Die Pforzheimerhütte und ihr Retter Sepp Saurer

Seit 100 Jahren in den Fels gesprengte Zusammenarbeit

Publiziert in 28 / 2010 - Erschienen am 21. Juli 2010
Schlinig/Sür En – Vor dem größten Charakterkopf des Schlinigtales, dem Föllakopf, hatte sich ein anderer Charakterkopf des Tales, Sepp Saurer, auf dem selten begangenen „Herrensteig“ hingestellt und wieder einmal mit einem seiner Sprüche die mitwandernde Umgebung zum Grinsen gebracht. „Ja Blumen verblühen und Männer verduften“, meinte der versierte Kenner heimischer Bergblumen und Wander­führer Sepp Saurer. Viel Zeit blieb nicht, über Frauen feindliche Nuancen oder anderen Hintersinn nachzudenken. Die kleine Gesellschaft war auf dem Weg zur Jubiläumsveranstaltung „100 ons senda dal Quar“, 100 Jahre Schluchtweg. Die rätoromanischen Nachbarn hatten nach Uina Dadaint, einem saisonal bewirtschafteten Hof am südlichen Schluss des ­Uina-Tales, geladen. Dazwischen liegt der „Quar“, auf Deutsch die Schlucht, der spektakulärste Übergang der Alpen und zur Zeit der „Hit“ unter den Mountainbikern. Sie blieb aber immer noch ein besonderes Erlebnis für Wanderer, besonders an Tagen mit Temperaturen von weit über 20 Grad auf 2.000 Meter Meereshöhe. Kaum hatte man sein Zwerchfell für den weiteren Anstieg Richtung Sesvennahütte wieder eingestellt, folgte schon der nächste Anschlag auf die Lachmuskeln. Aber das „sprechende Lexikon“ Saurer hatte nicht nur Witze auf Lager, sondern eine unendliche Fülle von Erinnerungen und Anekdoten über die Geschichte der Gegend. Die Zeit und die Höhenmeter vergingen im Fluge. Am Anfang war die Pforzheimerhütte Schon stand man an der 2.256 Meter hohen ehemaligen Pforzheimerhütte, von den Italienern immer verleugnet und nach einem nahen Gipfel „Rifugio Rasass“ genannt. Es versteht sich, dass der Vorsitzende des „Cunfin“, des Fördervereines zur Instandhaltung und Revitalisierung der alten Pforzheimer­hütte, Sepp Saurer, nicht nur das erzählte, was auf den Schau­tafeln zu lesen war, sondern verschmitzt lachend alle Streiche auftischte, mit denen er die 1962 ausgebrannte Pforzheimer­hütte vor den baggerwütigen Landes­beamten bewahren konnte. Inzwischen weitete sich die Landschaft. Vorbei an sprudelnden Bächen, an Mooren und Tümpeln marschierte man über den Schlinigpass, 2.311 Meter, Richtung Staatsgrenze. „Wenn jemand will, kann er mit einem Fuß im Schwarzen Meer und mit dem anderen in der Adria stehen“, umschrieb Sepp Saurer anschaulich die Wasserscheide mit den beiden Bächen, nach Südosten zum Metzbach und nach Nordosten zum Inn. Ein Drehkreuz und ein mit „S“ für Schweiz und nicht etwa für Schweden und mit „I“ für Italien beschriebener Marmorstein kennzeichnete die Grenze unweit der gemauerten „Viehscheide“ zur Kontrolle der aus der Gemeinde Mals aufgetriebenen Tiere. In­zwischen war die Bezirksobfrau der SVP, Roselinde­ Gunsch Koch, mit einer fröhlichen Gruppe durchmarschiert. Knapp dahinter tauchte der Partei-Obmann persönlich auf. Landesrat Richard Theiner und Frau Birgit hatten ein athletisches Tempo eingeschlagen. Sepp Saurer kredenzte trotzdem kochendheißen Tee. Es war mehr los auf der Hoch­ebene als an manchen Sonntagen in unseren Dörfern. Von hüben und drüben erklang je nach Nationalität „Hoi, du a?“ oder „Allegra“, „Salve“ und „Grüß Gott“. Gerhard Malloth, der Präsident der Ferien­region Obervinschgau, befand sich auch schon auf dem Rückweg. Nervenkitzel für Wanderer Dann war sie endlich erreicht, die Schlucht und der tosende Bach, Nervenkitzel für Wanderer, labender Schatten und Naturschönheit für Genießer. Dass genau vor 100 Jahren gerade in der Uina-Schlucht mit dem künstlichen Felsenweg eine einzigartige touristische Marketing-Maßnahme gesetzt worden war, dass über eine Staatsgrenze­ hinweg Fremdenverkehrs­pioniere zweier Gemeinden in beispielloser Weise zusammengearbeitet hatten, war den vielen Mountainbiker, die keuchend ihre Drahtesel Richtung Sesvennahütte schoben und trugen, nicht bewusst. Die hatten nur im Kopf: einmal die Uina-Schlucht machen. Ganz anders viele Wanderer von der Schlinigerseite, darunter die Saurer-Delegation. Die wollten unbedingt zur Jubiläumsfeier des Festkomitees der Gemeinde­ Sent. Nicht alle schafften es rechtzeitig. Auch die Unter­engadiner sind Schweizer und die sind bekanntlich pünktlich. Fest-Koordinator Cla Rauch hielt am nördlichen Eingang oder Ausgang des Felsenweges seine Begrüßungsansprache und zitierte aus seiner Bro­schüre, die auf 88 Seiten – zum größten Teil in Romanisch und mit aussagekräftigen Bildern – die Geschichte samt Geschichten des Felsenweges enthält. Die Saurer-Gruppe schaffte dann gerade noch den 2. Programmpunkt: die Präsentation eines restaurierten Kalkofens unweit von Uina Dadaint durch den Förster Mario Riatsch und der Musikgruppe „Uhu“ unter Hans Neuenschwander. Den Tagesordnungspunkt „Umbe­nennung des Grian-Kopfes in Piz Uina“ haben die Organisatoren verschoben, um das Programm zu straffen. Die Schlucht verbindet mehr denn je Der eigentliche Festakt war den Grußworten der Ehrengäste vorbehalten. Ausführlich schilderte dabei Gemeinde­präsident Jon Carl Rauch aus Sent die Pioniertat „Felsenweg“ der Brüder Adolf und Emil Witzmann aus Pforzheim und die erfolgreichen Be­mühungen des Senter Grenztierarztes Töni Vital um die Mit­finanzierung des Schluchtweges durch Kanton Graubünden und Gemeinde­ Sent. Dem Fest­komitee in Sent war es sogar gelungen, den Vorsitzenden der Alpenvereinssektion Pforzheim, Rolf ­Constantin, in die Uina-Schlucht zu bringen. Die ­Vinschger Seite war mit Landesrat Richard Theiner, Landtagsabgeordnetem Sepp Noggler, der Malser Vizebürgermeisterin Sibille Tschenett und dem Malser Fraktionsvorsteher Armin Plagg vertreten. Als Wirt der Sesvennahütte dankte Luis Pobitzer (im Bild) für die Feier im Jubiläumsjahr. Der Scuoler-Tourismusdirektor Urs Wohler bezeichnete den Felsenweg als ­„Filetstück aus touristischer Sicht“. ­Gianna Rauch-Poo (im Bild), die Vorsitzende der Sektion „Engiadina Bassa“ im Schweizerischen Alpenclub, nannte den Weg durch den „Quar“ den Beginn des Aufschwunges für die drei Hütten im Einzugsgebiet ihrer Sektion. Sibille Tschenett erinnerte an „Wege im Herzen“ und überreichte eine Flasche „Petscheler­-Schnaps“, angesetzt von Lisl Saurer. Landesrat Theiner punktete mit einem ladinischen Gruß und der langjährige Schweizer Gastarbeiter Sepp Saurer beiendruckte mit echtem „Romauntsch“ die eben erst gewählte Großrätin Leta Steck-Rauch, den ehemaligen Großrat Mend Bischof, die Bürger­meister Men Notegen aus Tschlin und Victor Peer aus Ramosch, den Präsidenten der „Pro Engiadina Bassa“, Guido Parolini,­ und Gerichtspräsidenten ­Dumenic Luzzi.
Günther Schöpf
Günther Schöpf

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