„Die Gesundheit kommt aus dem Boden“
Studie über Pestizidbelastung auf Kinderspielplätzen vorgestellt. „Es braucht einen gemeinsamen Kraftakt.“
Südtirol/Vinschgau - „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Pestizidkontamination von öffentlichen Flächen in intensiv bewirtschafteten landwirtschaftlichen Gebieten das ganze Jahr über ein potenzielles Gesundheitsproblem darstellt, insbesondere für die schwächsten Gruppen der Gesellschaft.“ Zu diesem Schluss kommt das Autoren-Team einer neuen wissenschaftlichen Studie, die am 10. Februar bei einer Videokonferenz vorgestellt wurde. Das Team hatte 96 Grasproben analysiert, die 2018 vom Südtiroler Sanitätsbetrieb in mehreren Gebieten in Südtirol auf 19 Kinderspielplätzen, 4 Schulhöfen und einem Marktplatz entnommen worden waren. Die Forscher*innen aus Italien, Österreich und Deutschland sprechen von einer ganzjährigen Pestizidbelastung. Es werde die Abdrift von 32 Pestiziden auf öffentliche Flächen belegt. Wie der Co-Autor Koen Hertoge von PAN Europe (Pestizid Aktionsnetzwerk Europa) bei der Pressekonferenz vorausschickte, habe es in der Vergangenheit schon mehrere Studien dieser Art gegeben: „Sie wurden zwar öffentlich vorgestellt und zur Kenntnis genommen, aber die Südtiroler Landesregierung blieb untätig und versuchte die Thematik zu verharmlosen.“ Nun werde erneut belegt, „dass die Abdrift ein wichtiges Thema ist. Diese Studie bietet eine weitere wissenschaftliche Basis, die es den Verantwortlichen ermöglicht, konkrete Lösungen zum Schutz der Bevölkerung zu finden.“ Die Erst-Autorin der Studie, Caroline Linhart, stellte die Ergebnisse im Detail vor. Auf 23 von 24 untersuchten Flächen sei eine ganzjährige Mehrfachbelastung nachgewiesen worden. Die Biologin und Umwelt-Epidemiologin verwies auf den Nachweis hormonaktiver Substanzen und auf mögliche Kombinationseffekte. Im Frühling und Sommer sei die Belastung höher, im Herbst und Winter niedriger. Die gefundenen Konzentrationen seien zwar durchaus niedrig, allerdings zähle die Mehrheit der nachgewiesenen Stoffe zu den hormonell aktiven Substanzen. Es sei davon auszugehen, dass die Belastung bereits während der vergangenen Jahrzehnte aufgetreten sei. Das Forscherteam spricht sich für eine generelle Reduktion des Pestizideinsatzes aus und für Verbesserungen in der landwirtschaftlichen Praxis als Vorsichtsmaßnahmen.
„Solidarität mit den Landwirten“
Die Co-Autorin Fiorella Belpoggi vom Krebsforschungszentrum „Cesare Maltoni“ des „Istituto Ramazzini“ in Bologna stellte die Thematik in einen breiten Kontext. Es gehe im Grunde darum, zu einem gesunden Boden zurückzukommen: „Die Gesundheit kommt vom Boden. Ist die Erde gesund, sind es auch die Früchte.“ Wovor Belpoggi warnte, ist eine Polarisierung. Überzogene Panikmache sei ebenso fehl am Platz wie das Leugnen der Probleme. Tatsache sei, dass der Pestizideinsatz in vielen Gebieten Europas, wo intensive Landwirtschaft betrieben wird, Probleme nach sich ziehe. „Was es braucht, ist ein gemeinsamer Kraftakt“, so Belpoggi. Besonders gefragt sei eine stärkere Solidarität mit den Landwirten und landwirtschaftlichen Arbeitern, die als Anwender am stärksten betroffen seien. Aber auch die Institutionen, die Politik, die Konsumenten und die gesamte Gesellschaft seien gefordert: „Wir müssen uns gemeinsam in Richtung Biolandwirtschaft bewegen.“ An der Studie mitgeschrieben haben u.a. auch Simona Panzacchi, Peter Clausing und Johann Zaller.
„Bienen und Bauern retten!“
Die Vorstellung der Studie endete mit einem Aufruf, sich an der Europäischen Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten!“ zu beteiligen. Ziel der Initiative ist es, die chemisch-synthetischen Pestizide bis 2035 in Europa aus dem Verkehr zu ziehen, Bäuerinnen und Bauern beim Umstieg auf eine umweltfreundliche Landwirtschaft zu unterstützen sowie Bienen und Ökosysteme zu retten. „Wenn es gelingt, innerhalb Juni 2021 mindestens eine Million Online-Unterschriften zu sammeln, muss sich die Europäische Kommission intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen“, sagte Koen Hertoge.
