Ein erfolgreicher Abschluss der Vortragsreihe „History on tour“ war der Vortrag mit Oswald Überegger in der Mittelpunktbibliothek Schlandersburg.

Die Pariser Entscheidung

Wie und warum Südtirol nach dem 1. Weltkrieg zu Italien kam

Publiziert in 42 / 2021 - Erschienen am 16. Dezember 2021

Schlanders - Der letzte Referent in der Reihe „History on Tour“, der „aus dem Elfenbeinturm der Universität ausbrach“, war der Direktor des Kompetenzzentrums für Regionalgeschichte Oswald Überegger selbst. Es war der 4. Ausbruchsversuch nach Schlanders, der auf Einladung von Bibliothekar Raimund Rechenmacher in einem gut gefüllten Saal der Mittelpunktbibliothek endete. „Eigentlich sollten keine Südtirolerin und kein Südtiroler an diesem Thema vorbeikommen, vor allem deshalb nicht, weil sich die Entwicklung Südtirols im 20. und 21. Jahrhundert letztlich auf dieses spezifische Ereignis zurückführen lässt“, eröffnete der Brixner Historiker sein Referat. Die Entscheidung der Siegermächte habe die verhasste Schicksalsgrenze am Brenner entstehen lassen. Um den Blick auf den Ausgangspunkt zu richten, habe man sich zuerst mit dem 1. Weltkrieg zu befassen und sich die Frage zu stellen: Was hat dieser Krieg mit der Brennergrenze zu tun? Ihm sei aufgefallen, dass man über die Pariser Entscheidung in Südtirol eigentlich sehr wenig weiß. Man weiß viel mehr über die Geschichte Südtirols nach 1945. Überegger zeichnete nachvollziehbar die Entwicklung vom Angriffskrieg gegen Serbien über die berechtigte Neutralitätserklärung Italiens zum Londoner Geheimvertrag mit Gebietsansprüchen Italiens nach. Mit der Erwähnung einer Grenze am Brenner in einem 16-Punkte-Katalog habe Italien die Ansprüche auf „Heimholung von Trient und Triest“ weit überzogen. Dass letztlich die Grenze durch Tirol zum Druckmittel Italiens wurde, stehe im Zusammenhang mit dem Untergang des Russischen, Deutschen, Osmanischen und Österreichisch-Ungarischen Reiches. Da die Alliierten die italienischen Forderungen zu Ungunsten des neu entstehenden Jugoslawien ablehnten – Italien wollte auf alle Fälle die „italienische Hafenstadt Fiume“, das heute kroatische Rijeka – wurde der südliche Teil Tirols zum Faustpfand. Dass es auch noch wirkte, lag am Bestreben des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, Italiens Ostausdehnung einzuschränken, den Balkan zu befrieden und Italien in den Völkerbund zu holen. Am 10. September 1919 musste Staatskanzler Karl Renner im Pariser Vorort Saint-Germain-en-Laye den Friedensvertrag unterzeichnen, der im Artikel 27 die Brennergrenze anführt. Oswald Überegger versuchte zu verdeutlichen, dass die Südtirol-Frage nie die Bedeutung hatte, die man ihr später zusprach, und dass Rest-Österreich viel größere Grenzprobleme zu lösen hatte. Er zitierte im Vortrag das Tiroler Mitglied der Delegation, den Christlichsozialen Franz Schumacher, der den 2. September 1919, den Tag der Vertragsunterzeichnung, einen „Tag des Schreckens“ nannte. Auch den Kompromissvorschlag, das Pustertal und das Wipptal bei Tirol zu belassen, schnitt Überegger an. Aus dem Publikum kam die Frage, wie es den Italienern gelingen konnte, Pustertaler Gemeinden jenseits der Wasserscheide auch einzuheimsen. Dies sei stillschweigend dann im Mai 1920 geschehen, war die Antwort. Überegger erinnerte, dass die Sozialdemokraten im römischen Parlament zuerst auf das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler gepocht, dann aber für eine weitgehende Autonomie bestanden hätten. Dies führte zur nächsten Frage eines Zuhörers, ob es Unterlagen über die Autonomieverhandlungen gäbe und ob die auf Seiten der Italiener jemals zur Sprache gekommen seien. Überegger verwies auf die kurze Zeitspanne des sozial-demokratischen Einflusses.

Günther Schöpf
Günther Schöpf

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