„Biosfera auf den Vinschgau ausdehnen“
Publiziert in 33 / 2010 - Erschienen am 22. September 2010
Prad – Die Zahl der Referenten war zwar größer als jene der Besucher, doch die Themen, die am 4. September im Nationalparkhaus „aquaprad“ im Zuge der „Parkarawane 2010“, einer Etappe der so genannten Alpenkarawane, zur Sprache kamen, hatten es zum Teil in sich.
Organisiert hatte das Treffen der Umweltbund Bozen (Legambiente) in Zusammenarbeit mit dem Nationalpark Stilfserjoch, dem Dachverband für Natur- und Umweltschutz in Südtirol und der Umweltschutzgruppe Vinschgau (USGV). Luca Pedrotti von der Nationalparkverwaltung führte in die Fauna und Flora im Parkgebiet ein.
Noch immer zuviel Rotwild
Zum Thema Rotwild hielt er fest, dass die seit Jahren getätigten Entnahmen zwar Wirkung zeigen, doch die Population sei nach wie vor zu hoch: „Wir haben gebietsweise bis zu 40 und mehr Hirsche pro Hektar gezählt, das ist die höchste Rotwilddichte im gesamten Alpenbogen.“ Auf das Projekt „Life Ursus“ im Naturpark Adamello-Brenta im Trentino ging Giorgio Carmignola vom Landesamt für Jagd und Fischerei ein. Von den 30 bis 40 Bären, die im Trentino leben, unternehmen schon seit Jahren vorwiegend männliche Tiere immer wieder „Ausflüge“. Sie suchen den Vinschgau auf, weitere Landesteile, aber auch die Schweiz, Österreich und Deutschland.
Viele Bären zu „Besuch“
Die Population im Trentino nehme weiter zu. Mit weiteren Referaten warteten Laura Zamprogno auf - sie stellte ein Informations- und Erziehungsprojekt in Bezug auf die großen Beutegreifer im lombardischen Parkanteil vor -, die Geologin und Präsidentin des Umweltbundes Bozen Silvia Forti - sie sprach zum Thema „Globale Erwärmung und Paläoklimatologie am Ortler“ - sowie Adriano Oggiano vom Amt für Landschaftsschutz, der die Bewertungskriterien des Siedlungseinflusses vorstellte, und Fabio Volpotti (Umweltbund Bozen), der über die Vergabe der Legambiente-„Fahnen“ informierte.
Über nachhaltige Regionalentwicklung und die Bedeutung des Rambaches sprach Helmut Schönthaler (im Bild), der Vorsitzende der Umweltschutzgruppe Vinschgau. Auf Schweizer Seite werden bekanntlich drei Seitenbäche des Rambachs hydroelektrisch genutzt, während der Talfluss bis 2071 von jeglicher hydroelektrischen Nutzung ausgeklammert bleiben muss. Auch über die Revitalisierungsmaßnahmen im Teilabschnitt des Rambaches bei Fuldera informierte Schönthaler. Erste Maßnahmen wurden 2004 umgesetzt, bis 2014 soll der Fluss wieder so aussehen, wie sich ein naturnahes Gewässer in all seiner Dynamik im Normalfall präsentiert.
„Der Schweizerische Nationalpark ist das älteste UNESCO Biosphärenreservat der Schweiz. Durch den Zusammenschluss mit der Val Müstair wurde die Fläche mehr als verdoppelt und es erfüllt nun teilweise die seit 1995 gültigen Vorgaben der UNESCO“, führte Schönthaler weiter aus. Die UNESCO hat der Erweiterung am 2. Juni 2010 zugestimmt, aber gleichzeitig bis 2013 die vollständige Erfüllung der Vorgaben verlangt.
Im Leitbild der Biosfera heißt es: „Die Bevölkerung des Val Müstair betrachtet das Projekt der ‚Biosfera Val Müstair-Parc Naziunal’ als eine Chance für die zukünftige, nachhaltige Entwicklung des Lebensraums und der gesellschaftlichen Strukturen.“ Schönthaler: „Wir von der Umweltschutzgruppe sind überzeugt, dass eine Fortführung des Biosphärenreservates auf Südtiroler Seite eine Fülle von Projekten ermöglichen würde, die der gesamten Region zugute kämen.“ Leider werde die Möglichkeit eines Biosphärenreservates auf Südtiroler Seite von den politischen Entscheidungsträgern nicht gesehen bzw. noch nicht erkannt.
Der USGV-Vorsitzende erinnerte an das seit mehr als 20 Jahren auf Südtiroler Seite anhaltende Bestreben, den Rambach hydroelektrisch zu nutzen: „Eine Großableitung mit 3,3 MW Leistung wurde angestrebt, wobei die SEL sich 50 % Beteiligung unter den Nagel reißt, während die restlichen 50 % sich die Gemeinden Taufers, Mals, Glurns und Schluderns mit unterschiedlichen Anteilen aufteilen.“ Auch ein Großableitungs-Projekt von privater Seite sei vorgelegt worden.
Wie Hermann Fliri, der Bürgermeister von Taufers, dem „Vinschger“ kürzlich auf Anfrage bestätigte, seien sich die Gemeinden Taufers, Mals, Glurns und Schluderns dahingehend einig, „dass man auf jeden Fall eine Kleinableitung vorzieht,“ also ein Kraftwerk mit einer Leistung unter 3 MW. Die zwei bisher vorgelegten Großableitungsprojekte (Eisackwerk GmbH und „E AG“ Mals) seien bisher von der zuständigen Dienststellenkonferenz in Bozen noch nicht archiviert worden. Die Umweltschutzgruppe verweist indessen erneut darauf, „dass der Rambach der einzige größere Talfluss im westlichen Südtirol ist, der noch frei von jeglicher hydroelektrischen Nutzung ist.“ Von der Absicht, den Fluss im Falle eines Kraftwerksbaus im Bereich vor der Einmündung in die Etsch bei Glurns aufzuweiten, halten die Umweltschützer nichts: „Der Wasserbauexperte Florin Florineth hat solche Maßnahmen als Nonsens bezeichnet“. Eine Aufweitung mache laut Florineth nur dann Sinn, „wenn genügend Wasser zur Verfügung steht.“
Rambach unter
Schutz stellen
Die USGV plädiert für eine verstärke Zusammenarbeit zwischen Stilfserjoch Nationalpark, Schweizer Nationalpark und Biosfera Val Müstair und fordert eine Unterschutzstellung des Rambaches von der Grenze bis zur Mündung in die Etsch. Die Gemeinden Taufers, Mals, Glurns und Schluderns könnten durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit den genannten Partnern in vielerlei Hinsicht profitieren. Eine Unterschutzstellung würde eine ökologische Aufwertung der gesamten Region nach sich ziehen.
Im Anschluss an einen Prozess der öffentlichen Bewusstseinsbildung könnte ein Naherholungsgebiet für Einheimische und Gäste entstehen. Und noch auf weitere positive Auswirkungen wird verwiesen: Werbeeffekt für einen sanften Tourismus und Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung der Region; verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit; naturnahes Fischereigewässer.
Josef Laner