Als Geschenk überreichte Martin Trafoier, der weltweite Präsident der Eisbärengesellschaft, dem Landeshauptmann einen Eisbären und eine Marillenschokolade aus Laas.

Elf Kinder und sieben Stück Vieh

Publiziert in 38 / 2011 - Erschienen am 26. Oktober 2011
Schlanders – Der eine kommt, weil er mit den bösen Nachbarn streitet, der andere, weil er eine neue Erfindung zeigen will, wieder ein anderer, weil er eine „radikale“ Lösung zur Beseitigung der faschistischen Überbleibsel auf Lager hat, die eine, weil sie Scheidungsprobleme hat und die andere, weil sie mit 50 Jahren als Tänzerin in Nachtlokalen nicht mehr gebraucht wird und sich gezwungen sieht, als Prosti­tuierte auf der Straße zu arbeiten. Dies ist nur ein kleines Spektrum der Probleme und Anliegen, mit denen die Menschen täglich von 6 bis 8 Uhr zum Landeshauptmann kommen. Als Luis Durnwalder am 18. Oktober in das Realgymnasium nach Schlanders kam, um vor den über 120 Schülerinnen und Schülern der ersten und zweiten Klassen sowie vor Lehrkräften aus seinem Leben und seiner politischen Arbeit zu erzählen, hatte er sich bereits die Probleme von rund 30 Personen angehört. Ungezwungen und locker führte der frisch gebackene „70er“ die jungen Leute in die Zeit zurück, als er noch selbst in die Schule ging. Geboren ist Durnwalder am 23. September 1941 als fünftes von elf Kindern einer Bergbauernfamilie in Pfalzen: „Wir hatten sieben Stück Vieh. Elektrisches Licht gab es nicht. Wir waren die reinsten Selbstversorger, aber auch wir sind aufgewachsen.“ Durnwalder besuchte die Mittelschule und das Gymnasium im Kloster Neustift und sollte eigentlich Geistlicher werden: „Mein Name Pater Norbert stand bereits fest, die Maße für den Talar waren schon ­genommen.“ Allerdings hatte er mittlerweile entdeckt, dass es zwei Arten und Menschen gibt. Drei Tage habe er am Bahnhof in Wien übernachtet, bis er die Hochschule für Landwirtschaft fand. Er studierte Agrarwissenschaften in Wien und an der Universität Florenz und danach Rechtswissenschaften an den Universitäten Wien und Innsbruck. Im Anschluss an eine Lehrtätigkeit in Bruneck und Bozen wurde er Direktor des Südtiroler Bauernbundes. Von 1969 bis 1973 war er Bürgermeister von Pfalzen, von 1973 bis 1978 ­Regionalassessor, von 1979 bis 1989 Landesrat für Land- und Forstwirtschaft und seit 1989 ist er Landeshauptmann. „Ich wollte eigentlich nie in die Politik gehen. Wäre ich noch einmal jung, würde ich Freiberufler werden,“ sagte Durnwalder. Die Arbeit als Berufspolitiker sei nicht so einfach wie viele glauben: „Du wirst täglich von den Medien durchleuchtet, du hast Neider, die dir nicht einmal eine Geburtstagsfeier gönnen und du wirst dauernd damit konfrontiert, dass viele Politiker nur stehlen, bestechlich sind und auf persönliche Vorteile aus sind.“ „Du wirst täglich durchleuchtet“ Die Entwicklung Südtirols beschrieb Durnwalder so: „In den 60er Jahren waren wir Uganda, heute haben wir Italiens höchstes Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner.“ Aufgabe der Politik sei es, die Probleme der Menschen zu lösen. Unter einer Politik der Autonomie - seinerzeit hart erkämpft und heute weitreichend - stelle er sich eine Politik vor, „die auf unser Land Rücksicht nimmt.“ Aber auch auf Probleme und künftige Herausforderungen ging Durnwalder ein. Dazu ­zähle in erster Linie die Ausbildung, sprich das Investieren in die Köpfe. Auch die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen seien viel mehr zu fördern. Ebenso sei in Forschung und Ent­wicklung zu investieren. Derzeit sei es leider so, dass ca. 20% der Jungakademiker nicht mehr nach Südtirol zurückkehren, „weil es anderswo bessere Arbeitsplatzangebote gibt.“ Zum Thema Einwanderer meinte der Landeshauptmann, „dass wir den rund 40.000 Ausländern, die in Südtirol leben, menschenwürdige Bedingungen auf allen Ebenen bieten sollten.“ Ohne Einwanderer hätte Südtirol große Probleme: „Denken wir nur an das Gastgewerbe oder das Sozial­wesen. Ohne Einwanderer wären 4.000 alte Leute auf der Straße.“ Ein besonderes Augenmerk sei auf die Schaffung qualitativ hochstehender Arbeitsplätze zu legen. Immer schwerwiegender werde das Problem, Arbeits­plätze für Personen in der Lebensmitte zu finden: „Es ist leider eine Tatsache, dass dich mit 50 keiner mehr nimmt.“ „Mit 50 nimmt dich keiner mehr“ Weitere Herausforderungen sieht Durnwalder in der Nutzung der erneuerbaren Energien, im Umweltschutz, im Erhalt der Landwirtschaft und der Zusammenarbeit derselben mit dem Tourismus. Mehrfach aufgeworfen haben die Schülerinnen und Schüler in der Diskussion das Thema der 5- oder 6-Tagewoche. Durnwalder persönlich plädiert für eine 5-Tage-Woche: „Wenn samstags frei ist, kann die ganze Familie etwas unternehmen.“ Ausdiskutiert sei dieses Thema noch nicht, „es sollte jedoch zu einem einheitlichen Schulkalender kommen, wie auch immer dieser dann aussehen mag.“ Professor Martin Trafoier erinnerte daran, dass 70% der Schüler des Realgymnasiums eine 6-Tage-Woche befürworten. „Jeder normale Freiberufler verdient mehr“ Mehrfach angesprochen wurden auch die Kosten der Politik: Wie kann es sein, dass der Landeshauptmann mehr verdient als Obama? „Solche Vergleiche sind zwar populär, aber blödsinnig und nur Erfindungen der Zeitungen“, reagierte Durnwalder etwas gereizt. „9 Regionen-Präsidenten in Italien verdienen mehr als ich, 9 weniger.“ Es gebe viele Personen, „die mehr verdienen als ich. Bankfunktionäre zum Beispiel oder auch Ärzte.“ So überbezahlt seien die Politiker nicht, „jeder normale Freiberufler verdient mehr.“ Es habe Kürzungen gegeben und weitere werden folgen: „Wenn ich zum Beispiel in einigen Jahre in Rente gehe, werde ich nach 40 Beitragsjahren weniger bekommen als zum Beispiel Silvius Magnago bekam oder derzeit Robert ­Kaserer bekommt.“ Zur Frage des Italienischunterrichts meinte Durnwalder, dass es leider immer noch zu viele Eltern gibt, die den Kindern nicht sagen, wie wichtig es ist, neben der Muttersprache auch Italienisch und auch Englisch zu lernen. „Und jenen, die sagen, dass es Italienisch nicht mehr braucht, weil wir ohnehin bald bei Österreich sind, kann ich nur nahe legen, dass Italienisch auch in Österreich gefragt ist, vor allem in Innsbruck, und Englisch sowieso.“ Zugang zur Zweitsprache schon im Kindergarten Ein weiteres Problem sei, dass nicht wenige Lehrkräfte aus Süd­italien nur deshalb nach Südtirol kommen, „um hier Punkte zu sammeln für eine spätere Stelle in ihrer Heimat. Außerdem beherrschen viele nicht die deutsche Sprache.“ Was sich Durnwalder vorstellen kann, ist, dass man den Kindern bereits im Kindergarten einen Zugang zur italienischen Sprache auf spielerische Weise ermöglicht. Dass Durnwalder eine Lanze für den Flugplatz brechen würde, war zu erwarten: „Wir brauchen keinen großen Flugplatz, einen kleinen aber schon. Man darf nicht nur das Geld sehen, das dafür ausgegeben wird, sondern wir müssen auch das betrachten, was der Flugplatz indirekt für die Wirtschaft, den Tourismus, den Sport und andere Bereiche bringt.“ Vorweggenommen hat der Landeshauptmann die Lösung der Frage Holz- oder Aluminiumschilder: „Es wir bei den Holzschildern bleiben.“ Die Frage, was ihn bei den morgendlichen Sprechstunden besonders berührt hat, brachte Durnwalder ein bisschen zum Nachdenken: „Sehr berührt hat mich der Fall einer ca. 50-jährigen Frau.“ Sie sei als Tänzerin in Nachtlokalen aufgetreten, doch als sie wegen ihres Alters nicht mehr gebraucht wurde, sah sie sich gezwungen, auf der ­Straße auf den Strich zu gehen, um ihrer Tochter das Studium zahlen zu können. Als die Tochter sie aber einmal auf der Straße sah, drohte die Welt zusammen zu brechen. Durnwalder: „Ich legte mich für diese Mutter persönlich ins Zeug. Heute geht sie einer geregelten Arbeit nach.“ „Lebende Bücher“ Die Initiative, jährlich interessante Persönlichkeiten ins Realgymnasium einzuladen, war von Martin Trafoier ausgegangen. Begonnen hat die Initiative „Lebende Bücher“ im Vorjahr. Als nächstes „lebendes Buch“ wird Anfang Dezember Monika ­Hauser als Laas erwartet. Hauser, die Gründerin von „medica mondiale“, ist Trägerin des Alternativen Nobelpreises. Lobende Worte für die Initiative fand Schuldirektor Herbert Raffeiner. In Vertretung der Gemeinde war Vizebürgermeisterin Monika Holzner Wunderer gekommen.
Josef Laner
Josef Laner

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