Die Autorinnen der Publikation „Wie die Schwalben fliegen sie aus“: von links Ursula Lüfter, Adelina Wallnöfer und Martha Verdorfer (rechts) mit Maria Ortler Riedl

„Cercasi ragazza tedesca“

Publiziert in 10 / 2006 - Erschienen am 17. Mai 2006
Frauen führen in der Geschichtsschreibung eher ein stiefmütterliches Dasein. Mit der Publikation „Wie die Schwalben fliegen sie aus“ der Autorinnen Ursula Lüfter, Martha Verdorfer und Adelina Wallnöfer erschließt sich ein bislang verborgenes, jedoch sehr interessantes und wichtiges Kapitel Südtiroler Zeitgeschichte. Am 3. Mai wurde das in der Edition Raetia erschienene Buch der drei Südtiroler Autorinnen in der Bibliothek Schlandersburg vorgestellt. Die Sehnsucht, Stadtluft zu schnuppern und der engen, bäuerlichen Welt zumindest für einige Zeit zu entfliehen, trieb viele junge Südtirolerinnen in den Dienst in italienische Großstädte. Es waren vor allem Töchter bäuerlicher Großfamilien aus eher strukturschwachen Gebieten, wie dem oberen Vinschgau, die in den 20er und 30er Jahren und später in den 50er Jahren zu Migrantinnen wurden. Das mit Originalfotos reich bebilderte Buch schildert in einer kollektiven Biographie die geografische und soziale Herkunft der Frauen, ihre Kindheit im meist bäuerlichen oder handwerklichen Milieu, ihre Schul- und Arbeitserfahrungen in der Heimat. Wirtschaftliche Krisen wie Arbeitslosigkeit oder schlechte Ernten, familiäre Schicksalsschläge und ein überaus großer Kindersegen versetzte viele Familien in bittere Notlagen. Um die schlechte Situation etwas zu lindern, nahmen die älteren Töchter eine Arbeitsstelle als Magd auf Bauernhöfen oder als Serviermädchen im Gastgewerbe an. Dem Lockruf der Stadt und dem Leben bei den „Herrschaften“ ist ein weiterer Teil der Publikation gewidmet. Meist waren es italienische Touristen, die in Südtirol um Dienstmädchen warben. Die Südtirolerinnen galten als ehrlich, sauber, fleißig und zuverlässig. Alles Eigenschaften, die bei einem Dienstmädchen gefragt waren. Der Freizeitgestaltung in der Großstadt und der Begegnung mit dem Fremden wurde ebenso Platz eingeräumt wie dem Alltags- und Arbeitsleben in politisch unruhigen Zeiten. Die Südtiroler Mädchen, die in Mailand arbeiteten, trafen sich häufig im Kloster der Elisabethschwestern in der Via Panizza. In Rom war die „Anima“, eine deutsche Nationalstiftung, der Bezugspunkt der Frauen aus Südtirol. Bei diesen Treffen am Sonntagnachmittag konnten die Südtirolerinnen Heimatlieder singen, eine deutsche Andacht halten und sich austauschen. Die Unternehmungslustigeren unter ihnen gingen auch mal ins Kino oder ins Theater. Es war zur Zeit des Faschismus keine Selbstverständlichkeit, in den Dienst nach Italien zu gehen. Das hat zu Widerständen in Familien und in der Kirche geführt. Trotzdem haben die Mädchen mit Mut und Entschlossenheit ihr Leben in der Großstadt gemeistert. Sie haben dabei die wesentliche Erfahrung gemacht, dass nicht alle Italiener Faschisten waren. Die Rückkehr der jungen Frauen in ihre „kleine“ Welt mit modischen Frisuren, in adretten Kostümen und Hüten, mit einem kleinen ersparten Kapital und viel Lebenserfahrung ist ein weiteres Kapitel des Buches. Den Abschluss bilden ein Abschlussbericht in italienischer Sprache von Raffaella Sarti sowie ergänzende Kurzbiographien der Interviewpartnerinnen. Kurzum, ein interessantes, überaus lesenswertes Buch! Den Abschluss bilden ein Abschlussbericht in italienischer Sprache von Raffaella Sarti sowie ergänzende Kurzbiographien der Interviewpartnerinnen. Den Autorinnen gelingt es mit ihrem Buch schlussendlich auch, um Verständnis für die Migration der Gegenwart zu werben und daran zu erinnern, dass das Heimathaben durchaus nicht selbstverständlich ist und aufgrund der sozialen und politischen Rahmenbedingungen ein jederzeit zerbrechliches Konzept darstellt. Kurzum, ein interessantes, überaus lesenswertes Buch! Ingeborg Rechenmacher
Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Ingeborg Rainalter Rechenmacher

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