Vera Nicolussi-Leck

„Ich bin am Menschen interessiert und ich bin gerne im Vinschgau“

Publiziert in 18 / 2012 - Erschienen am 9. Mai 2012
Schlanders - Wer ist Vera ­Nicolussi-Leck, die neue Kinder- und Jugendanwältin Südtirols? Mit großem Medienkrawall wurde sie im Lande begrüßt: Neue Heilsfigur für jene, die sich mit der Jugend, besonders jener jungen Menschen, die aus dem Rahmen fallen, schwer tun, ­Racheengel oder Retterin missbrauchter Kinder und Jugend­licher, Vermittlerin für Scheidungskinder, Hoffnungsträgerin für schulgeschädigte Kinder, politische Innovatorin? Wir waren daher sehr gespannt, von ihr zu hören, wer sie selbst in diesem Amte sein will. Wir haben Vera Nicolussi-Leck in Schlanders getroffen und mit ihr ein Gespräch geführt. Wir sind einem Menschen begegnet, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht, einer jungen Frau, die es wissen will, einer Amtsträgerin mit klaren strategischen Zielen, die sich nicht hinter ihrem Amt versteckt, sondern dieses Amt persönlich ausgestalten will und mit herrlichem Pusterer Sound in der Stimme ihre Vorstellungen darlegt und erläutert. „Der Vinschger“: Frau Nicolussi-Leck, Sie sind seit kurzem in­ ­Ihrem Amt. Wie fühlt man sich als neue Kinder- und Jugendanwältin? Vera Nicolussi-Leck: Jetzt macht es mir viel Spaß. Die ­erste Woche war sehr bewegt, mit sehr vielen Eindrücken: Was ist meine Rolle, wo liegen die Aufgaben, was kann ich von meinem Vorgänger übernehmen, was passt zu mir, wie gestalten wir die Zusammenarbeit mit meiner sehr kompetenten Mitarbeiterin am besten? Ich war schon zwei Tage in Rom bei einer Tagung für Kinder- und Jugendanwälte, die mich in meiner Rolle gestärkt und in meinen Vorstellungen gefestigt hat. Hatten Sie das Gefühl, dass mit Ihrer Berufung durch den Landtag auch politische Erwartungen verbunden waren? Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ich bin der Meinung, es ist ganz wichtig, dass es ein weisungsungebundenes und politisch unabhängiges Amt bleiben soll. Die Berufung hatte für mich eher die Botschaft: Der gesamte Landtag steht hinter mir und die Abgeordneten sind überzeugt, dass ich diese Arbeit gut machen werde. So möchte ich dieses Amt auch ausführen. Es muss die Zusammenarbeit mit allen Politikern aller Parteien geben, aber nicht um mich an Parteien zu binden, sondern um in meinem Amt auch entsprechend wirksam arbeiten zu können. Stehen Sie selbst einer poli­tischen Partei nahe? Diese Frage habe ich bei der ersten Anhörung schon einmal gestellt bekommen. Es ist nahe liegend, dass ich auf Grund meines Namens diese Frage bekomme. Ich bin bei keiner Partei und mein Amt ist parteiunabhängig und weisungsungebunden. Natürlich habe ich politische Vorstellungen, aber diese sollen in der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen und auch mit den Institutionen keine Rolle spielen. Sie haben bereits einmal öffentlich festgestellt, dass Korrektheit, Ehrlichkeit und Kompetenz für Sie die wichtigsten Eigenschaften für die Ausübung Ihrer Tätigkeit sind. Davon bin ich überzeugt. Es kann sein, dass man einmal irgendwo aneckt; aber es gibt immer das Gespräch. Wenn ich im Gespräch bleibe, kann man auch in unangenehmen Situationen eine Lösung finden. Es ist ­höchste Zeit, dass wir in unserem starren System neue Lösungen finden und neue Wege gehen. Mit dieser Überzeugung bin ich aufgewachsen. Im Gesetz zur Kinder- und Jugendanwaltschaft wird nur von den Rechten der Kinder gesprochen. Haben Kinder und Jugendliche nicht auch Pflichten? Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Ich komme aus der Schule und habe dort stark wahrgenommen, dass Kinder auch Pflichten, Verpflichtungen und Grenzen brauchen. Meine Aufgabe sehe ich ganz klar darin, die Rechte der Kinder zu stützen, aber auch klar zu stellen, dass jedes Recht auch eine Verpflichtung beinhaltet. Zum Beispiel? Wenn ich das Recht habe, von meinen Eltern finanziell unterstützt zu werden, dann habe ich auch die Pflicht, meine Eltern über meinen Werdegang zu informieren und meine Ausbildung abzuschließen. Diese Erwartung haben die Eltern zu Recht; ebenso dass ich ihnen Respekt entgegen bringe und sie auch in mein Leben einbeziehe. Darin liegen die Pflichten. Die Gründe, warum sich Kinder und Jugendliche daneben benehmen, liegen oft viel tiefer als es nach außen hin scheint. Wo ­sehen Sie die Gründe für „Fehlverhalten“ von Kindern und Jugendlichen? Ich möchte das so beantworten. Meine ursprüngliche Ausbildung ist das Rechtsstudium. Aber ich habe auch weitere Ausbildungen gemacht. Zum ­Beispiel in Gewaltfreier Kommunikation, Mediation und Persönlichkeitsbildung. In der Gewaltfreien Kommunikation schaut man in erster Linie darauf, welches Bedürfnis hinter einer Verhaltensweise steckt. Kinder und Jugendliche äußern ihre Bedürfnisse nicht immer in idealer Weise, das gilt ja auch für die Erwachsenen. Ein konkreter Fall? Wir haben alle das Bedürfnis nach Anerkennung, Macht, Liebe usw. Aber die Strategie, die Jugendliche oft dafür auswählen, kann total daneben sein. Wenn zum Beispiel in der Schule eine Lehrperson ständig an einem Kind herumnörgelt und es ermahnt, dann kann beim Kind der Eindruck entstehen: Die mag mich nicht! Dann kommen die Eltern des Kindes und sagen: „Sie mögen meine Tochter nicht“. Das ist mir auch passiert und ich bin aus allen Wolken gefallen, weil mich gerade dieses Kind ganz fest beschäftigt hat und ich es immer wieder ermahnt habe. Es war mir wichtig, dass das Kind sich konzentriert, weil ich gemerkt habe, dass es ein großes Potential hat und etwas von der Schule mitnehmen soll. Wenn nun die Mutter das versteht, dann wird ihr klar, dass ich ihr Kind eigentlich mag. Für mich ist es aber auch wichtig, zu verstehen, was die Ursachen sind, warum sich das Kind nicht konzentrieren kann. Danach können wir darüber nachdenken, was getan werden kann, damit sich das Kind besser konzentrieren kann und die schulische Ausbildung erfolgreich ist. Es ist gut, dass es Rechte für Kinder gibt und diese müssen auch Geltung haben; aber es muss auch eine psychologische Betreuung möglich sein, wie es auch im Gesetz vorgesehen ist und gerade bei Scheidungskindern oft notwendig ist. Sie sehen also nicht nur die rechtliche Seite, sondern es ist Ihnen auch das Verstehen eines Problems wichtig. Sind Sie dann nicht eine Art Seelsorger oder weiblicher Jugendbischof? Für mich ist hier der Begriff „Ombudsmann“ der bessere Ausdruck. Der Ombudsmann ist der Vermittler. Da, glaube ich, müssen wir ansetzen. War dieses Vermitteln nicht die ursprüngliche Aufgabe des Lehrers oder des Bürgermeisters? Haben wir nicht oft vergessen, dass hier immer Menschen im Spiel sind und wir im Gespräch Lösungen finden, in denen auch das Recht eine Rolle spielt? Ich hoffe, dass es mir gelingt, meine Tätigkeit in diesem Bewusstsein auszuüben, denn es klingt doch ­irgendwie ideal. Interview: Friedrich Haring Kinder- und Jugendanwältin Name: Vera Nicolussi-Leck Geboren: 1976 Wohnort: Percha Hobby: Rennrad, Schitouren, Lesen Beruf: Juristin und Lehrerin an der Hotelfachschule Bruneck Tätigkeit: Kinder- und Jugendanwältin in Südtirol Motto: Es ist nicht wichtig wie weit ich gekommen bin, sondern dass es mein Weg ist, den ich gegangen bin. Wie kann ich die Kinder- und Jugendanwältin erreichen? Das Büro der Kinder- und Jugendanwaltschaft befindet sich in Bozen, Cavourstr. 23/c. Die Rufnummer ist 0471-970615, die E-Mail Adresse lautet info@kinder-jugendanwaltschaft-bz.org. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage: www.kinder-jugendanwaltschaft-bz.org
Friedrich Haring
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