Eine „Turbogemeinde“ im Wandel der Zeiten
Publiziert in 4 / 2010 - Erschienen am 3. Februar 2010
Naturns – „Es gibt nichts in Naturns, was es nicht gibt.“ Der Direktor der Abteilung Natur und Landschaft Roland Dellagiacoma, der auch in der Gemeinde-Baukommission von Naturns sitzt, liebt deftige Sprüche und war an diesem 20. Jänner - im neuen Lebensabschnitt als Pensionist - vielleicht um einen Deut klarer, als er im Theatersaal vor Bürgermeister Andreas Heidegger, dessen Referenten, vor Gemeinderäten, Heimatpflegern, Umweltschützern und ganz wenigen Naturnsern kluge Worte zur „schleichenden Landschaftszerstörung in der Turbogemeinde Naturns“ von sich gab. Anlass zum Auftritt des Direktors gab die Ausstellungseröffnung „Kulturlandschaft Südtirol - Der Wandel seit 1950“, zu der die Referentin für Natur und Umwelt, Gudrun Pöll, eingeladen hatte. Naturns war im Vinschgau neben Mals und Martell und sieben weiteren Südtiroler Gemeinden von Christine Wanker und Alexander Dusleag am Institut für Geographie der Universität Innsbruck - wörtlich - unter die Lupe genommen und für exemplarisch befunden worden. Exemplarisch für Veränderungen nicht nur positiver Art. Im 206 Seiten starken Projektband wurde zwar in streng objektiver Form und ohne Wertung der Strukturwandel in der Landwirtschaft, das Anwachsen der Siedlungsflächen, die Folgen von Bevölkerungswachstum und Tourismus über vergleichende Bilder aus fast fünf Jahrzehnten eingegangen, aber die Rückseite von Wandel und Änderung waren und sind eben auch Verlust und Zerstörung. Auch wenn Zeitzeugin Maria Fliri Gerstgrasser nicht direkt anklagte, ihre Schilderungen aus dem Blickwinkel eines Bergbauernkindes stimmten nachdenklich. Sie hatte als Mädchen die Kornschnitter auf dem Tablander Schuttkegel gezählt, ist den Naturnser Bauern mit der „Milchzumm“ auf dem Rücken begegnet und hat miterlebt, wie die „Dienstwege der Waaler“ verschwanden oder zu Wanderwegen für Touristen wurden. Die Ausstellung ist noch bis Samstag zugänglich.
Günther Schöpf