Die Bauern bevölkerten das Kulturhaus „Karl Schönherr“.
Siegfrid Rinner fand klare Worte was die Nachhaltigkeit betrifft.
Berichtete über die Bonifizierung: Paul Wellenzohn.
Schimpfte über den Wolf: Franz Locher.
Informierte über Bauen im Grün: Maria Hochgruber Kuenzer.
Erbhof-Übergabe (v.l.): Bauernbund Obmann Leo Tiefenthaler, die Familie Lampacher mit Andreas, Johannes, Meinrad, Sylvia, Gisela und Nikolaus sowie Landesrat Arnold Schuler und Bezirksobmann Raimund Prugger.

Die Sorgen der Bauern 

Was die Vinschger Landwirtschaft bewegt. 

Publiziert in 2 / 2023 - Erschienen am 31. Januar 2023

Schlanders - Aus dem ganzen Vinschgau waren sie gekommen. Zahlreich. Kein Wunder, schließlich gab es nach pandemiebedingt schwierigen Jahren bei der heurigen Bezirksversammlung des Südtiroler Bauernbundes am Montag, 23. Jänner, gar einiges zu besprechen. Apropos Pandemie: „In dieser Zeit sind wir draufgekommen, dass wir Bauern doch systemrelevant sintd“, betonte der Vinschger Bezirksobmann Raimund Prugger. Ohnehin war man bei der Versammlung um deutliche Worte bemüht. Den Stellenwert der Landwirtschaft gelte es weiter hervorzuheben. Den Wert einer Landwirtschaft, die vor großen Herausforderungen steht. Und im hier und jetzt zwar generell noch in den meisten Bereichen „solide“ sei, aber von eitel Sonnenschein weit entfernt. Sorgen bereiten unter anderem sinkende Auszahlungspreise im Obstbau, ein mäßiger Verkaufsstart und eine Milchwirtschaft, die sich mit extremen Kostensteigerungen und zugleich nach wie vor tiefen Preisen immer schwerer tut. Auch das Thema Tierwohl bereitet den Bauern Kopfzerbrechen. Man müsse schauen, ob alle künftig geforderten Maßnahmen, etwa was das Zertifizierungssystem „Classyfarm“ betreffe, für alle Betriebe zu stemmen sind. 

Herausforderung Nachhaltigkeit annehmen 

Die Herausforderung der Nachhaltigkeit wolle man annehmen, habe man bereits angenommen. Man sei in Südtirol auf einem „guten Weg“, wie der Direktor des Bauernbundes, Siegfried Rinner betonte. Das wichtigste Thema sei dabei aber immer die Ernährungssicherheit. „Das ist die ureigene Aufgabe der Landwirtschaft. Darum muss sich alles drehen“. Rund herum könne man dann über Naturschutz, Artenvielfalt, Klimawandel und Tierwohl reden. „Die Ernährungssicherheit ist kein Gegenpol zu diesen Themen. Im Gegenteil. Es darf kein entweder-oder sein, es muss ein sowohl-als auch geben“, erklärte er. Ein „sowohl-als auch“ was wirtschaftlich ertragreiche Landwirtschaft und was ökologische Nachhaltigkeit betreffe. 

Bitte auch wirtschaftlich nachhaltig 

„Das Wort Nachhaltigkeit hat seine Berechtigung, mehr denn je. Es gibt die ökonomische Nachhaltigkeit, die ökologische und auch die soziale“, so Rinner. Alle drei müssten zusammenspielen. „Nachhaltigkeit ist eben nicht nur ökologisch, nicht nur Klimaschutz und Artenvielfalt, sondern auch Wirtschaftlichkeit und der soziale Aspekt spielen eine Rolle“. Die Bauerschaft müsse weiterhin im sozialen Leben eine gewichtige Rolle spielen. „Es ist ein Teil unserer Kultur“. Und schlussendlich sei auch die Wichtigkeit eines wirtschaftlich gut arbeitenden Betriebes selbstverständlich. „Betriebe können nur etwas leisten, wenn sie bestehen. Wenn ein Betrieb noch in 100 Jahren besteht, dann ist das nachhaltig“. Wenn es so wie in Südtirol viele Höfe gibt, die seit Jahrhunderten in Familienbesitz sind, Erbhöfe, kulturell wertvoll, und immer noch effizient, ja dann dürfe man auch in solchen Fällen von Musterbeispielen an Nachhaltigkeit sprechen. 

Auf eigenen Beinen stehen 

In Europa seien zwischen 2010 und 2020 rund drei Millionen landwirtschaftliche Betriebe aufgelassen worden. „Das sind rund 800 pro Tag“, rechnete Rinner vor. Trotzdem sei es gelungen, die Versorgungssicherheit in der Ernährung weitgehend selbst zu gewährleisten. „Wenn man sieht was sonst so in Europa passiert, ist das eine großartige Leistung der Landwirtschaft. In vielen Bereichen, von der Medizin über die Energie bis hin zur militärischen Verteidigung sei Europa größtenteils von anderen abhängig. Wollen wir das?“, fragte der Bauernbund-Direktor. Diese Entwicklung dürfe es im Bereich der Ernährung nicht geben. Man müsse auf eigenen Beinen stehen. „Sonst ist es zu spät“. Es brauche aber auch das Vertrauen der Politik in die Bauern, dass man das schafft. „Schlussendlich darf Europa die Ernährungssicherheit nie in Frage stellen. Die Antwort muss immer laute, sowohl-als auch“, betonte Rinner. So könne Südtirol in großen Mengen Äpfel herstellen und gleichzeitig auch Biodiversität produzieren. Neben Vertrauen wünsche man sich auch oft mehr Mut von der hiesigen Politik. „Es gibt so viel Potenzial. Nutzen wir es“, so der Bauernbund-Direktor. Zum Beispiel im Bereich der erneuerbaren Energien „wäre mehr möglich“. Klare Kante zeigte er auch in Sachen Lebensmittelkennzeichnung in Speisekarten. „Hoffentlich geht das Gesetz durch. Ich bin dafür. Das ist gut für die Landwirtschaft. Transparenz ist wichtig. Der Konsument soll wissen woher ein Produkt kommt. Man muss ihm die Entscheidung überlassen. Das schafft Bewusstsein für Lebensmittel“. 

Mehr Geld für die Arbeit  

Ein Schwerpunkt für das Jahr 2023 sei der Markt. Der Landwirt müsse mehr Geld für seine Arbeit bekommen. „Wir müssen dazu aber auch noch mehr tun“, so Rinner. Es gelte, neue Marken aufzubauen, sich noch besser zu präsentieren und die Produkte noch besser vermarkten. Ein Thema, dass auch Landesrat Arnold Schuler, selbst aus der Landwirtschaft, aufgriff. Er weiß: „Wir können nicht mit anderen Produzenten mithalten“. Was die günstige Herstellung betreffe. Südtirol müsse sich wie eh und je seiner Stärken besinnen: „Auf Qualität setzen“. Vor allem bei der Apfelwirtschaft müsse man sich dadurch von den anderen Produzenten abheben. Aber: Auch die „Herausforderungen“ dabei nicht außer Acht lassen. Herausforderungen, die zugleich auch Chancen sind. „Die Reduzierung der Pflanzenschutzmittel ist uns allen ein Anliegen“, so Schuler. Auch auf Artenvielfalt und zusätzliche Nischenkulturen gelte es in der Landwirtschaft zu setzen. „Da ist noch viel Potenzial, auch in der Vermarktung“. 

Durchwachsene Verkaufsjahre 

Dass die Situation derzeit nicht immer einfach sei, das hatte Prugger schon zu Beginn der Veranstaltung, in seinem Rückblick auf 2022 zusammengefasst. „In der Obstwirtschaft ist ein Auf und Ab. Wir haben durchwachsene Verkaufsjahre hinter uns“, erklärte der Bauernbund-Bezirksobmann. Die heimischen Apfelbauern zeichnen sich aber immer wieder dadurch aus, dass man auf Veränderungen reagieren könne. Die Clubsorten seien auf einem guten Weg und würden mittlerweile bereits rund 10 Prozent ausmachen. „Ein Lernprozess für die Bauern und eine Herausforderung für Genossenschaften“, was man aber durchaus meistern könne. Die Kostensteigerungen, zu denen es in allen Bereichen des täglichen Lebens kommt, machen natürlich auch den landwirtschaftlichen Betrieben zu schaffen. „Vor allem die Milchwirtschaft hat mit gewaltigen Kostensteigerungen zu kämpfen“, so Prugger. Die Preise zeigen zwar nach oben, „aber ob sie dann kostendeckend sind muss man schauen“. In der Weinwirtschaft sei die Stimmung hingegen gut. Vor allem auch Südtirols Gastronomie sorge hier als Abnehmer für ordentliche Zahlen. Im Vinschgau gibt es 15 Abfüller, die ihren Wein selbst vermarkten, der Großteil gehe an die Burggräfler Kellerei. Die Gemüsepreise seien relativ stabil. Lobende Worte fand der Bezirksobmann für die hiesigen Nischenkulturen. „Ich staune immer wieder, wenn ich mich auf diese Sitzung vorbereite, wie vielfältig der Vinschgau eigentlich ist. So vieles wird hier in der Landwirtschaft angeboten, ich denke, das ist einmalig im Alpenraum“. Von Brombeeren bis hin zu Heidelbeeren werde allerhand angebaut. Bei den Kirschen gab es eine Rekordernte, aber unbefriedigende Preise, bei den Marillen gab es unter anderem aufgrund von Frost und Hagel eine unterdurchschnittliche Ernte. Bei den Erdbeeren dürfe die Menge generell nicht weniger werden, wolle man den Markt auch künftig kontinuierlich beliefern. 

Thema Wolf

SBB-Abteilungsleiter Michael Crepaz referierte über die vielen Neuerungen in Sachen Tierprämien. Ein weiteres Thema, welches auch den Vinschgau maßgeblich betrifft, ist der Wolf. „Meiner Erkenntnis nach helfen Zäune, um Schafe einzusperren. Vor dem Wolf schützen sie aber nicht“, betonte Prugger und kritisierte den Direktor des Landesamtes für Jagd und Fischerei, Luigi Spagnolli, der vermehrt Herdenschutz forderte. „Wir Bauern betreiben nicht genug Herdenschutz hieß es“. Laut Prugger seien aber wohl nur Herdenschutzhunde wirksame Mittel. „Und das ist mit großen Kosten verbunden“. Der Landtagsabgeordnete Franz Locher, als Sarner Gast bei den Vinschger Bauern, betonte, dass in Sachen Wolf Handlungsbedarf bestehe. „Egal was Brüssel und die anderen entscheiden. Wir müssen über eigene Wege nachdenken. Und auch mal die Kanten schleifen“, forderte er noch „schärfere“ Diskussionen in Sachen Wolf. Landesrat Arnold Schuler berichtete dazu: „Wir müssen einen akzeptablen Weg suchen, und alle an gemeinsamen Lösungen arbeiten. Wir wissen, es kann so nicht weitergehen. Aber es wird auch nicht der Fall sein, dass es absolut keine Wölfe mehr in Südtirol geben wird. Eine sinnvolle Regulierung ist hier gefordert“. 

Vinschger „Wasser-Pioniere“

Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer berichtete in ihren Grußworten kurz unter anderem über das Bauen im landwirtschaftlichen Grün. Auch Südtirols Bauernbund-Obmann Leo Tiefenthaler durfte bei der Bezirksversammlung freilich nicht fehlen. „Ich komme immer wieder gerne zu euch“, betonte er. Lobende Worte fand er für die Wasserversorgung im Tal. Der Vinschgau habe hier schon immer „Pionierarbeit“ geleistet, früher etwa durch die Waale. Was man nun in Sachen Beregnung leiste, sei vorbildhaft, so manch andere Landesteile würden neidisch in den Vinschgau blicken. „Ihr beweist eine gute Zusammenarbeit“, so Tiefenthaler. Konkrete Zahlen zur Wasserversorgung im Tal hatte Paul Wellenzohn, der Präsident vom Bonifizierungskonsortium Vinschgau vorgestellt. So gibt es im Tal 76 autonome Beregnungsanlagen auf 7700 Hektar zwischen Plaus und Burgeis, davon 1700 Hektar Frostbewässerung und 2100 Hektar Tropfbewässerung. 5000 Hektar betreffen Obstanbau und Mischkulturen. In die Beregnung werde immer wieder investiert, allein 2022 waren es rund 11 Millionen Euro, wofür es fast 2 Millionen an Landesbeiträgen und 3,4 Millionen an nationalen Geldern gab. Größere Projekte in den vergangenen Jahren waren unter anderem der Neubau der Beregnungsanlage Schludernser Ebene und die Errichtung der neuen Zubringerleitung aus dem Laaser Tal. „Weiters beziehen sich die Investitionen auf die Sanierung von Beregnungsanlagen, die Umstellung aus Tropfbewässerung, den Bau von Speicherbecken und die Potenzierung von Frostanlagen“, so Wellenzohn. 

Latscher Erbhof prämiert

Im Rahmen der Bezirksversammlung wurde auch die Erbhofurkunde an den Herrenhof in Latsch verliehen. „Das sind gelebte Beispiele für Nachhaltigkeit“, lobte SBB-Obmann Tiefenthaler. Solche Höfe würden wesentlich dazu beitragen, dass es in Südtirol seit Jahrhunderten Landwirtschaft gegeben habe und weiterhin geben werde. Der Herrenhof in Latsch befindet sich seit rund 200 Jahren im Besitz der Familie Lampacher. Noch in den 60er Jahren ein typischer Acker- und Viehbetrieb, wurde der Hof dann von Meinrad Lampacher zu einem modernen Obstbaubetrieb umgebaut, heute wird er von dessen Sohn Nikolaus Lampacher geführt, schon bald wird Sohn Johannes, derzeit Betriebsleiter in einem Obervinschger Biobetrieb, den Hof weiterführen. Es komme nicht selten vor, dass hier vier Generationen der Familie Lampacher auf dem Feld zu finden sind. Geehrt wurde auch Leo Forcher für seine 39-jährige Obmannschaft beim Vinschgauer Weinbauverein. Einen großen Dank überbrachte Prugger auch der Bezirksbäuerin Ingeborg Rechenmacher, die nach nunmehr 12 Jahren aufgrund der Mandatsbeschränkung das Amt im Februar 2023 abgeben wird. „Danke für die gute langjährige Zusammenarbeit“, so Prugger, der selbst seit 10 Jahren als Bezirksobmann aktiv ist. Die stets engagierten Bäuerinnen des Bezirkes waren es schließlich auch, die zum Abschluss der Veranstaltung schmackhafte belegte Brote – mit lokalen Produkten – und einen Umtrunk vorbereitet hatte. 

Michael Andres
Michael Andres

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