Nicht verboten, aber bedenklich
Publiziert in 40 / 2011 - Erschienen am 9. November 2011
Mals – Pestizide können die menschliche Gesundheit gefährden. „Es gibt zwar Grenz- und Höchstwerte, doch nicht alles, was erlaubt ist, ist ungefährlich. Was es bräuchte, sind Verbote gefährlicher Präparate.“ Dies war eine der Kernaussagen der Toxikologin und Professorin Irene Witte von der Universität Oldenburg, die am 3. November im voll besetzten Kulturhaus in Mals über Spritzmittel im Obstbau und daraus resultierende Belastungen in angrenzenden Grünwiesen sprach.
Der Vortrags- und Diskussionsabend, zu dem die Umweltschutzgruppe Vinschgau mit Unterstützung der Bioverbände Bund Alternativer Anbauer und Bioland eingeladen hatte, war eine weitere Initiative, mit der die Problematik der Ausweitung des Obstanbaus im Obervinschgau vertieft werden sollte. Helmut Schönthaler, der Vorsitzende der Umweltschutzgruppe, erinnerte einleitend daran, dass im Obervinschgau jährlich rund 60 Hektar Wiesen und Äcker in intensive Obstkulturen umgewandelt werden. Das Problem der Spritzmitteleinträge auf das Grünland habe sich verschärft. Erschwerend hinzu komme, dass im Obervinschgau häufig starker Wind weht, was die Einträge begünstigt. Auch die Kleinparzellierung stelle ein Problem dar. „Wichtig ist, dass alle Beteiligten miteinander reden und der Dialog nicht abbricht“, so Schönthaler. Den unlängst herausgebrachten Leitfaden für die Erstellung neuer Obstanlagen im Grünlandgebiet sei ebenso ein Schritt in die richtige Richtung wie die Initiative „Adam & Epfl“. Ein friedliches Miteinander zwischen Vieh- und Obstbauern sollte das Ziel sein.
Heuproben analysiert
Über 10 Heuproben wurden 2011 auf Initiative der Umweltschutzgruppe, von Bioverbänden und auch Privaten im Gebiet von Laas bis Mals gezogen, und zwar in Grünwiesen in einem Abstand von 1 bis 10 Metern zu Obstwiesen. „Es wurden zum Teil 5 und mehr Pflanzenschutzmittel im Heu nachgewiesen“, so Schönthaler. Irene Witte stellte die Analyseergebnisse im Detail vor. Es seien Fungizide und Insektizide gefunden worden, wie etwa Kupfer, Captan, Chlorpyrifos oder Dithiocarbamate. Die möglichen spezifischen Wirkunken der Substanzen reichen von Vergiftungen, Haut- und Augenreizungen bis hin zu krebserregender Wirkung. Die Werte seien zum Teil hoch, „jedoch sagen erlaubte Höchstwerte nur aus, ob die Substanzen sachgerecht angewandt wurden, nicht aber, ob sie giftig sind oder nicht.“ Hierzu müsse die Wirkung bei lang dauernder Einnahme berücksichtigt werden. Auf die konkrete Frage, ob sie das Füttern der Kühe mit dem analysierten Heu befürworte, meinte die Professorin: „Wenn es vermeidbar ist, nicht, oder nur sehr wenig.“
Mehrfach unterstrichen hat Witte in ihren teils sehr wissenschaftlichen und daher nicht leicht verständlichen Ausführungen, dass Pestizide speziell dann negative Wirkungen haben können, wenn sie zusammen eingesetzt werden: „Manche Substanzen reagieren chemisch miteinander, das Gemisch ist giftiger als die Summe der Einzelwirkungen.“ Die Kombinationswirkungen von Pestiziden seien noch nicht ausreichend erforscht. Im Getreideanbau oder in biologisch bewirtschafteten Flächen sollten Pestizide überhaupt tabu sein. Ein Bio-Viehbauer gab zu bedenken, dass in seinem Heu Captan (1,75 mg/kg) festgestellt wurde. Die Professorin dazu: „Vom Gesetz her ist das erlaubt, es gibt keine Regelung.“ Grundsätzlich räumte Irene Witte ein, dass die intensive Landwirtschaft „toxikologisch eine ziemliche Katastrophe ist. Wir sind alle gefährdet und müssten Verbote fordern. Gefährliche Stoffe sollten vom Markt genommen werden.“
Biologisch bewirtschaftete Futterwiesen dürfen keine Pestizide aufweisen. Trifft dies zu, muss das Futter an konventionelle Betriebe verkauft bzw. entsorgt werden.
Irene Witte nannte eine Reihe von Minimalforderungen: Reduzierung der Anzahl verschiedener Fungizide, keine Kombination von Kupferpräparaten und Dithiocarbamaten, Erfassung der Kombinationswirkung von Pestizidpräparaten sowie Herabsetzung der Grenzwerte bei starken Kombinationswirkungen. Für die Landwirtschaft im Obervinschgau schlug Witte weiter vor, nach Möglichkeiten zu suchen, um die Spritzmitteleinträge zu minimieren. Hierfür wurden im Zuge der Diskussion Mindestabstände genannt, Heckenpflanzungen und auch technische Verbesserungen beim Sprühen, sodass die Abdrift vermindert werden kann. Etliche Fragen aus dem Publikum blieben offen: Was passiert, wenn Rückstände in der Milch festgestellt werden? Wie „ungesund“ ist das Heu in unmittelbarer Nähe von Obstwiesen wirklich, speziell im Vergleich zu unbelasteten Grünflächen?
60 kg Pestizide pro Hektar
Aufhorchen ließ die Wortmeldung eines Diskussionsteilnehmers vom Nonsberg: „In den Obstbauflächen im Trentino und in Südtirol werden jährlich pro Hektar ca. 60 kg Pestizide versprüht. Unsere Region ist hier europaweit der negative Spitzenreiter. Auch in Gärten und in Wohnhäusern wurden im Trentino giftige Rückstände festgestellt, sogar im Urin von Kindern.“ Witte meinte: „Nicht alles im Haus stammt von Äckern und Wiesen. Auch Teppiche oder Insektenspray können die Gesundheit gefährden.“ Vertreter der Obstwirtschaft beteuerten, dass die Problematik rund um die Rückstände sehr ernst genommen werde. Leider gebe es immer noch schwarze Schafe, „die wir aber mit allen erlaubten Mitteln auszugrenzen versuchen.“ Man sei bestrebt, das Insektizid Chlorpyrifos, das nur noch begrenzt im Frühjahr eingesetzt werde, künftig mit anderen Substanzen zu ersetzen. Neue Techniken zur Verminderung der Abdrift beim Sprühen werden zurzeit getestet. Auch die Obstwirtschaftsvertreter mahnten den Weg des Dialogs und gegenseitigen Respekts an.
Auf Herbizide verzichten
Eine Absage erteilte Witte dem Einsatz des Unkrautvernichtungsmittels Roundup. Mit diesem Mittel werden im Vinschgau in Einzelfällen sogar Grünwiesen „behandelt“, so etwa kürzlich in Schlinig.
Rudi Maurer rief die Gemeindeverwalter dazu auf, auf den Einsatz von Herbiziden auf öffentlichen Anlagen zu verzichten. In seiner Heimatgemeinde Prad seien kleinräumig auf öffentlichen Flächen mit Pflasterbelag und auf dem Friedhof für die Unkrautbekämpfung Roundup und Hedonal eingesetzt worden.
Helmut Schönthaler, seines Zeichens auch Bio-Obstbauer, regte an, auch im integrierten Anbau die mechanische Unterstockbearbeitung in Erwägung zu ziehen.
Josef Laner