Endlich leben wie eine Familie!
Eine junge, kurdische Familie wurde nicht nur Opfer eines erbitterten Krieges im Irak, sondern auch der Corona-Krise. Eine Geschichte einer gelungenen Integration.
Schlanders - Menschen, die als Saisonarbeiter im Gastgewerbe arbeiten, sind von der Corona- Pandemie besonders hart betroffen. So auch die 26-jährige Dunya qadir und ihr 37-jähriger Ehemann Rebwar karim awla. Die Eltern von drei kleinen Kindern haben in Beherbergungsbetrieben im Gemeindegebiet von Schlanders gearbeitet und sind seit Monaten schon ohne Beschäftigung und ohne Lohn. Und doch war das letzte Jahr ihr bestes seit vielen Jahren der Flucht, der Entbehrungen und der Not. Endlich haben die beiden jungen Menschen aus Kurdistan mit ihren Kindern in Schlanders eine Bleibe gefunden. „Das erste Mal haben wir als Familie ein eigenes Dach über dem Kopf!“, freut sich Dunya, die mir in einem schönen Hochdeutsch ihre bewegte Lebensgeschichte erzählt. „Ich bin in Arwil in Kurdistan im Irak geboren und als ich drei Monate alt war, sind meine Eltern mit der Familie in einem Boot nach Europa geflüchtet. Mein Vater ist ein militärischer General bei den Streitkräften der Autonomen Region Kurdistan, und während des Irakkrieges musste er fliehen, sonst hätte ihn der IS getötet. Wir lebten fünf Jahre in einem Camp in Deutschland bevor wir in Sachsen-Anhalt eine Bleibe fanden. Dort konnte ich mit meinen Geschwistern die Schule besuchen. Als sich die Situation in meiner Heimat etwas besserte, wollten meine Eltern wieder nach Kurdistan zurück. Das war für mich ein Kulturschock! Ich durfte nicht mehr raus, hatte keine Freiheiten mehr, keine Schule, nichts! Ich wollte so nicht leben. Irgendwann haben Rebwar und ich uns in seinem Stoffgeschäft gesehen und bald darauf wollten meine Eltern uns verheiraten.“ Auch Rebwar hatte mit 19 Jahren seine Heimat als Flüchtling verlassen und sieben Jahre in Europa verbracht, wo er auch Deutsch lernte. Zurück in der Heimat hatte er überhaupt keine Freiheiten, seine Familie kontrollierte jeden seiner Schritte und sie war auch nicht sehr glücklich über die Heirat mit Dunya. „Sie wollten uns auseinanderbringen, denn ich war in ihren Augen keine folgsame Schwiegertochter“, erinnert sich Dunya. „Wenn du bei uns nicht tust, wie die Familie will, dann bist du tot! Oder du gehörst nicht mehr zur Familie, weil du ihre Ehre verletzt hast“, erzählt Rebwar. Inzwischen sind Rebwars Vater und ein Cousin an Corona gestorben.
Erneute Flucht nach Europa
„Von 2013 bis 2017 war wieder Krieg bei uns und ich kämpfte mit den Peschmergas, um die Grenze vor dem IS zu verteidigen. Das Leben für die Familie war sehr hart. So beschlossen wir 2016, mit unseren drei kleinen Kindern wieder nach Europa zu fliehen. Wir verkauften unsere Wohnung für 40.000 Dollar und bezahlten 35.000 für unsere Flucht. In der Türkei wurden wir in einem Boot zusammengepfercht mit 120 Menschen in sieben Tagen bis vor Kalabrien gebracht. Wir hatten Angst vor den Stürmen, Hunger und Durst. Am letzten Tag haben wir in unserer Verzweiflung die italienische Polizei angerufen, die hat uns dann gerettet. Wir wurden nach Bozen in ein Camp gebracht, wo wir mit 140 Menschen gemeinsam in einer großen Halle ein Jahr lang lebten,“ erzählt Rebwar. „Nur Gardinen haben uns von den anderen getrennt. Man hörte immer Brüllen und Schreien, unsere Kinder konnten nicht schlafen“, erzählt Dunya. „ In der Nacht kamen oft die Carabinieri, um Streit zu schlichten. Unser Sohn erkrankte schwer und musste ins Krankenhaus. Einer Ärztin dort haben wir viel zu verdanken: sie hat uns sogar einmal dort duschen lassen, weil in dem Camp für 140 Menschen nur zwei Bäder waren. Diese Ärztin hat dafür gesorgt, dass wir ins Hotel Alpi kamen. Unter diesem ständigen Wechsel haben besonders die Kinder gelitten. Endlich kamen wir nach Schlanders in die Flüchtlingsunterkunft. Dort waren wir zwei Jahre und haben viele gute Menschen aus Schlanders kennengelernt, die uns sehr weitergeholfen haben. Wir konnten Kurse besuchen, die Kinder können ins Vinzenzheim zur Hausaufgabenhilfe, man hat uns bei der Arbeits- und Wohnungssuche geholfen.“ Dunya und Rebwar sind ein gutes Beispiel gelungener Integration. Vieles hat natürlich damit zu tun, dass sie unsere Sprache sehr gut beherrschen. Und mit ihrer jugendlichen Offenheit, mit der sie auf andere Menschen zugehen. „Seit zwei Jahren wohnen wir in einer eigenen Wohnung. Rebwar hat am Anfang viel Zeit und Arbeit in diese Wohnung hineingesteckt und sie sehr schön renoviert. Er ist sehr geschickt. Natürlich wird sie schon bald zu klein und wir müssen uns wieder auf die Suche machen. Aber seit wir vor 12 Jahren geheiratet haben, war das letzte Jahr das ruhigste und schönste, weil wir endlich wie eine Familie leben können,“ freut sich Dunya. Am meisten hoffen die jungen Eltern, dass sie bald wieder arbeiten können, denn die Pandemie hat inzwischen auch ihre Ersparnisse verschlungen.