Der Retter des Turms
Gedenkstein in Erinnerung an den Architekten und Denkmalschützer Mario Guiotto enthüllt.
Graun - Es ist kein Zufall, dass der romanische Turm der Alt-Grauner Pfarrkirche bis heute aus dem Wasser ragt und beharrlich an die Seestauung vor 75 Jahren erinnert. Nach der Sprengung der Kirche, die 4 Tage dauerte, hätte auch der Turm gesprengt werden sollen, wäre da nicht ein Mann gewesen, der es verhindert hat. Es war dies der aus Padua gebürtige Architekt Mario Guiotto, der seit 1949 auch als Landeskonservator von Trient tätig war. In Erinnerung an seinen Einsatz für den Erhalt des Turms wurde am 27. Juli im Anschluss an einen Festgottesdienst mit Dekan Stefan Hainz und an die traditionelle St.-Anna-Prozession in Graun im Rahmen eines Festaktes beim Alt-Grauner Kirchturm ein Gedenkstein enthüllt. Auf der Inox-Tafel, angebracht an einem Granitstein aus Langtaufers, steht geschrieben, dass Mario Guiotto im Jahr 1950 den aus dem 14. Jahrhundert stammenden Glockenturm der Pfarrkirche zur Heiligen Katharina vor der Zerstörung bewahrt hat. Bisher war u.a. vermutet worden, dass der Turm deshalb stehen blieb, weil der „Montecatini“ der Sprengstoff ausgegangen sei. Die neuen Erkenntnisse über die Rettungsaktion des Turms und seine Geschichte insgesamt sind in der reich bebilderten Broschüre „Der Turm von Alt-Graun“ nachzulesen, die ebenfalls am 27. Juli vorgestellt wurde. Verfasst haben die Broschüre Albrecht „Abi“ Plangger, Florian Eller, Valentin Paulmichl und Ludwig Schöpf.
Ein mutiger Mann
Wie Albrecht Plangger ausführte, habe das Sprengprogramm der „Montecatini“ vorgesehen, den Turm am 27. Juli 1950 zu sprengen, „also auf den Tag genau vor 75 Jahren.“ Am 14. Juli 1950 hatten der Bürgermeister Alois Noggler und Pfarrer Alfred Rieper das Denkmalamt in Trient gebeten, sich für den Erhalt des Turms einzusetzen. Zwei Tage später – die 6 Kirchenglocken läuteten damals zum letzten Mal – übermittelte Mario Guiotto (1903-1999) ein Eilschreiben an die „Montecatini“, in dem er klarstellte, dass der Turm aufgrund seines Alters und seiner künstlerischen Merkmale unter Denkmalschutz stehe. Die „Montecatini“ intervenierte am 20. Juli im Ministerium in Rom: Man habe bisher nicht gewusst, dass der Turm unter Schutz stehe, gebe aber zu bedenken, dass er infolge der Eisbildung im Winter in kürzester Zeit einstürzen würde. Das könnte eine Gefahr für die Personen und die „Schifffahrt“ darstellen. Das Ministerium bat Mario Guiotto unverzüglich um einen ausführlichen Bericht, den dieser in kürzester Zeit lieferte und in dem er u.a. festhielt, „dass die Klagen und der Groll der Bevölkerung gegen die Montecatini keinen antiitalienischen Charakter hätten.“
„Letze Erinnerung an das alte Dorf“
Einer der Wünsche der Bevölkerung sei der Erhalt des Turms als „letzte Erinnerung an das alte Dorf“. Wie Guiotto weiter argumentierte, würde der Turm auch bei höchstem Wasserstand keine Gefahr darstellen. An seiner Verfügung, die Vorbereitungsarbeiten für die Sprengung aufgrund eines schriftlichen Antrages des Bürgermeisters einzustellen, hielt Guiotto mutig fest. Der damalige Schul- und Kulturminister Guido Gonella stellte sich hinter die Argumente von Guiotto und stärkte dem obersten Denkmalschützer in Trient den Rücken. Als sich Gonella im Februar 1951 persönlich beim Denkmalamt über den Stand der Dinge informierte, konnte ihm Guiotto mitteilen, dass sich die „Montecatini“ seit August 1950 nicht mehr gemeldet habe und daher anzunehmen sei, dass die Gesellschaft mittlerweile eingesehen habe, dass der Erhalt des teilweise unter Wasser gesetzten Turms definitiv dem Stauseebetrieb keine Nachteile bringe, auch nicht der Schifffahrt auf dem See. Die „Montecatini“ hatte offensichtlich befürchtet, dass der Turm zu einem unliebsamen „Mahnmal“ werden könnte.
„Dem Retter ein Gesicht und einen Namen geben“
Zusätzlich zu den neuen Erkenntnissen rund um die verhinderte Sprengung des Turms enthält die Borschüre auch Beiträge des Autoren-Teams über die Entstehung des Turms, bisherige Sanierungsmaßnahmen und die Übertragung in das Eigentum des Landes, sowie über die Geschichte der Seestauung, den Kampf von Pfarrer Alfred Rieper gegen die Stauung, über den Turm als Literatur-Bestseller, dessen touristische Bedeutung und weitere Aspekte. „Dem Retter des Turms ein Gesicht und einen Namen geben.“ So begründete die Kulturreferentin Andrea Maas die Anbringung des Gedenksteins und die Herausgabe der Broschüre. Sie verwies noch auf weitere Veranstaltungen und Höhepunkte, zu denen die Gemeinde heuer in Zusammenarbeit mit dem Bildungsausschuss im Rahmen der Reihe „75 Jahre Seestauung Reschensee“ einlädt (siehe auch Bericht auf Seite 51). Bürgermeister Franz Prieth bezeichnete die Seestauung als eine „tiefe Wunde“, wie sie wohl landesweit keine andere Gemeinde haben erleiden müssen. Das Geschehene dürfe nicht vergessen werden. Zugleich aber gelte es nach vorne zu schauen. Die Gemeinde Graun habe sich dank des Fleißes und der Heimatliebe der vergangenen Generationen in vielen Bereichen gut entwickelt. Das sei die Basis für einen zuversichtlichen Blick in die Zukunft.
„Ironie des Schicksals“
Dass es ein Italiener war, der den Alt-Grauner Kirchturm rettete, bezeichnete Landesrat Philipp Achammer in seinen Grußworten als Ironie des Schicksals. Der aus dem Wasser ragende Turm sei ein Mahnmal und zugleich auch ein „Symbol der Versöhnung.“ Balsam für die Ohren der Gemeindeverwaltung war Achammers Zusage, den Umbau bzw. die Neugestaltung des Museums Vinschger Oberland in Graun mit dem höchstmöglichen Beitrag des Landes zu unterstützen, sprich mit 80 Prozent. Besonders willkommen geheißen wurde zur Enthüllung des Gedenksteins eine stattliche Gruppe von Verwandten von Mario Guiotto, die aus Saronno, Mantua und anderen Städten angereist waren. „Mein Großvater hat uns immer erzählt, dass sein Einsatz für den Erhalt des Turms zu seiner Aufgabe als Denkmalschützer gehörte und er somit nur seine Arbeit machte“, sagte eine Nicht dem der Vinschger.
Einen besonderen Dank zollten alle Festredner den Autoren der Broschüre und Initiatoren für die Anbringung des Gedenksteins. „Wir haben hier in Graun zwei Wahrzeichen, eines ist der Turm und das andere ist unser ‚Abi‘“, scherzte Bürgermeister Franz Prieth.