbahn“, was der von der Süd-Tiroler Freiheit seinerzeit eingebrachte und vom Südtiroler Landtag einstimmig genehmigte Antrag im Zusammenhang mit dem Bau der Bahnverbindung Landeck-Mals wert sei, meinte Alfreider, dass jede „Bekundung“ in Richtung Bahn zu begrüßen sei. Es seien jetzt aber die Ergebnisse der vertiefenden Studien abzuwarten und zu hoffen, „dass wir zu einem Konsens kommen, um dann gemeinsam bei der EU eine Mitfinanzierung einfordern zu können.“

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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