Der Traum vom besseren Leben
Publiziert in 18 / 2016 - Erschienen am 11. Mai 2016
Weltweit sind rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Über Träume von einem besseren Leben, Herausforderungen und Probleme, das Versagen der Politik, aber auch gelungene Integration und aktive Flüchtlingsarbeit wurde in Schlanders diskutiert.
SCHLANDERS - „Menschen auf der Flucht“ - So lautete der Titel einer Podiumsdikussion, die im Rahmen der Aktionstage Politische Bildung in der Aula Magna der WFO Schlanders über die Bühne ging. Ein Titel, kurz, aber aussagekräftig. Ein Thema, aktueller denn je. Weltweit sind Menschen auf der Flucht. Von Flüchtlingswellen, ja Flüchtlingsproblematiken, ist häufig in den Medien zu lesen. Über Probleme und Ängste, die eine Flucht mit sich bringt, sowohl für Flüchtlinge selbst, als auch für die Politik und die ansässige Bevölkerung, wurde eifrig diskutiert. Der obere Vinschgau wurde als Positivbeispiel hervorgehoben. Positiv in Sachen Willkommenskultur. Dies bestätigte auch die kurdische Asylantragsstellerin Lales Maya. Sie lebt seit einigen Monaten in Prad. „Es gibt hier sehr viele hilfsbereite Menschen. Von freundlichen Pradern wurden ich und mein Mann aufgenommen“, erzählt die 30-Jährige. Ihre Flucht sei geprägt vom Konflikt zwischen dem Staat Türkei und der Volksgruppe der Kurden. „Bereits mit 2 Jahren ergriff meine Familie die Flucht. Mein Vater wurde von der Regierung gefoltert. Wir flüchteten nach Deutschland, das war die einzige Chance“, so Maya, die im kurdischen Teil der Türkei aufgewachsen ist. Mit der Türkei verbinde sie jedoch bloß die Staatsbürgerschaft, „ähnlich wie bei euch Südtirolern“, sagt sie schmunzelnd. Als sie 16 war, waren Maya und ihre Famile gezwungen, in die Türkei zurückzukehren. „Weil Deutschland mehr Beweise für unseren Fluchtgrund forderte“, erinnert sie sich. In der Türkei arbeitete die mittlerweile perfekt deutschsprachige junge Frau als Reiseleiterin. Liebe und Heirat folgten. Als ihr Ehemann, auch er ein Kurde, 2015 bei einer Hilfsmission im vom IS terrorisierten Kobane verwundet wurde, kam es bei der Rückkehr in die Türkei zu großen Problemen. Die türkische Polizei war angesichts seines Aufenthalts in einem Krisengebiet skeptisch. „Und der Hass zwischen Türken und Kurden ist nach wie vor akut. Eine neuerliche Flucht war die einzige Lösung“, berichtet Maya. Über Kontakte seien sie nach Südtirol gekommen. Genauer gesagt nach Prad. Kürzlich durfte sich das junge Ehepaar über die Aufenthaltsgenehmigung freuen. „Wir wollen nur in Schutz und Frieden leben und sind für alles dankbar“, so die Kurdin.
Dann kam der Krieg...
Bereits vor 30 Jahren hatte der Korate Pedrag Rapo die Flucht ergriffen. Und was er bei der Podiumsdiskussion zu erzählen hatte, war durchaus bewegend. „Ich hatte ein Leben wie im Bilderbuch. Eine schöne Kindheit. Fand mit 18 meine große Liebe. Studierte mit ihr in Belgrad, Hochzeit und Kinder folgten. Ich hatte einen guten Job, ein Haus, ein Auto. Wir waren glücklich. Dann kam in den 80er Jahren die ökonomische Krise. Diese wurde zu einer politischen Krise. Dann hat es gekracht. Polizisten wurden getötet. Erst einer, dann zwei, dann hundert. Der Hass zwischen Kroaten und Serben eskalierte, der Bürgerkrieg in Jugoslawien begann“, blickt er zurück.
Lang überlegt habe Rapo nicht, er ergriff die Flucht nach Österreich. Nur kurz nach seiner Flucht wurde die Grenze geschlossen. „Ich hatte Glück“, weiß der Kroate heute. Trotz typischer Anfangsprobleme, die eine Flucht so mit sich bringt, gelang die Integration. Als die Familie wieder bei ihm war, war das Glück perfekt. Heute fühlt sich die mittlerweile in Bozen lebende Familie mehr österreichisch denn kroatisch.
Flüchtlingsarbeit hautnah
Zita Pritzi und Melitta Santer, zwei freiwillige Flüchtlingshelferinnen, berichteten von ihrer Flüchtlingsarbeit. Auch sie bezeichneten den oberen Vinschgau, insbesondere Mals, als Vorzeigebeispiel. Vieles funktioniere auf dem Land besser als in den Städten.
„Die Zustände in Bozen waren teils katastrophal. Da sind schon mal hunderte Flüchtlinge in Turnhallen untergebracht, manche waren sogar eine Zeit lang obdachlos“, berichtet Melitta Santer, die auch in Bozen im Rahmen der Freiwilligenbewegung „Binario 1“ aktiv Hilfe für Flüchtlinge leistet. Vor allem im letzten Jahr, als zeitweise rund 200 Flüchtlinge täglich am Bahnhof ankamen, sei die Situation dramatisch gewesen. „Im armseligen Zustand kamen die Leute im reichen Südtirol an. Teils wurden sie von der Polizei aus dem Zug geholt und an der Weiterfahrt gehindert. Da musste man humanitäre Hilfe leisten“, begründet sie ihre Entscheidung.
Negative Asylbescheide
Nicht alle hat das „Flucht-Schicksal“, wenn man überhaupt davon sprechen will, so gut getroffen wie Lales Maya und Predrag Rapo. Auch die nordafrikanischen Flüchtlinge die sich derzeit in Mals befinden, leben zwischen Hoffnung und Bangen. Einerseits, die große Hilfsbereitschaft im oberen Vinschgau, andererseits die Angst, wieder zurückgeschickt zu werden.
Erste negative Asylbescheide habe es bereits gegeben, betont Leonhard Voltmer, Flüchtlingsberater der Caritas. Doch auch nach gewährtem Asyl gebe es oft Probleme in Sachen Arbeit und Wohnungssuche, so ein Einwand aus dem Publikum. Probleme, für welche die Politik derzeit keine Lösung habe. Überhaupt gab es scharfe Kritik aus dem Publikum für die Politik. „Es braucht jedoch auch eine Sensibilisierung der Menschen. Viele lassen Wohnungen oft lieber leer, als sie für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Es muss generell ein Umdenken stattfinden“, meldete sich die Latscher Vizebürgermeisterin Sonja Platzer aus dem Publikum zu Wort.
In einem war man sich im Publikum und am Podium einig. So oder so brauche es mehr Menschlichkeit in Zeiten wie diesen.
MICHAEL ANDRES
Michael Andres