Nach Payer 1876

Payer und der Bär

Publiziert in 42 / 2007 - Erschienen am 28. November 2007
Die Presse hat durch die Fülle der Ereignisse in Verbindung mit der Rückkehr des Bären als eventuell gefährlich werdenden Beutegreifer ausführlich berichtet. Besonders im Gebiet nahe dem Ortlermassiv verdienen dadurch einige historische Notizen, die auf Julius von ­Payer zurückgehen, und die fast 150 Jahre zurückliegen, wieder unser besonderes Interesse, da er bei seinen topographischen Aufnahmen im Niveau der Almen, also einem der Refugien der Bären, mit nur wenigen Begleitern, darunter oft mit J. Pinggera als Führer, reichlich eigene Erfahrungen sammeln konnte. Wie ähnlich oder anders war hierzulande vor der so genannten Ausrottung des Bären damals die Einstellung des Menschen zu ihm? Die Antwort lautet: Grundsätzlich abwehrend feindlich, das diktierte schon der härtere Existenzkampf, und die Schauobjekt-Allüren der Touristik der Gegenwart waren noch kein Motiv. Wenn sich Gelegenheit zum Abschuss ergab, wurde sie wahrgenommen; und gern wurde damit geprahlt! In diesem Sinne zitierte Payer 1865 seinen Führer in der Madron-Presanella-Gruppe, der behauptete, neben 150 Gemsen schon 25 Bären zur Strecke gebracht zu haben. Zwei Jahre später, also 1867, kommt es dann im oberen Rabbi-Tal für Julius von Payer zu einer ernsteren Bärenbegegnung. Zuvor ließ er seine Leser wissen, dass es unter Hirten damals gang und gäbe war, die Bären durch Knalleffekte von den Hütten zu vertreiben; denn nur beiläufig bei der Übernachtung in der Sennhütte „La Mare“ (südlich vom Cevedale unweit vom Martelltal gelegen) erwähnt er: „Zweimal brachte Peppo wie üblich den Böller ab, um die Bären fernzuhalten.“ Auch gegenwartsnäher hatten erzieherische „Vergrämungsversuche“ von Bären mittels Knallkörpern zumindest Teilerfolge. Doch wie in der Steiermark 1995 am Beispiel der Bärin „Mariedl“, scheinen sie die neu erlernte Menschenscheu, und damit das Abstandhalten, auch wieder vergessen zu können. Zurück zu Julius von ­Payer 1867. Am 19. September, nur zwei Tage vor seinem dramatischen Absturz-Unfall am Matteo, wollte Payer auf dem Wege dorthin in der „Baita Fratta secca“ übernachten. Von Pejo kommend wollte er anschließend durch das „Bärental“ aufwärts die Giumella über dem Bärengletscher („Vedretta degli Orsi“) besteigen. Gegen 20.00 Uhr bei Nacht und Nebel trat er, um nach dem Wetter zu schauen, noch einmal vor die Hütte und beschreibt den folgenden überraschenden Bärenkontakt wörtlich so: „in den hohen Kräutern rings um den Baito, nur wenige Schritte weit, vernahm ich Geräusch und schwere Schritte. In denselben zurückgekehrt hörten wir am (in den Boden anschließenden) Dache den plumpen Tritt eines Thieres, gleichzeitig rief Chiesa: ‚Il Orso!’, und Pinggera ‚Der Bär!’ und verschlossen die Thür. Chiesa, sonst immer mit Verachtung von Bären sprechend, fand die Situation höchst unbehaglich, Pinggera blieb ruhig sitzen und erklärte, daß es dem Bären nicht einfallen werde, in die Hütte einzudringen, und man mit der Axt, welche ich herbeigeholt hatte, Nichts gegen denselben auszurichten vermöge. Wirklich verließ uns der Bär bald darauf.“ Ein Jahr später setzte Julius von Payer dann 1868, also zum Abschluss seiner Untersuchungen im Ortlermassiv, die topographischen Kartierungsarbeiten im Martelltal fort und richtet für sich und seine Begleiter mit dem inzwischen unersetzbar gewordenen J. Pinggera den Heustadl am Madritschboden unterhalb der Zufallalm als Stützpunkt für zahlreiche seiner Gipfelbegehungen und Vermessungen ein. Und genau eben dieser Stadl wird derzeit von der Gemeinde Martell in Zusammenarbeit mit der Verwaltung des Nationalparks Stilfserjoch restauriert, nicht zuletzt um auch in der Gegenwart den Anwohnern und Besuchern Julius von ­Payers große Leistungen für die Erschließung der Ortlergruppe wieder etwas näher zu bringen. Doch Payers Bärenkontakte sollten nach 1868 damit noch lange nicht zu Ende sein. Schon ein Jahr später wurde er bekanntlich zum Polarforscher und schilderte eine Vielzahl und zum Teil auch lebensgefährliche Begegnungen mit den im hohen Norden auch heute noch verbreiteten Eisbären, aus deren artverwandtem Verhalten zur braunen Variante der großen Bärenfamilie sich sehr wissenswerte Erkenntnisse auch für uns unter den neuen Begegnungschancen ergeben. Payer beschreibt von den über hundert Bärenjagden oder Begegnungserlebnissen zwischen 1869 und 1874 zum Teil recht abenteuerliche Szenen mit der für uns heute erst recht wichtigen Schlussfolgerung (wir zitieren ihn wörtlich; Seite 519/520 im Nordpolar-Expeditionsbuch von 1876):... „daß sich aus dem Verhalten eines Eisbären nie auf das eines anderen schließen läßt, daß somit jeder individuell auftritt, indem er von dem augenblicklichen Nahrungsbedürfnis und anderen Motiven geleitet wird.“

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