Die Freiheit und das Dogma (der Freiheit)
Publiziert in 12 / 2009 - Erschienen am 1. April 2009
Latsch – „Die Welt muaß z’ruck in die Natur.“ Der Satz des Korrners Mort König klingt weise, aber König ist kein Weiser, sondern ein Fanatiker. So zumindest inszeniert Lorenz Marsoner „Straßenblut – Korrnerblut“ von Hans Renz. Der Spielleiter der Volksbühne Latsch, Marsoner, ist schon seit Ende der 80er Jahre von der Korrner Thematik begeistert. In diesem Jahr, zum 20-jährigen Jubiläum der Bühne, sollte ein ernsthaftes Sujet mit der „jüngeren Thematik des Tales“ verknüpft werden. Die Korrnerlieder, vorgetragen vom Latscher Viergesang, entstammen jüngeren Datums, nämlich aus der Feder von Luis Stefan Stecher. So fragt sich der Zuschauer großäugig, warum nicht auch das Bühnenbild einen frischeren Anstrich bekommen konnte – oder sind Volksbühnen zu naturalistischen Bühnenbildern verpflichtet? Oberflächlich schaukeln sich bei der Inszenierung der Volksbühne Latsch zwei entgegen gesetzte Parteien, die Gemeindemitglieder von Latsch und die Familie des Korrners König, an ihren verschiedenen Positionen hoch. Allerdings stehen hier Spießbürgerlichkeit oder wenig hinterfragte Tradition - auf der einen Seite - und die Freiheit der Korrner auf der Straße - auf der anderen Seite - nie wirklich in Konkurrenzkampf. Am Ende bleibt die Freiheit auf der Strecke, auf allen Seiten.
Die Geschichte selbst ist einfach: Der junge Korrner Hansl verletzt sich, kann nicht weiterziehen, Agnes, verwitwet und jung, pflegt ihn. All dies nicht zur Freude des herrschsüchtigen Vaters König, noch weniger zur Freude der Gemeindemitglieder, denen jeder Korrner verhasst ist und die ihre wenig hinterfragte Tradition der Enge bedroht sehen. Hansl und Agnes können gut miteinander, auch ein Kind zeugen können sie. Ein Korrner sei ein Korrner, so die einen, ein Hof bedeute Enge, so Mort König, dem es vor allem um den Erhalt seiner Zunft geht. Dramatisch rast der Zuschauer auf das Finale zu: Beschämend steif bleibt Hansl ohne Entscheidungswille, stumm folgt der werdende Vater der Tradition seines eigenen Vaters. Hier hallt ein anderer Ruf der Natur in ein taubes, menschliches Dickicht. Echo gibt es keines. Mort König (Lorenz Marsoner) bleibt derb und wütet fanatisch gegen „umgefallene“ Korrner, die ihre Zunft auf- und sich einem bequemeren Leben hingeben. „Unsere Zeit kommt wieder,“ bricht es aus dem Patriarch hervor. Dass er seine Lebensanschauung zum Dogma verkommen lässt, erkennt er nicht. Am Ende des Stückes ist deutlich, wer die Leidtragende ist: Agnes, deren Hoffnung auf Verschmelzung zweier Kulturen nur eine einsame Frucht hervorbringen wird. Petra Pedross glänzt in ihrer Rolle derjenigen, die Liebe um jeden Preis will. Und dort, wo die Gemeinde verstockt keine Korrner will, dort, so Lorenz Marsoner, „könne man heute auch andere Gruppen einfügen. So viel sich in den letzten 50 Jahren geändert haben mag; am Unmut gegen das Fremde hat sich wenig geändert.“ (kat)
„Straßenblut-Korrnerblut“
von Hans Renz
Regie: Lorenz Marsoner
Mittelschule Latsch
Samstag, 4. April 20 Uhr
Info unter Telefon: 0473 623109 oder 0473 623322.