Unter dem marmornen Blick von Ho Chi Minh und in Anwesenheit erblindeter und behinderter Kinder, der deutschen Botschafterin Anja Lerch, von Jürgen Eichhorn, dessen Frau, des italienischen Botschaftsvertreter Massimiliano Bertollo und der Heimleiterin (von links) durfte Paul Christanell (5. von rechts) die unvorstellbare Summe von 260 Millionen Vietnamesische Don (gut 80.000 Euro) überreichen.

Er ließ den „Stern von Vietnam“ heller strahlen

Publiziert in 9 / 2014 - Erschienen am 12. März 2014
Paul Christanell kam als Fleischexperte nach Vietnam und wurde zum Deutschlehrer, Entwicklungshelfer und Wohltäter. Naturns/Hai Duong - Der ­Naturnser Paul Christanell hat sein Herz im Norden Vietnams verloren. In mehrfacher Hinsicht. Als Fachberater wurde er vom „Senior Experten Service“ (SES) in die Provinzstadt Hai Duong - zwischen der Hauptstadt Hanoi und der Küstenstadt Hai Phong - geschickt. Er sollte dort seine Erfahrungen aus mehr als 40 Jahren Fleischverarbeitung an kleine Betriebe weitergeben. Paul war beeindruckt vom Ehrgeiz der ­Vietnamesen, überwältigt von ihrer Herzlichkeit und aufgewühlt vom verwirrenden Treiben in den Straßen. Der an überschaubare und kontrollierbare Verhältnisse gewohnte Europäer stand am Rande eines Kulturschocks. Dass es nicht dazu kam, schrieb Christanell der besonderen Mentalität und nicht zuletzt der herzlichen Offenheit dieser Menschen zu. Natürlich wurde dem Fleischexperten aus Europa auch von offizieller Seite der bestmögliche Übertritt in diese fremde Welt ermöglicht. Bevor Paul aber auf dem Markt von Hai Duong beobachtete, wie ein Händler geschlachtete Hunde am offenen Feuer enthaarte, oder die lächelnde Frau bestaunte, die gefangenen Fröschen mit der Schere den Kopf abschnitt, hatte er bereits 63 Jahre seines bewegten Lebens hinter sich. Er war 1945 als 8. der 12 Kinder des Metzgers, Wirtes und Bauern Franz Christanell und der Maria Santer vom Tisenhof in Schnals geboren. Widerstrebend, aber widerspruchslos fügte er sich dem Wunsch des Vaters, nach der Grundschule in Naturns, der italienischen Mittelschule in Rovereto, der kaufmännischen Vorbildung in Meran die Berufsschule für Fleischer in Bozen zu besuchen und in den elterlichen Betrieb einzutreten. Es folgten harte, aber an Erfahrung reiche „Schlengeljahre“, in denen Paul Kurse für Zugposaune belegte, den Militärdienst in Bari ableistet und im bayerischen Landshut die Meisterprüfung im Fleischerhandwerk ablegte. Es scheint in seinem Charakter zu liegen, dass er seinen Horizont immer weit jenseits der Schlachtbank gesucht hatte. Was man einem Metzger kaum zutraut, zeichnete Paul Christanell ganz besonders aus, eine tiefgehende Sensibilität und großer Respekt vor jedem Lebewesen. Daraus entstand auch der brennende Wunsch, sich fortzubilden, besser zu werden als viele seiner, im wahrsten Sinne des Wortes „grobschlächtigen“ Lehrmeister. 1977 übte Paul gleich drei Beruf aus: Er war Metzgermeister, wurde Berufsschullehrer in Meran, Bozen und Brixen und war dazu technischer Leiter des Speckbetriebs „Gebrüder Christanell GmbH“. Es war die logische Fortsetzung seines persönlichen Reifeprozesses, dass er sich zum Qualitätsprüfer der „Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft“ (DLG) ausbilden ließ und wenige Jahre später in die Südtiroler Speckkommission berufen wurde. Es folgten Erfahrungen als Betriebsleiter in verschiedenen Firmen, als Bewerter von Fleischerzeugnissen in Deutschland, als Fachlehrer in Landwirtschaftlichen Schulen und als Firmengründer der „Dry-Delikatesse“, des ersten Südtiroler Trockensprecks. Er wurde Mitglied im Komitee „Südtiroler Speck geschützte geographische Angabe“ (ggA), als „Meister der Arbeit“ geehrt und begann eine ausgedehnte Prüfertätigkeit. „Es war meine persönliche Pauli Bekehr“, meinte er scherzend und erinnerte an die Begegnung des heidnischen Saulus mit Christus bei Damaskus. Dem erfahrenen Fleischexperten war nicht entgangen, dass viele Kriterien in der Speckproduktion nicht immer eingehalten wurden. Es war die Wende im Leben des Paul Christanell, dass er als Fleischprüfer der Verbraucherzentrale die mächtige Specklobby in Südtirol mehr als nur in Verlegenheit brachte. Seither hatte Paul Christanell auf jeder seiner Reisen in den fernen Osten irgendwann ein „Damaskus-Erlebnis“. Das einschneidendste war wohl der Besuch in einem Behindertenheim in Hai Duong. Beim „Fest der Deutsch-Vietnamesischen-Freundschaft“ im September 2008 hatte ihn der in Vietnam verheiratete Motorradrennfahrer Jürgen Eichhorn darauf aufmerksam gemacht. Es habe ihm das Herz zusammengekrampft, als er die Opfer des Entlaubungsmittel „Agent Orange“ sah. „Es herrschten unbeschreibliche Zustände“, erzählte Christanell. „Die tägliche Reisration musste den erblindeten oder schrecklich verstümmelten Kindern in die Hand gedrückt werden, weil Teller und Besteck fehlten. Die Folgen des Vietnam-Krieges werden noch über Generationen für Leid und Elend sorgen.“ Für Paul war klar: Es musste geholfen werden. Seine Bittsteller-Aktionen bei prominenten Südtirolern fielen unterschiedlich aus. Es gelang ihm aber, Vertreter des Missionsamtes, darunter den Styler Missionar Pater Sepp Hollweck, die Vor­sitzende der Sternsinger Lisa Huber und den Filmemacher Wolfgang Penn nach Vietnam zu bringen. Den Sternsingern ist es zu danken, dass in letzter Minute ein Blindenheim vor dem Einsturz bewahrt wurde. Paul Christanell wurde zum Südtiroler Botschafter des sozialen Hilfswerkes „Stars of Vietnam“, Sterne von Vietnam, ernannt. Günther Schöpf
Günther Schöpf
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