Carletto Silvestri aus Neapel war der erste junge Pizzaiolo im Vinschgau; dieses Bild zeigt ihn im Jahr 1975.

„Die Pizza und den Maradona müsst ihr uns lassen“

Publiziert in 40 / 2015 - Erschienen am 11. November 2015
Vor über 40 Jahren kam der Pizzaiolo Carletto Silvestri aus Neapel in den Vinschgau. „Es gibt kein Geheimnis für einen guten Pizzateig.“ Vinschgau - Seit 1973 hält Carletto Silvestri die neapolitanische Tradition des Pizzabackens im Vinschgau hoch. Vor über 40 Jahren wussten hierzulande noch lange nicht alle, was eine Pizza überhaupt ist. ­Carletto hatte sein Handwerk schon in der Kinder- und Jugendzeit erlernt, und zwar bei einem Pizzameister in Neapel: „Ab dem 8. Lebensjahr war ich in der Pizzeria, wo ich auch die Schulaufgaben machte.“ Auch in Deutschland und in Mailand arbeitete er in jungen Jahren als Pizzaiolo. Es war dann der Staat, der ihn vom Pizza-Ofen trennte und zum Militärdienst rief. Absolviert hat Carletto den Wehrdienst auf Sizilien. Im Anschluss daran suchte er wieder Arbeit bei seinem Meister in Neapel. Dieser hatte aber 11 ­Kinder, die mittlerweile selbst Arbeit suchten und brauchten. Der Meister riet Carletto, in den Norden zu ziehen und bei seinem Landsmann Nunzio, der in Meran die Pizzeria „Da Nunzio“ betrieb, vorstellig zu werden. „Ich kam in der Nacht mit dem Zug in Meran an und stand schon um 5 Uhr in der Früh vor der Pizzeria,“ erinnert sich Carletto. Nunzio habe ihn dann zur damaligen Pizzeria „Gufler“ nach Schlanders bringen lassen. Dort war der bis dahin erste Pizzaiolo überhaupt im Vinschgau beschäftigt. Es war dies Raffaele Orlando aus Neapel, der damals schon Mitte 60 war und von Carletto abgelöst werden sollte. Raffaele, deren Nachkommen in Meran zu bekannten Pizzabäckern wurden, ist leider kurz nach der Pensionierung gestorben. Während seiner ersten Jahre als Pizzaiolo in Schlanders verdiente Carletto ca. 250.000 Lire im Monat. „Das war zur damaligen Zeit ein schöner Batzen Geld,“ sagt Carletto. Für die teuerste Pizza waren zu jenen ­Zeiten 800 Lire hinzublättern. Carletto arbeitete aber nicht nur in Schlanders, sondern auch in Unterrain, am Reschen und im Schnalstal sowie in Samnaun, in Lienz in Osttirol und in anderen Orten. So gut wie heilig ist für ihn die neapolitanische Pizza-Tradition. Carletto; „Es gibt kein geheimes Rezept für einen guten Teig, denn es braucht nur vier Sachen: Wasser, Salz, Hefe und Mehl.“ Von allen anderen Zutaten hält Carletto nichts: „Wenn jemand sagt, der Teig wird besser, wenn man etwas Honig beimengt, Milch oder andere Sachen, dann bricht er mit der neapolitanischen Tradition.“ Und das gehe nicht an: „Die Pizza und Diego Armando Maradona muss man schon uns Neapolitanern lassen.“ Wie in Südtirol Knödel und Speck zu Hause sind, sei Neapel die Heimat der Pizza. Wie man sie zubereitet und bäckt, lernt man am besten bei erfahrenen Pizzaiolos. Sein Meister habe ihm immer gesagt, dass sich der Teig so anfühlen muss, wie der Oberarm-Muskeln eines Menschen, wenn man sie anfasst und ein bisschen knetet. Der Teig darf weder zu hart noch zu weich sein. Das richtige Maß erkenne man durch das Berühren des Teigs. Auch das geschulte Auge und die Erfahrung seien wichtig. Überhaupt kein Hilfsmittel ist laut Carletto eine vorab festgelegte Zeit für das Gären des Teigs. Wenn er den Teig formt, achtet er immer auf eine dünne Schicht im Mittelteil und einen etwas dickeren Rand. „Dieser Rand ist auch deshalb wichtig, weil sonst die Tomaten, die Mozzarella oder das Olivenöl abfließen.“ Wenngleich sich an den Teigzutaten sowie auch an dem, was auf den Teig kommt, im Laufe der Jahrzehnte sehr vieles geändert hat, gilt es laut Carletto dennoch, die alten Traditionen nicht zu vergessen. Was er von bestimmten Zutaten hält, beweist eine Begebenheit, die sich schon vor einiger Zeit zugetragen hat: „Als mir mein Chef anordnete, Nutella aufzu­streichen, habe ich gekündigt.“ Wer zum Beispiel eine echte Margherita auf den Tisch bringen will, „braucht nur Tomaten, Mozzarella und Basilikum.“ Überzeugt ist Carletto auch, dass es nicht Diplome und Kurse sind, die einen guten Pizzaiolo ausmachen: „Viel wichtiger sind ein guter Lehrmeister und die Erfahrung.“ Einer Frau aus dem Schnalstal habe er vor einiger Zeit sein Handwerk gelehrt: „Sie hat mir drei Monate lang jeden Abend über die Schulter geschaut.“ Wenn er im Gespräch immer wieder von Neapel erzählt und von seiner Kinder- und Jugendzeit, kann Carletto die Emotionen kaum unterdrücken. Er ist ein Neapolitaner „kontrollierten Ursprungs“ und zwar schon ziemlich lange. Die „Pizza Napoletana“ ist erst seit 10 Jahren als Warenzeichen innerhalb der ­Europäischen Union eingetragen. Seither sind die zugelassenen ­Zutaten für die Her­stellung einer „verace pizza napoletana artigianale“ festgelegt. Seit 2010 ist die „Napoletana“ als traditionelle Spezialität geschützt. Nicht wahr ist laut Carletto, dass nur Neapolitaner wirklich gute Pizzas zubereiten können. Einen bestimmten Vorteil könne die Herkunft aber schon haben, „denn ich habe schon oft zugehört, wie sich Pizzabäcker aus dem Ausland vor den Gästen als Neapolitaner ausgaben.“ Herkunft hin oder her: was den 63-Jährigen zurzeit schmerzt, ist die Tatsache, dass er seit Februar keine Arbeit mehr findet. Sepp
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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