Albrecht Plangger auf der Aussichtsterrasse des Parlaments im Februar 2018.
Leere Straßen in Rom
Leere Straßen in Rom

Die Arbeit in der Abgeordnetenkammer in Krisenzeiten

Parlamentarier wollen mitarbeiten und die Krise mitgestalten, nicht nur Zuschauer sein.

Publiziert in 12/13 / 2020 - Erschienen am 7. April 2020

Rom - Wie in Krisenzeiten in der Abgeordnetenkammer in Rom gearbeitet wird, geht aus nachfolgendem Bericht des Vinschger Parlamentariers Albrecht Plagger hervor: Dienstag 31. März 14.45 Uhr: Plenarsitzung mit Abstimmungen in der Abgeordnetenkammer in Rom. Thema: Senkung der Lohnnebenkosten (DL Nr. 5 vom 5. Februar 2020). Wegen dem Coronavirus hat es 14 Tage keine Abstimmungen mehr in Rom gegeben. Es steht ein sehr wichtiger Beschluss für die Lohnabhängigen an, der aber wegen der Virus-Krise in der Presse überhaupt nicht beachtet wurde. Mit 1. Juli 2020 sollen die Lohnnebenkosten für Einkommen bis 28.000 Euro um 600 Euro gesenkt werden und ab dem Jahr 2021 um 1.200 Euro. Für Einkommen zwischen 28.000 Euro und 40.000 Euro gibt es einen variablen Steuerabzug von max. 480 Euro, der beim Einkommen von 40.000 Euro auf Null geht. Im Klartext: der Staat nimmt ca. 3 Milliarden Euro in die Hand und sorgt somit für etwas mehr Geld in der „Lohntüte“ der Arbeitnehmer. Der sog. ‚Renzi-Bonus’ von 80 Euro monatlich wird somit auf 100 Euro netto monatlich erhöht und die Anzahl der Begünstigten im privaten und öffentlichen Sektor wird um 4,3 Millionen Personen von heute 11,7 Mio. auf 16 Mio. Arbeiter/innen erhöht. Die Summe ist etwas ‚mikrig’, aber die Regierung wollte bei den in Italien viel zu hohen Lohnnebenosten unbedingt ein Zeichen setzen. Das Gesetz ist nun in Kraft. 254 Stimmen dafür, darunter auch meine Stimme, 131 Stimmenthaltungen, niemand dagegen. 485 von 630 Abgeordneten waren anwesend.

Ein Meer von „Frost-Kerzen“

Der Wecker ist um 5.30 Uhr abgegangen. Schon vor 6.00 Uhr fuhr ich Richtung Bozen. Nach Tartsch sah ich die ersten „Frost-Kerzen“. Das Thermometer zeigte -2,5 Grad an. In Graun waren es noch -6 Grad gewesen. Alle Beregnungen im Tal laufen auf Hochtouren. Zwischen Vetzan und Goldrain auf der Sonnenseite gibt es wieder ein Meer von „Frost-Kerzen“. Man riecht sie bis ins Auto. Gespenstig. Der Verkehr ist zwischen 6.00 und 7.00 Uhr trotz Coronavirus nicht viel weniger als gewohnt. Fernlaster, Arbeitspendler, Lieferwagen. Auf der Autobahn ist es anders. Nur Fernlaster, keine Privatautos. Die Raststätte vor Trient ist offen. Es gibt „cappuccino und brioche con crema“ … Ich bin aber der einzige Gast. Zwischen Trient und Rovereto verifiziere ich nochmals, ob wirklich keine Privatautos unterwegs sind. Ich zähle ein einziges Auto auf der Gegenfahrbahn. Ich selbst wurde nie überholt. Nach Ala werfe ich einen flüchtigen Blick auf den berühmten Muttergottes-Wallfahrtsort „Madonna della Corona“ (war laut Rampold in Alt-Tirol sogar als „Grauner Muttergottes“ bekannt). Wenn alles vorbei ist, werde ich dort wohl eine Familienwallfahrt machen. Da gehen auch die erwachsenen Söhne mit, selbstverständlich aber nur, wenn ich sie danach am Gradasee zum Fischessen einlade.

Rast beim „Cantagallo“

Kurz hinter Bologna mache ich die erste Rast, beim „Cantagallo“. Ich warte auf die Kollegin Gebhard. Man hat uns in Rom angewiesen, nicht zusammen zu fahren, sondern im Konvoi. Ihr „Navigator“ ist moderner als meiner, somit will ich hinter ihr her bis zum Hauptbahnhof in Florenz „Santa Maria Novella“ fahren. Dort haben wir zu Mittag einen Zug nach Rom. Auf dem Bahnhof ist es trostlos. Mehr Polizisten für die Kontrolle der Eigenerklärungen als Zuggäste. Alle tragen Mundschutz. Der Zug fährt pünktlich. Wir treffen auch einige Kollegen. Ich habe das Mittagessen im Rucksack: Speck, „cacciatori-Wurst“ und Ortler-Käse und ein 0,33 l Fläschchen Weißwein. Keine „amatriciana“ beim Gino/Parlamento. In Rom ist alles zu. Im Parlament hätte man ein Lunch-Paket bestellen können. Da ist mir mein Speck aber wirklich lieber. Das Wetter wird besser. Das Gras in der Toskana und im Latium ist gewachsen. Es blüht aber erst wenig. Einige Kirsch- und Pfirsichbäume. Am Bahnhof in Rom ist etwas mehr Betrieb. Wir treffen einen Cinque-Stelle-Vizeminister aus Mailand. Er will uns eine Mitfahrgelegenheit in seinem Dienstauto anbieten, aber es gibt genügend Taxis vor dem Bahnhof. Wir sagen dankend ab. Wäre wohl etwas eng geworden. Zuerst im Konvoi bis nach Florenz und dann zu viert im Dienstauto. Das passt nicht gut zusammen. Lauf Verordnung der Bürgermeisterin von Rom darf das Taxi maximal 2 Fahrgäste transportieren. Das passt.

Fiebermessen im Parlament

Im Parlament wird Fieber gemessen und es gibt Desinfektionsmittel. In meinem Büro ist noch alles wie vor 14 Tagen. Auch mein Mitarbeiter war nicht mehr da. Mein Abstimm-Turnus ist für 16.05 Uhr vorgesehen. Der Parlamentspräsident Fico hatte uns ein 4 Seiten langes Rundschreiben zur Stimmabgabe und den Sicherheitsvorkehrungen geschickt. In meinem Büro packe ich wieder Akten ein, damit mir ja nicht langweilig werden kann. Alte Sachen, die man so vor sich herschiebt, aber auch aktuelle Akten. Man muss vorbereitet sein, wenn es wieder Lockerungen gibt. Die verlorene Zeit in der Politik muss wieder aufgeholt werden. Mein Computer ist vielleicht durch den Übereinsatz der Putzfrau beim Desinfizieren in Schieflage geraten. Ich kann den Schaden nicht selbst beheben und gehe daher auf die Aussichtsterrasse des Parlaments und schaue mir Rom von oben aus an. Die „Via del Corso“ ist menschenleer, auch die Brücke über den Tiber Richtung Vatikan, die ich von dort oben gut beobachten kann. Es ist 16.03 Uhr. Mein Abstimm-Turnus ist da. Ich gehe in den sog. „Transatlantico“. Dort sind mindestens 200 Kollegen, die demnächst abstimmen müssen, oder schon abgestimmt haben. Alle tragen Schutzmasken. In den Plenarsaal darf ich nur allein. Nach mir kommt der Nächste. Ich winke Einigen zu, gehe ins Büro, hole meine Sachen und eine halbe Stunde später sitze ich schon wieder in einem Regionalzug Richtung Florenz. Mindestens 3 SMS habe ich dann noch vom Parlamentspräsident Fico erhalten, wir Abgeordnete sollen doch endlich den „Transatlantico“ verlassen: 200 Leute beisammen, trotz einer 4-seitigen Dienstanweisung. Ich zumindest habe sie befolgt.

Kein Lob „von der Straße“

Die „freccia“ am Vormittag brauchte 1,5 Stunden bis nach Florenz, der sog. „Regionale Veloce“ fast 4 Stunden. Im Zug sind gelegentlich Arbeitspendler. Alle diskutieren laut über Coronavirus und über die Regierung. Diese kriegt kein Lob „von der Straße“, obwohl sie es aus meiner Sicht nicht ganz schlecht macht. In der Toskana gibt es einen prächtigen Sonnenuntergang. Um 21.00 Uhr bin ich in Florenz. Ich werde wieder kontrolliert. Mein „alter Navigator“ ist zu wenig „aktualisiert“ und so mache ich in Florenz einige „Ehrenrunden“, bis ich die richtige Brücke über den Arno erwische. Danach schickt mich der Navigator noch über die Autobahn „A1 panoramica“, statt über die „A1 direttissima“ bei der Überquerung des Apennins Richtung Bologna. Der Pass „Roncobilaccio“ liegt auf 726 m.ü.d.M. In der 9 km langen „galleria di base“ wäre ich 25 Minuten schneller gewesen. Schade ist nur ums Panorama. Ab Bologna geht es wieder 4spurig weiter. Die Autobahn ist leer. Um 2.14 Uhr bin ich wieder in Graun. Um 6.00 Uhr war ich losgefahren. Das „decreto legge cuneo fiscale n. 5“ vom 5. Februar ist Gesetz. Es bringt momentan nur 20 Euro mehr monatlich für die Lohnabhängigen, aber die politische Zielrichtung stimmt. Bei den Lohnnebenkosten gibt es viel zu tun. Das nächste Mal werden wir das Maßnahmenpaket von 25 Milliarden Euro zur Bewältigung der Coronakrise ratifizieren. Dieses Paket werden viele Bürger mehr verspüren. 

Redaktion

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