„Wir verändern den ganzen Vinschgau“
Publiziert in 17 / 2013 - Erschienen am 8. Mai 2013
Gemeinwohl-Ökonomie: Wirtschaften für mehr Lebensqualität
Tschengls - Im Vinschgau gibt es neun Unternehmer und vier Gemeinden, die sich dem Projekt der Gemeinwohlbilanz angeschlossen haben. In Südtirol sind es insgesamt 35 Unternehmen und europaweit rund 750 Gemeinwohlunternehmen, die ihre Wirtschaftsweise an der Lebensqualität der Mitarbeiter und Kunden neu ausrichten wollen. Die Idee, dass die Wirtschaft dem allgemeinen Wohl dienen muss, wenn sie sinnvoll und nachhaltig sein will, ist ja keineswegs neu. 300 vor Christus schreibt Platon, dass sich im Gemeinwohl das Glück aller Bürger verwirklichen könne. Die Bayerische Staatsverfassung von 1946 sagt noch: „Alle wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Anschauung, dass Wirtschaften der Geldmacherei diene, so in die Denkweisen unserer Zeitgenossen eingefressen, dass sich viele nichts mehr anderes als „Geld machen“ unter der Wirtschaft vorstellen können: Man verwechselt Wirtschaftlichkeit mit kurzfristiger finanzieller Rentabilität. Der junge Wissenschaftler Christian Felber hat dem Gedanken der „Gemeinwohl-Ökonomie“ im Jahre 2006 mit seinem Standardwerk „50 Vorschläge für eine gerechtere Welt“ einen neuen Platz im Denken der Menschen verliehen und neuen Schwung und neue Sichtweisen zur Frage „Was ist eigentlich Wirtschaft?“ eingebracht.
Vinschger Gemeinwohlunternehmer
Kürzlich trafen sich auf der Tschenglsburg einige Vertreter der Vinschgauer Gemeinwohlunternehmer zu einem Gedankenaustausch und zu einer Pressekonferenz unter der Leitung des Südtiroler Gemeinwohl-Moderators und Gründers des Terra Instituts Günther Reifer. Eingeladen hatte dazu Karl Perfler, der mit seinem Kulturgasthaus Tschenglsburg selbst an dieser Initiative Anteil hat. Herbert Niederfriniger von der Prader Holzbaufirma Soligno in Prad hat bereits die Gemeinwohlbilanz nach den Kriterien Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung und Toleranz durchgeführt. „Als Firma, die Holzbauten errichtet, sind wir von Natur aus an der Nachhaltigkeit orientiert“, so Niederfriniger, „wir sind außerdem der starken Überzeugung, dass sich die Werte in der Wirtschaft verändern müssen“. In dieselbe Richtung argumentierte der Fotograf Ernst Bayer aus Glurns, dem „das bestehende Wirtschaftssystem schon lange auf dem Magen liegt“. Karl Luggin, alternativ denkender Landwirt und Biobauer vom Kandlwaalhof in Laas, legte seine Philosophie so dar: „Landwirtschaft heißt nicht bloß produzieren, in der Genossenschaft abgeben und dann hat man nichts mehr weiter zu sagen“. Er erinnerte sich, dass er am Anfang belächelt und kritisiert wurde, „aber die Leute haben den Unterschied bemerkt zwischen natürlicher und industrieller landwirtschaftlicher Produktion“. Er wünscht sich, dass die landwirtschaftlichen Fachschulen mehr darauf eingehen, wie die Landwirtschaft naturnaher und nachhaltiger produzieren kann: „Es ist eine Sünde, das nicht zu tun!“ Bedauerlich sei, so Werner Schönthaler, der eine Baustofffirma aus Eyrs und die Sozialgenossenschaft „Lebenswertes Ulten“ vertrat, dass derzeit gesunde Produkte im Baustoffbereich noch ziemlich teuer seien. Er erinnerte jedoch daran, dass nachhaltige Produkte langfristig gesehen die Kosten vermindern und lud insbesondere die Architekten zur Zusammenarbeit ein. Der Wirt des Kulturgasthofes Karl Perfler hofft, dass sich bald noch viel mehr Betriebe der Gemeinwohlökonomie anschließen. Kurz und bündig brachte Karl Luggin seine Hoffnung zum Ausdruck: „Wir verändern den ganzen Vinschgau!“
Friedrich Haring
Friedrich Haring