Der Geist von 1968
Die 68er-Bewegung ging an Südtirol nicht spurlos vorbei.
NATURNS - Warum man auch im Martelltal der 1970er Jahre Che Guevara gehuldigt hat, wie sich einige Vinschger mit dem Lebensgefühl der 1968er-Bewegung identifiziert haben und überhaupt welche bedeutenden Auswirkungen jene damalige Bewegung auf Südtirol hatte, darüber erzählt die in Naturns lebende Haflingerin Birgit Eschgfäller in ihrem ersten Buch mit dem Titel „1968 – Südtirol in Bewegung“. Kürzlich stellte sie das Buch in der Naturnser Bibliothek vor. Organisiert wurde der Abend von Kultur Naturns in Zusammenarbeit mit der Bibliothek. „DJ Scholly“ sorgte mit Musik aus den 1960er Jahren für die passende Umrahmung. Moderiert wurde die Veranstaltung von Eschgfällers Lebensgefährten Zeno Christanell.
Zeitzeugen und Recherchearbeit
„2008 habe ich auf der Universität ein Seminar über die internationale 68er-Bewegung besucht“, blickt Eschgfäller zurück. Sofort sei sie vom Thema begeistert gewesen. So entschied sie sich dazu, ihre Diplomarbeit über die 68er in Südtirol zu verfassen. „In den Geschichtsbüchern der Südtiroler Zeitgeschichte war wenig darüber zu finden“, erinnert sich die heute 33-Jährige, die in Salzburg Psychologie, Philosophie, Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung auf Lehramt studierte. Nach einem Treffen mit dem Historiker Hans Heiss, intensiver Recherchearbeit und Interviews mit Zeitzeugen nahm die Diplomarbeit immer mehr Gestalt an. Ein ganzes Jahr habe sie in diese wissenschaftliche Arbeit investiert. Das war 2010. Schon damals sei der Raetia-Verlag an einer Publikation interessiert gewesen. Es hat aber noch etwas gedauert. Warum? „Nach dem Studium habe ich direkt mit der Arbeit als Lehrperson begonnen. Die Idee, ein Buch zu diesem Thema zu schreiben, behielt ich aber stets im Hinterkopf“, erzählt Eschgfäller. 2017 war es dann soweit. Anlässlich des bevorstehenden 50-jährigen-Jubiläums der 68er-Bewegung nahm das Buchprojekt richtig Fahrt auf. Weitere Zeitzeugen wurden interviewt, Bilder organisiert, in Archiven gestöbert. Auf 408 Seiten werden nun erstmals die Auswirkungen der 1968er-Jahre in Südtirol dargestellt, die Geschichten der einheimischen Protagonisten von anno dazumal erzählen Spannendes.
Auch in Südtirol gingen Menschen auf die Straße
Da ist etwa der Marteller Robert Kobald, der mit seinen Freunden in den 1970er Jahren dieses neue Lebensgefühl der Freiheit lebte. Oder aber andere bekannte Personen aus Kunst und Kultur. „Dass das die famosen 68er gewesen waren, erfuhren wir erst im Nachhinein von den Historikern. Wir lebten in der Auflehnung gegen eine Gesellschaft, mit der wir uns nicht identifizieren mochten“, erinnert sich der Traminer Musiker Werner Menapace. Die Bewegung habe Missstände und Ungerechtigkeiten innerhalb der deutschen Bevölkerungsgruppe aufgezeigt. „Auch in Südtirol sind die Menschen auf die Straße gegangen, es fand ein Ringen um Meinungsvielfalt und eine offenere Kulturlandschaft statt“, sagt Eschgfäller. Ein damals recht einseitiges Parteiensystem, eine Kulturlandschaft mit dem Fokus auf das Traditionelle und so einiges mehr wurden angeprangert. „Dadurch hat sich die Gesellschaft geöffnet. Die Südtiroler Kultur wurde um einiges bunter, auch die Offene Jugendarbeit hat ihre Wurzeln in der 68er Bewegung“, betont die Autorin. Alternativen zu den etablierten Parteien haben sich entwickelt, sowie erste sprachgruppenübergreifende Initiativen erblickten das Licht der Welt. „Vieles, was heute als selbstverständlich gilt, wurde von den 68ern erkämpft“, betont Eschgfäller. Unter anderem kommen dazu im Buch Gottfried Solderer, Gerhard Mumelter und viele weitere Personen aus Kultur, Medien und Gesellschaft zu Wort. Die bunte Mischung aus wissenschaftlicher Aufbereitung und gleichzeitig persönlicher Geschichten machen das Buch interessant und kurzweilig.
