„Ein lebhaft gefühltes Bedürfnis“
Der leidenschaftliche Philatelist Sebastian Felderer ist zum Historiker geworden.
Schlanders - Sebastian Felderers Übergang vom Sammler zum Buchautor im Jahre 2022 ist ein Glücksfall für die Landeskunde. Er hat auf 374 Seiten Südtiroler Geschichte im Allgemeinen und Vinschgauer Geschichte im Besonderen neu strukturiert. Auf Seite 51 seines beeindruckenden Werkes zitiert Felderer aus dem „Bothen von und für Vorarlberg“ vom 26. Dezember 1822: „…dass nun die Abhülfe jenes lebhaft gefühlten Bedürfnisses…“ endlich bevorstehe. Damit wurde die „Errichtung regelmäßiger Postanstalten im Vinstgau“ angekündigt. Ein ebenfalls lebhaft gefühltes Bedürfnis für Felderer dürfte die Herausgabe des Buches „Der Postweg über den Reschen. Zum 200. Jahrestag der Einrichtung des Postkurses Landeck - Meran im Jahre 1822“ gewesen sein. Felderer war sich bewusst, dass es keine kulturelle Organisation im Vinschgau gibt, um an einer der historischen Poststationen eine konkrete Jubiläumsfeier auszurichten. Ihm stand das Musikfest des Jahres 2012 in Eyrs vor Augen, als man an die „Posterhebung von Eyrs“ erinnerte (S.78). Felderer hat den Beschluss des „k. k. tyroler Guberniums“ transkribiert. Als wichtigstes Argument, einen eigenen „Postcours von Potzen über Meran und Mals bis nach Landegg durch den Vintschgau einzuleiten“, werden die gesparten 11 ½ Meilen angeführt. Nach der Geschichte vom „Nauderer Boten“ (ab S. 26) skizzierte Felderer die Konkurrenzsituation zwischen den Postorten Latsch und Schlanders und die Zusammenhänge mit dem mittelalterlichen Rodfuhrwesen (S. 28). Es folgen Bestimmungen und Dekrete und exakt beschriebene Ansichtskarten mit Reiseeindrücken von Landeck über Finstermünz nach Meran. Bemerkenswert aktuell klingt das Schreiben von Wirtschaftstreibenden aus Bozen mit ihrer Klage über „Übelstände im Kommunikationswesen“. Erst kurz vor Antritt der Reise habe man erfahren, dass kein Eilwagen durch den Vintschgau fährt (S. 77). Im Kapitel „Die Postillione“ mischt der Autor historische mit 2012 in Eyrs nachgestellten Szenen. Sinnigerweise folgen die 29. Paragraphen der „Dienst-Instruktion“ aus dem Jahre 1863. Aneinander reihen sich die Kapitel über „Die Postgasthäuser“ (bis S. 105) mit Fahrten übers Stilfser Joch und nach Sulden, illustriert von Post-Karten, Correspondenz-Karten und Lithographien (bis S. 129) und über die Bedeutung von Eyrs, Tschengls und Spondinig (bis S. 144).
Der Chronist Sebastian Felderer
Ausführlich wird ein Kernkapitel des Buches mit der Entstehung der Briefmarke um 1840, mit dem internationalen Postaustausch und mit der österreichischen Briefmarkengeschichte behandelt (bis S. 159). Es folgt die „Kulturgeschichte des Briefes“ (bis S. 169). Auf 2 Seiten erinnert sich Felderer an die Jugendzeit und formuliert daraus eine Grauner Postgeschichte. Ausgiebig tritt der Sammler Felderer mit einer Stempel-Geschichte in Erscheinung (bis S. 183). Den Statistiker Felderer kann man ab S. 191 kennenlernen. Das reichhaltige Bildmaterial ist durchsetzt von historischen Ansichten aus verschiedenen Vinschgauer Ortschaften. Ab S. 238 tauchen Eisenbahn- und Automobil-Geschichte im Postwesen auf; ab S. 245 kommt der Straßenbau dazu. Felderer nimmt das schreckliche Busunglück am Reschen-Stausee als Aufhänger (S. 248). Ab S. 258 stehen Post und Berichterstattung von den Fronten des 1.Weltkrieges und das Thema Kriegsanleihe im Vordergrund. Nach einem Exkurs über den Meraner Philatelisten Arthur Ladurner wendet sich Felderer wieder der Geschichte zu. Es wird die Annexion Südtirols und die Postverwaltung behandelt, eine Geschichte der „Poste Italiane“ von 1862 bis 2012 erarbeitet und auf den Postbetrieb des „Königreichs Italien im Vinschgau“ geblickt. In diesem Zusammenhang taucht u.a. postalisch und fotografisch das „Albergo sportivo della Val Martello“ und der Dorfbrand in Karthaus, Schnalstal, auf. Es ist der Geist des Sammlers, der sich hier durchsetzt (ab S. 290). Man hätte zu den Abbildungen mehr Informationen durchaus begrüßt. Erst mit dem Kapitel „Der 2. Weltkrieg und die Dienstpost Alpenvorland“ wird der historisch interessierte Leser wieder an die Hand genommen (ab S. 333). Felderer lässt sein Lebenswerk in Buchform mit dem Kapitel „Die Modernisierung der italienischen Post“, dem Einsatz von Postleitzahlen, dem damit verbundenen „enormen Personalabbau“ und mit Beispielen von Postkuriositäten ausklingen. Das Buch werde in Fachkreisen sehr geschätzt, teilte Felderer mit. Demnächst werde es im Bund Deutscher Philatelisten der Fachpresse vorgestellt.
