Im Bild (v.l.): die Diskussionsteilnehmer Hannes Götsch, Daria Habicher, Dominik Matt, Marc Zebisch, Christian Stolcis und Arnold Schuler mit Kurt Leggeri und Moderator Theo Hendrich
Aufmerksam verfolgte das zahlreiche Publikum die Diskussion am Podium.

Das Comeback des ländlichen Raumes

Der Landraum wird zum Chancenraum: das war die positive Erkenntnis der vom Kiwanisclub Vinschgau organisierten Podiumsdiskussion in der BASIS in Schlanders

Publiziert in 3 / 2023 - Erschienen am 14. Februar 2023

Schlanders - „Wir erwarten uns keine endgültige Lösung, aber Denkanstöße für das Morgen“, sagte Kiwanis-Präsident Kurt Leggeri bei der Eröffnung der Podiumsdiskussion „Entwicklungspotentiale des Vinschgaus – Wos welln mir?“ im Kasino des Gründerzentrums BASIS in Schlanders. Am Podium konnte die vertraute Stimme des Moderators Theo Hendrich sechs Menschen mit besonderen Curricula begrüßen, wie die Sozioökonomin Daria Habicher, den Projekt- und Regionalentwickler Hannes Götsch, den Direktor von Fraunhofer Italia Dominik Matt, den Landesrat für Tourismus, Landwirtschaft und Zivilschutz Arnold Schuler, den Geschäftsführer von Netscrapes Christian Stolcis und den Klimafolgenforscher an der Eurac Bozen Marc Zebisch. Theo Hendrich stellte den Podiumsgästen Fragen, die im Kontext zu ihrer Arbeit und zum Vinschgau standen. Auf die Frage, warum junge Akademikerinnen und Akademiker nicht wieder zurück in den Vinschgau kommen, zählte Daria Habicher einige Faktoren auf: zu hohe Lebenshaltungskosten im Verhältnis zum Einkommen, fehlende Infrastrukturen wie flächendeckende Kinder- und Seniorenbetreuung, Mobilität und Erreichbarkeit der Region sowie leistbares Wohnen. Junge Menschen erwarten ein multikulturelles, tolerantes Umfeld, Forschungsangebote, gute Verkehrsverbindungen, Digitalisierung usw. Gerade die Digitalisierung werde dem ländlichen Raum noch viele Vorteile bringen, bestätigte der gebürtige Schlanderser Dominik Matt, der den Landraum als Chancenraum der Zukunft bezeichnete. 

Digitale Kompetenz ist gefordert

Besonders in der Gesundheitsversorgung durch die Telemedizin spiele die Digitaliserung eine wichtige Rolle, aber auch in der Wirtschaft, in der Mobilität und in der Landwirtschaft. „Digitale Kompetenz muss in Zukunft als vierte Kulturtechnik nach Lesen, Schreiben und Rechnen folgen!“, forderte Dominik Matt. In der Energiewende sei Südtirol bereits ziemlich vorne dran, so Matt. Vor einigen Jahren hätte man sich derart massive und globale Krisen wie die Pandemie und den Krieg in der Ukraine nicht vorstellen können, sagte Marc Zebisch. Auch beim Klima hätten die Extremereignisse der letzten Jahre selbst ihn als Klimaforscher überrascht, wenn auch die Folgen des Klimawandels sich schon seit Längerem abzeichneten. „Wir gehen auf dünnem Eis“, so Zebisch, „das auch brechen kann!“. Dennoch sehe er gerade im Vinschgau dank seiner intakten Natur und hohen Lebensqualität ein Riesenpotential. „Denn die Menschen haben Sehnsucht danach, und bald auch nach kühleren Temperaturen. Der Vinschgau wird in Zukunft auch klimatisch attraktiv werden“. Jedenfalls müsse der Klimawandel in Zukunft in alle Plänen mit berücksichtigt werden.

BASIS: Strohfeuer oder Leuchtfeuer?

Streufeuer passe laut Hannes Götsch am besten zum Gründerzentrum BASIS Vinschgau. Er zeigte mit Hilfe von Bildern, Zahlen und Daten auf, dass die BASIS ein sektorenübergreifender Arbeitsraum ist, ein Ort der Begegnung und Kultur, ein dezentrales Innovations- und Dienstleistungszentrum mit internationaler und regionaler Bewerberdichte. Für den Bezirk Vinschgau habe die BASIS 6,5 Millionen Euro an zusätzlichen Geldmitteln generieren können, sagte Hannes Götsch nicht ohne Stolz. „Für uns ist es eine Freude, Menschen und Wertschöpfung in den Vinschgau zu bringen. Es gibt viele Bereiche, wo der Vinschgau sehr kompetent ist und ein Alleinstellungsmerkmal hat“. Götsch nannte den Marmor und den Nationalpark als Beispiele. „Leider sind die Vinschger manchmal etwas selbsthemmend“, bedauerte er. Die Vinschger sollten verstärkt progressiv denken und sich zusammenschließen. In der Eigenverantwortung von Gruppen entstehe sehr viel positive Dynamik, so Götsch. Auf die Frage, was ein junger Unternehmer wie er vom Standort Vinschgau verlange, hatte Christian Stolcis sogleich mehrere Wünsche parat: Das Wichtigste seien das Geld bzw. Fördermittel als Starthilfe. Dann brauche es ein Netzwerk auf verschiedenen Ebenen, eine gute Ausbildung, technologische Innovation und Digitalisierung. „Remote work“ sei das Arbeitsmodell der Zukunft: ortsunabhängig für jede Firma der Welt arbeiten zu können und nicht am Arbeitsplatz in der Firma sitzen zu müssen. Ein gutes Beispiel sah Stolcis im Co-Working-Space in der BASIS. „Hier habe ich ein ideales Netzwerk und soziale Kontakte gefunden“. Seine Rückkehr aus Deutschland in den Vinschgau begründete er mit dem Wunsch: „Mein Sohn soll die gleich schöne Kindheit haben wie ich“.

Die Grenzen des Wachstums sind erreicht

Vielen Herausforderungen stehe die Politik gegenüber, bestätigte Landesrat Arnold Schuler, und viele grundlegende Dinge wie Frieden, Freiheit und Wachstum seien nicht mehr so selbstverständlich, wie noch vor einigen Jahren geglaubt. Er sehe die Grenzen des Wachstums in der Landwirtschaft, im Tourismus, in der Bautätigkeit usw. erreicht. Es gelte heute nur mehr, die Wertschöpfung ohne quantitatives Wachstum zu erhalten. Die Begriffe Wachstum, Wertschöpfung, Lebensqualität werden in Zukunft anders definiert werden müssen. Für Dominik Matt sei der Begriff Wertschöpfung ebenfalls nicht mit Geld gleichzusetzen, sondern mit Werten. Das Werteverständnis müsse in Zukunft ein anderes sein, und der Vinschgau dürfe nicht den Fehler machen, sich ständig mit anderen Regionen zu vergleichen oder sich an ihnen zu orientieren, sondern sich selbst zu definieren und seinen eigenen Weg zu gehen. „Der Vinschgau bietet unglaublich viel“, so Dominik Matt. „Die Vinschger Landwirtschaft ist prädestiniert auch in der Nischenproduktion, und die Regionalität eine große Chance für das Tal“, bestätigte Arnold Schuler.  

Der Vinschgau ist nicht strukturschwach!

„Die Visionen junger Menschen sind nicht immer kompatibel mit denen der Generation, die gerade am langen Hebel sitzt“, bedauerte Daria Habicher, „und wir dürfen uns nicht vor jungen Initiativen verschließen!“ Gerade junge Menschen wünschen sich andere, neue Wohnkonzepte und viel mehr Partizipation. „Wir Bürgerinnen und Bürger sind Teil der Diskussion, wir müssen Partizipation wieder erlernen. Und was der Vinschgau überhaupt nicht ist, ist strukturschwach oder unterentwickelt! Und sollte es eine Spur davon geben, so ist das seine Stärke!“ Dass es in anderen Orten nicht besser sei, sondern nur anders, bestätige auch Dominik Matt. „Der Vinschgau ist klimatisch und sozial eigenständig und eigenwillig!“ Landesrat Schuler nannte das größte Potential des Vinschgaus, dass die Menschen aus den Fehlern, die andere Regionen gemacht haben, rechtzeitig gelernt hätten. „Der Vinschgau muss seinen eigenen Weg finden!“ so der Landesrat. Die Podiumsdiskussion, die der Kiwanisclub Vinschgau organisiert hatte, war sehr gut besucht und es herrschte eine positive Aufbruchsstimmung. Bleibt zu hoffen, dass der Landraum tatsächlich zum Chancenraum wird, in dem die Probleme gemeinsam angegangen werden, und dass die Stärken des Chancenraums Vinschgau die Menschen, die dort leben und arbeiten wollen, stark in die Zukunft bringen.

Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Vinschger Sonderausgabe

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