„...denn der Krieg kennt keine Trauer“
Publiziert in 41 / 2010 - Erschienen am 17. November 2010
Schlanders – Blitzschlag, Lawinen, Schneemassen, orkanartige Windstürme, Gletscherspalten, Eiseskälte, Hunger und feindliche Schüsse. Es ist kaum vorstellbar, wie während des Ersten Weltkriegs auf beiden Seiten der Ortlerfront gekämpft und gelitten wurde. In die Details der Eroberung der 3.851 Meter hohen Königsspitze führte am 9. November Manfred Haringer in der Aula Magna der Handelsoberschule in Schlanders ein. Haringer, ein profunder Kenner des Gebirgskrieges an der Ortlerfront (1915-1918), war von der Schützenkompanie „Priester Josef Daney“ Schlanders zum Lichtbildervortrag eingeladen worden. Vor über 100 Personen, unter denen sich auch auffallend viele junge Menschen befanden, zeigte Haringer rund 200 beeindruckende Lichtbilder, beschrieb die schier unsägliche Strapazen und Mühen, welche die Männer an der Front auf sich nehmen mussten, und untermauerte die Ausführungen mit Zitaten aus Tagebucheintragungen. Den 4. Teil seiner Vortragsreihe zum Thema Ortlerfront hatte Haringer nicht von ungefähr mit „Kampf der Bergführer um den Gipfel der Königsspitze“ betitelt, denn es waren in erster Linie Bergführer, vor allem auch aus Sulden, Trafoi, Gomagoi und Stilfs, die bei der Ausbildung der Standschützen - heute würde man laut Haringer von Sportschützen sprechen -, beim Bau der Seilbahnverbindung und bei der Besetzung des Gipfels eine wesentliche und unersetzbare Rolle spielten.
Die Königsspitze wurde am 25. Mai 1917 besetzt. Als der Feind, sprich die italienischen Alpini-Soldaten, die in der Gipfelspalte errichtete Bergführer-Baracke, die heute noch dort in Schnee und Eis begraben liegt, entdeckte, wurde sofort scharf geschossen. Bereits am 30. Mai 1917 forderte ein Blitzschlag 3 Tote und 5 Schwerverwundete. Viele Bergführer und Standschützen starben auch in Gletscherspalten oder sind erfroren. Aber auch feindliche Schüsse brachten den Tod. Am 9. August 1918 kam vom Abschnittskommando in Sulden der Befehl, den mit italienischen Soldaten besetzten Suldengrat zu stürmen, und zwar nachts. Der Angriff missglückte, 8 Männer starben. „Sicher sind sie in den Abgrund tiefer Gletscherspalten gestürzt“, heiß es in einer Tagebuchaufzeichnung. Und weiter: „Auch bei den Italienern wurden einige Soldaten tot abtransportiert. Der Stellungskrieg geht weiter,...denn der Krieg kennt keine Trauer!“
Zumal es vor allem gegen Kriegsende fast nichts mehr zum Essen gab, kam es manchmal auch zu einem „Warenaustausch“ zwischen den verfeindeten Frontsoldaten: Brot gegen Tabak zum Beispiel.
Wenngleich die Italiener laut Haringer den österreichisch-ungarischen Stellungen sowohl personell wie materiell weit überlegen waren, konnte der Gipfel der Königsspitze bis zum letzten Tag gehalten werden. Nicht unerwähnt ließ er auch den 3. November 1918, den Tag des Waffenstillstandes: „Auf österreichisch-ungarischer Seite hieß es, dass die Waffen sofort niederzulegen seien, und nicht erst 24 Stunden später, wie im Vertrag festgeschrieben.“ Dies habe dazu geführt, dass rund 600 Mann, die von der Ortlerfront in Richtung Prad strömten, gefangen genommen wurden. Viele wurden nach Albanien transportiert und starben an Malaria.
Haringer hatte das Kriegsgeschehen auch in die Geschichte der Donaumonarchie eingebettet. Er erinnerte an den Londoner Geheimvertrag den Italien 1915 unterzeichnete. Ein Treuebuch, der zur Folge hatte, „dass das alte Tirol zerrissen und unser Land vom ehemaligen Kriegsfeind annektiert wurde. Was danach über Südtirol hereinbrach, wissen wir nur zu gut.“
Josef Laner