Berge ohne Eis
Was passiert mit unserer Landschaft?
Was passiert mit unserer Landschaft?
Was passiert mit unserer Landschaft?
Norbert Pfeifer, Professor für Photogrammetrie an der TU Wien.
Moritz Altmann, Geograph und Geomorphologe an der Universität Eichstätt-Ingolstadt
Botanische Untersuchungen unter erschwerten Umständen
Sebastian Mikolka-Flöry, TU Wien, hat ein Bild aus dem Jahr 1939 auf eine aktuelle Aufnahme „referenziert“: Im Bild der Fürkele-Gletscher
Aufnahme Ramskogler Richtung Zufallspitzen, September 2019
Katharina Ramskogler: botanische Untersuchungen auf einem Vorfeld des einstigen Fürkele-Gletschers

Ein Rückgang mit Folgen

Gibt es Möglichkeiten zu reagieren?

Publiziert in 6 / 2024 - Erschienen am 26. März 2024

Prad - „Berge ohne Eis: Was passiert mit unserer Landschaft?“ lautete die Einladung zu einer Projektpräsentation. Im Nationalparkhaus „aquaprad“ wurde das bereichsübergreifende, Grenzen überschreitende Forschungsprojekt „Sensitivität HochAlpiner Geosysteme“, kurz SEHAG, vorgestellt. In der Sprache der Wissenschaftler ging es um „kurz- und langfristige Rückkoppelung zwischen Vegetation, morphodynamischen Prozessen und Erderwärmung“. In der Alltagssprache lautete die Fragestellung: „Wie wirkt sich die rapid ansteigende Temperatur auf den Fürkele-, Zufall- und Langenferner aus? Was bedeutet das konkret für die Bergwelt? Können die gewonnenen Daten auch zur Vorhersage von zukünftigen Vegetationsveränderungen und zur Vorhersage von Naturkatastrophen verwendet werden?“ Professoren, Forscher und Experten der Katholischen Universität Eichstätte-Ingolstadt, der Technischen Universität Wien, der Universität Bremen, der Universität Bern, der Universität Innsbruck und der EURAC research Bozen sind den Folgen des Abschmelzens der Gletscher z.B. für den Geschiebetransport in den Flüssen nachgegangen. Sie erforschten und erforschen auch die Größe oder sogar die Häufigkeit von Lawinen, Murabgängen oder Steinschlag. Sie sind den Absenkungen und Hohlformen im Gelände durch das Abschmelzen des Eises unter dem Geröll und den klimatischen Veränderungen und ihren Folgen nachgegangen. Immer mehr stehen Fragen, ob und inwieweit solche Veränderungen untereinander agieren, im Mittelpunkt. Die Forschungen im Kaunertal und Horchlachtal betrafen die nördlichen Zentralalpen. Die Untersuchungen in Hintermartell sollten Ergebnisse für die Südalpen liefern. Das Einzugsgebiet in Martell umfasst ca. 80 km2 und weist mit den Zufallspitzen eine maximale Erhebung von fast 3.700m auf. Der Vergletscherungsgrad betrug 16%.

Flussgebietsmanagement ist notwendig

Koordinator des Forschungsprojekts ist Michael Becht, Professor für Physische Geografie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. In Südtirol hat die Professorin Brigitta Erschbamer, Universität Innsbruck, und später Erich Tasser, EURAC, die Arbeiten geleitet. Zur Abendveranstaltung im „aquaprad“ hatte Katharina Ramskogler geladen. Die aus Oberösterreich stammende und in Innsbruck lebende Biologin und Botanikerin bearbeitet im Projekt SEHAG seit Jänner 2019 den „vegetationsökologischen (botanischen) Teil des Projekts“. Das erste Referat sollte der Hydrologe und Flussgebietsmanager an der Technischen Universität München Gabriele Chiogna halten. Der aus Trient stammende Wissenschaftler konnte Prad aber nicht rechtzeitig erreichen, sodass Professor Norbert Pfeifer von der Technischen Universität Wien dessen Vortrag übernahm. Dabei ging es um die besondere „Sensibilität der Alpen“ gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels in Europa. Sie wurden festgestellt mit der steigenden Lufttemperatur seit dem Ende der „kleinen Eiszeit“ um 1850. Chiogna habe sich mit Messungen der Wassertemperatur im Zufritt-Stausee beschäftigt und Rückschlüsse gezogen aus Langzeitbeobachtungen der Gletscherabdeckung in den Jahren 1935, 1978 und 2019. Ausführlich war er auf hydrologische Extremereignisse wie die Gletscherseeausbrüche von 1889 und die Katastrophe von 1987 eingegangen. Selbstverständlich befasste sich Chiogna mit der Bedeutung der Stromproduktion durch den Zufritt-Stausee und erachtete ein nachhaltiges Wassermanagement in Martell für essentiell.

Klimawandel und Biodiversität

Mit dem SEHAG Unterprojekt 7 wurde die Vegetationsentwicklung im Martelltal zum Thema für die Wissenschaftler/innen Katharina Ramskogler, Brigtta Erschbamer, Mattia Sartori und Erich Tasser, alle Mitarbeiter der EURAC research Bozen und im Falle von Ramskogler auch der Uni Innsbruck. Untersuchungsgebiet war das Gletschervorfeld – die von den Eismassen frei gegebenen Flächen. Es wurden Bodentemperatur und Bodenfeuchtigkeit gemessen und die einzelnen Entwicklungsstufen festgestellt. Ramskogler unterschied ein „Pionierstadium, ein frühes und spätes Sukzessionsstadium (Schneebodengesellschaft), ein spätes Sukzessionsstadium als Übergang zur Rasengesellschaft und das Zwergstrauchstadium“. Es wurden Darstellungen der Vegetationsentwicklung von 1986 bis 2019 übernommen und in den verschiedenen Stadien graphisch dargestellt. Ein Höhentranssekt von der Zufallhütte bis zum Langenfernen wurde erstellt. Deutliche Unterschiede zwischen stabilen und gestörten Flächen in Dichte und Artenzahl waren erkennbar. Mit einer Graphik zur Entwicklung von subalpinem Nadelwald, alpinem Rasen und Zwergstrauch von 1959-1985 und 2020 endeten die Ausführungen.

Der Blick von oben

Im SEHAG Subprojekt 6 ging es um das Verfahren der Photogrammetrie (Messen mit Bildern). An der Arbeitsgruppe mit Professor Norbert Pfeifer hatten sich 2 weitere Wissenschaftler der Technischen Universität Wien und ein Vertreter des Bundesamtes für Eich und Vermessungswesen Wien beteiligt. Dem der Vinschger erklärte er, sein Spezialgebiet bestehe darin, aus Aufnahmen (Photographien, Laserscanning-Aufnahmen) die Landschaft und ihre Veränderungen zu rekonstruieren. Dies könne man mit historischen Bildern ebenso machen wie mit modernen Technologien, mit denen man unter günstigen Bedingungen Veränderungen von wenigen Zentimetern (cm) nachweisen könne. Pfeifer berichtete, dass seit 2019 das Gebiet alle 2 Jahre überflogen wird. Historische Luftbilder seien die Grundlage für Orthofotos mit hoher Auflösung. 3D-Rekonstruktionen seien möglich. Die Topographie verändere sich im Laufe der Zeit, erklärte Pfeifer und zeigte Differenzen zwischen historischem Oberflächenmodell (1969) und ALS (Airborn Laserscanning). Ergänzend zum Vortrag in Prad informierte Professor Pfeifer schriftlich aus der Praxis der Laserscanning-Messungen und über die Vorgangsweise vom Feststellen des exakten Standpunktes der Aufnahme über die Ausrichtung der Kamera bis zum Erfassen historischer Ereignisse wie z.B. Hangrutschungen.

Prozesse im Gletschervorfeld

Den Abschluss der Vortragsreihe im Nationalparkhaus bildete das Referat des Geographen und Geomorphologen Moritz Altmann an der Katholischen Universität Eichstätte-Ingolstadt. Unter dem Titel „Hangprozesse im Gletschervorfeld“ haben sich Altmann und weitere 7 Wissenschaftler mit der Gletscherschmelze und der Entstehung proglazialer Flächen beschäftigt. „Die Untersuchungen sollen aufzeigen, inwiefern aktuelle Hangbewegungen im Martelltal stattfinden  und wie sich diese in den letzten 170 Jahren seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts verändert haben. Hierzu zählen beispielsweise das Auftreten von Muren oder fluvialen Erosionsprozessen“. Ausführlich wurde der „Übergang von vergletscherten in eisfreie Bedingungen“ mit starken morphologischen Veränderungen im Gletschervorfeld analysiert. Das Auftreten von „Toteis“ wurde ebenso erwähnt wie Absenkungen und Hohlformen im Gelände durch das Abschmelzen des Eises unter dem Geröll.
Im Anschluss an die Vortragsreihe lud der Leiter des Nationalparkhauses, Igor Zanvittor, zu einem Umtrunk ein. Der Marteller Bürgermeister Georg Altstätter hatte sich mit dem Prader Bürgermeister Rafael Alber die Vorträge angehört und Frau Ramskogler gegenüber angemerkt, Vorträge und Präsentationen von Themen, die Martell betreffen, auch im Martelltal anzubieten.

Günther Schöpf
Günther Schöpf

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