Die Geheimnisse an der Töll
Publiziert in 43 / 2011 - Erschienen am 30. November 2011
Töll - Für jene, die aus dem Burggrafenamt kommen, hat der Vinschgau noch nicht richtig begonnen. Wer vom Westen kommt, hat das Tal-Ende erreicht. Die einen sind vielleicht noch eingenommen von der Kurstadt Meran, die anderen beeindruckt von der Obervinschger Kulturlandschaft. Fällt dann zufällig der Blick auf das gelbe Schild „Südtiroler Kunstkeramik. Antiquitäten geöffnet“, ist einfach das Wissen nicht da, in dem unscheinbaren Bau dahinter mit den herumliegenden, -hängenden oder -stehenden Keramiksachen kulturelle Sensationen – heute sagt man Highlights - zu vermuten. Allein der Besitzer ist ein kulturhistorisches Netzwerk aus Fleisch und Blut, ein Unikat. Wenn Gunther Erhart, der Designer und Weltenbummler, der Kunsthändler, Hochleistungssportler und Architekt, ungezwungen plaudernd zwischen Ebenholz-Krippen aus Zentralafrika und Glasfiguren aus Murano hindurchführt, dann fehlen einfach die Worte. Nimmt man so im Vorbeigehen Mendevil-Figuren aus Cuzco auf geschnitzten Tiroler Bauerntruhen aus dem 16. Jahrhundert, drei Meter hohe Krippen aus Mahagoni, fein getriebene Hirschfänger oder eiserne Hochzeitsböller wahr, dann muss man sich kneifen: Bin ich an der Töll? Oder im Völkerkundemuseum einer Weltstadt? Kann es sein, dass der Mann mit Picasso gearbeitet hat, mit Gio Ponti, dem Architekten des Hotels Paradiso in Martell, befreundet war, den Reichen in Hollywood ihre Villen eingerichtet und mit Jacques Chirac über afrikanische Masken verhandelt hat? Das alles auf dem Schwemmkegel von Partschins, einfach so neben der Straße, einfach zu besuchen, so ab 10.00 Uhr am Vormittag und ab 15.30 Uhr am Nachmittag. Wahnsinn!
Günther Schöpf