Ein Malser in Shanghai
Publiziert in 28 / 2015 - Erschienen am 29. Juli 2015
Thomas Waldner arbeitet seit zwei Jahren in der chinesischen Wirtschaftsmetropole für das Unternehmen HOPPE. Sein Rat
an die Jungen: „Geht hinaus in die Welt“
Mals/Shanghai - Wo sind hier die Leute? Diese Frage stellte Liang Yi Lin, als sie mit ihrem Freund Thomas Waldner am 3. Juli in der Fußgängerzone in Mals ein Jazz-Konzert besuchte. Für hiesige Verhältnisse war der Besucherandrang gar nicht so gering, aber für Liang Yi Lin gehören große Menschenmassen zum Alltag. Ein bisschen daran gewöhnt hat sich mittlerweile auch Thomas Waldner aus Mals, denn er arbeitet seit zwei Jahren in Shanghai. Als er kürzlich mit Liang Yi Lin seine Heimat besuchte, fragte ihn der Vinschger, wie es dazu kam, dass ein Malser in China landet, und wie es sich in der Wirtschaftsmetropole Shanghai lebt. Bereits vor seiner Tätigkeit in Shanghai hatte Thomas Waldner ca. 7 Jahre lang für das Unternehmen HOPPE gearbeitet, und zwar in der Niederlassung in Schluderns. Er war in verschiedenen Bereichen tätig, in der Produktion ebenso wie in der Logistik und in anderen Bereichen. Als die Firmenleitung vor etwas mehr als zwei Jahren einen Projektleiter für den Aufbau einer Verkaufsgesellschaft in China suchte und diese Stelle intern ausschrieb, meldete sich Thomas sofort. Er war dann auch jener, dem diese Aufgabe anvertraut wurde. Hatte er aber nicht auch Bedenken, vom Vinschgau kurzerhand nach China zu ziehen, um sich dort einer doch sehr großen Herausforderung zu stellen? Thomas: „Ich hatte bereits vor meiner Arbeit bei HOPPE in einem Betrieb in Österreich gearbeitet und dort einen guten Freund gewonnen, der selbst eine Zeitlang in China gearbeitet hat. Als ich mich entschloss, an der Ausschreibung teilzunehmen, hat er mir einiges über Shanghai und China erzählt.“ Seit dem „Umzug“ nach Shanghai lässt sich Thomas in die Grundkenntnisse der chinesischen Sprache einführen. Mittlerweile ist der 32-Jährige in der Lage, sich im Alltagsleben einigermaßen auf Chinesisch zu verständigen. Viel wichtiger, vor allem für die Arbeit, sei aber Englisch. Mit Liang Yi Lin spricht er meistens Englisch. Die große Herausforderung des jungen Malsers war es, in Shanghai den Aufbau einer HOPPE-Verkaufsgesellschaft zu unterstützen.
Aufbau einer Verkaufsgesellschaft unterstützt
Und zwar von der Pike auf. Thomas: „Es galt nicht nur, geeignete Räume für die Lagerung und Verwaltung ausfindig zu machen, sondern auch Personal aufzubauen, mit Kunden in Kontakt zu treten und gemeinsam mit unserem Team das Markgebiet zu beackern bzw. zu erweitern, und zwar auch über Shanghai hinaus.“ Derzeit sind 18 Personen bei HOPPE in Shanghai beschäftigt. Neben Thomas Waldner als Projektleiter stehen auch mehrere Verkäufer im Einsatz sowie Mitarbeiter im Lager, in der Verwaltung und in der Finanzabteilung. In Shanghai vertreibt HOPPE ihre gesamte Produktpalette an Türbeschlägen und Fenstergriffen. Die Produkte werden zumeist in Hamburg auf Schiffe verladen und kommen nach ca. zwei Monaten in China an. Laut Thomas ist es manchmal nicht leicht, mit den Chinesen Geschäfte zu machen.
Verrückt nach
Produkten aus Europa
Andererseits seien sie geradezu verrückt nach Qualitätsprodukten aus Europa. Auf die Frage, wie er die „Durchschnitts-Chinesen“ charakterisieren würde, meinte Thomas: „Die Chinesen sind im Allgemeinen sehr materialistisch eingestellt. Viele legen großen Wert darauf, ein schönes Auto zu haben, eine Flachbildfernseher, Markenkleider, teure Uhren oder andere Produkte aus Europa.“ Selbst in Provinzen, die weit von Shanghai entfernt liegen, habe er das oft beobachtet: „Vor der Tür steht ein Audi A6 und drinnen sieht man einen großen Flachbildfernseher, sonst aber gleicht das Haus eher einem Unterschlupf, wie man ihn hier bei uns eher für die Unterbringung von Hühnern errichtet.“ Apropos Wohnen: Wie wohnt man in einer Großstadt, deren Einwohnerzahl sich zusammen mit den umliegenden Gebieten auf geschätzte 23 Millionen beläuft? Thomas: „Es gibt Stadtviertel, in denen die Wohnungen zum Teil nur ca. 10 Quadratmeter groß sind, die aber ‚goldene Viertel’ genannt werden, denn diese Grundstücke haben einen sehr großen Wert und werden zu horrenden Preisen verkauft. Daneben stehen oft Hochhäuser mit Wohnungen von ca. 80 bis 100 Quadratmeter, was durchaus normal für Shanghai ist.“
Schattenseite Korruption
Was ist die größte Schattenseite von Shanghai? Thomas: „Das ist sicher die Korruption. Sie ist allgegenwärtig, nicht nur in Shanghai, sondern in ganz China. Vieles läuft über Beziehungen oder unter der Hand.“ Die Kriminalität hingegen halte sich in Grenzen: „Man kann auch um 4 Uhr in der Früh sicher durch jede Straße oder Gasse gehen.“ Und was isst ein Malser, wenn er weder Speck, noch Knödel, noch „Schneamilch“ bekommt? Thomas. „Ich hätte es zu Beginn fast für unmöglich gehalten, aber mittlerweile schmeckt mir so ziemlich alles, was auch die Chinesen essen. Das kann auch ein Hühnerfuß sein oder ein Stück einer Schlange.“ Auch Hunde? „Nein, das nicht. Dass in einigen südlichen Provinzen von China Hundefleisch gegessen wird, gefällt selbst den meisten Chinesen nicht. Jedenfalls nicht, wenn Hunde geschlachtet werden, die vorab als Hausstiere gehalten wurden. Leider kommt es auch vor, dass streunende Hunde gezielt zum Schlachten und Verzehren eingesammelt werden.“ Vor wenigen Wochen stürzten die Aktien an der Börse in China stark ein. Es war sogar die Rede davon, dass die Aktienblase platzen könnte.
Aktien werden
verkauft wie Rubbellose
Thomas: „In China ist es so, dass jeder Aktien kauft. Der Rentner ebenso wie der Student. Aktien werden in China oft so abgesetzt wie bei uns Rubbellose. Natürlich war der Einsturz der Aktien ein viel diskutiertes Thema. Von den Problemen, wie sie zum Beispiel Griechenland bzw. auch die EU haben, spricht in China keiner.“ Kann es früher oder später nicht tatsächlich zu einem großen Crash kommen? Thomas: „Chinas Wirtschaftswachstum lag früher im zweistelligen Prozentbereich und ist jetzt zwar auf ca. 7% gesunken, aber das ist immer noch ein starker Wachstum.“ Es werde nach wie vor viel investiert, besonders auch in Shanghai. Diese Stadt hat sich vor allem als Standort für die Entwicklung von Elektroniktechnologien profiliert und ist der Sitz vieler internationaler finanzieller Institutionen. Allerdings liegt Shanghai auf der Skala der am meisten von Luftverschmutzung betroffenen Städte der Welt ziemlich weit vorne. „Von einer sauberen Luft wie hier bei uns kann man in Shanghai nur träumen“, räumt Thomas ein. Er habe nicht im Sinn, für immer in China zu bleiben. Seine Entscheidung, für ein paar Jahre „auszureißen“, habe er allerdings nie bereut.
„Solche Erfahrungen
sind sehr nützlich“
Im Gegenteil: „Ich rate allen jungen Menschen, in die Welt hinaus zu gehen. Das bringt die Leute extrem weiter. Beruflich, privat und natürlich auch sprachlich.“ Bestimmte Veränderungen muss man allerdings in Kauf nehmen. So zum Beispiel auch Dinge, die einem zunächst gar nicht einfallen. Wenn Europäer zum Beispiel um 18 Uhr anrufen und Thomas verlangen, zeigt dessen Uhr in China bereits Mitternacht an. Das Heimweh plagt den Malser übrigens nicht. Trotzdem freut es ihn sehr, wenn er sich manchmal mit anderen Südtiroler Heimatfernen in Shanghai zu einem Grillfest treffen kann. Sepp

Josef Laner