Erstaunen, Entsetzen, Hoffnung
Unterschiedlicher könnten sie nicht sein: Lara Domeneghetti, Nadja Senoner und Esther Stocker. Eine kleine Reise von Schlanders über Eidsvoll (Norwegen) nach Wien gibt Fragmente ihrer persönlichen Coronawelten preis.
Schlanders/Eidsvoll/Wien - Corona trifft nicht alle gleich. Auch nicht Kunst- und Kulturschaffende. Trotz der großen Belastung durch Corona mussten diese sich bereits in Vor-Corona-
zeiten auf wacklige Jahre der finanziellen Ungewissheit einstellen. Glück spielte auch vor der Pandemie eine Rolle: Jenes Glück, mit der Kunst das Leben zu bestreiten – oder zumindest ein zweites stabiles Standbein zu haben, das die Möglichkeit bietet, ihr nachgehen zu können. Für viele Kulturschaffende - wie für etliche andere Freiberufler - ist es gang und gäbe, unterbezahlte, unsichere Nebenjobs anzunehmen, um dem nachzugehen, was sie wirklich können. Dass die Pandemie in diesen Fällen nicht Ursache, sondern Beschleuniger ist, ist deutlich zu sehen. Trotzdem haben wir dort nachgefragt, wo die finanzielle Sicherheit nicht das Hauptthema ist – da das Spektrum der Herausforderungen in Zeiten von Corona weit darüber hinausgeht.
Esther Stocker, Malerin und Installationskünstlerin
Sie zählt zu den Top-100 Künstler/innen in Italien und ist mit Malereien von Gittergebilden in Schwarz-Weiß und jenen Installationen, die immer auch Raummanipulationen sind, bekannt geworden: Esther Stocker, 46 Jahre alt, aufgewachsen in Laatsch. 2016 gestaltete sie den Tsunemaya-Bahnhof in Tamano-Stadt für die Setouchi Triennale in Japan, 2018 fertigte sie mit der Fassade des Museums gegenstandsfreier Kunst (Ottendorf/D) eine Museumsansicht, die das ansonsten übliche Schwarz durch Grau ersetzt. Im vergangenen Jahr stellte sie eine Arbeit für China fertig: das „Square Universe“ an der Nordseite des Huangpu, im Rahmen der Shanghai Urban Space Art Season. Die erste Coronawelle im Frühjahr 2020, schreibt die Künstlerin aus Wien, erlebte sie vor allem „mit Erstaunen und Entsetzen. Isolation und das Einschränken der persönlichen Freiheiten sind keine schönen Erlebnisse. Gleichzeitig habe ich Respekt vor dieser Situation und fühle mich der Gemeinschaft verpflichtet. Beängstigend finde ich vor allem die Rückschritte für die Frauen, sie machen mich betroffen und außerordentlich wütend“. Wie vorher schon arbeite sie einfach weiter, denn für Künstler/innen „sind Ausfälle und Unregelmäßigkeiten generell nichts Neues, auch wenn sie üblicherweise nicht in Form eines Pandemie-Geschehens einhergehen.“ Trotz Lockdown und veränderten Arbeitsbedingungen konnte sie an internationalen Projekten weiterarbeiten: „Ich habe auch einige Ausstellungen und Projekte aus der Ferne fertiggestellt –
eine Notlösung. Gleichzeitig ist es wichtig, dass es diesen Austausch gibt, dass Kunstereignisse stattfinden.“ Und, fügt sie hinzu, es sei ebenso wichtig, dass diese ohne Ländergrenzen stattfänden, da die Sprache der Kunst universell sei. „Meine Projekte wurden verschoben, abgesagt –
und erstaunlicherweise auch durchgeführt. Mitten in der kulturellen Wüste finden unglaublich engagierte Ereignisse statt. Die Menschen hungern nach echten Erlebnissen. Vielleicht ist dieser Hunger ganz gut. Alle Menschen wollen Erfahrungen machen, sich verwirklichen oder Erlebnisse teilen. Die Kunst ist auf Austausch angewiesen.“ Generell sei es immer ratsam, die Angst vor dem Neuen abzulegen; das, so Esther Stocker, gelte auch für die Kunst: „Angst vor neuer Kunst bringt eine Gesellschaft nicht voran. Ich hoffe sehr, dass in sehr neue, sehr gegenwärtige und herausfordernde Kunst investiert werden wird“. Die Künstlerin schwankt zwischen Zukunftsoptimismus und der Erkenntnis, dass nicht nur die derzeitige Situation fragil ist, sondern der Mensch generell die Gabe des Verdrängens und Vergessens besitzt. „Ob wirklich daraus gelernt werden kann? Ich weiß es nicht. Besonders lernfähig scheinen die Menschen nicht zu sein.“
Lara Domeneghetti, Holzschnitzerin & Künstlerin
Die 27-jährige Praderin war in den letzten Jahren viel unterwegs: Nach Studienjahren im Vereinigten Königreich war sie während der ersten Coronawelle in Südschweden. Seit Mai arbeitet sie in Vollzeit als Holzschnitzerin bei der Restaurations- und Holzbaufirma Marius Holje in Norwegen. Im schwedischen Skåne, bekannt für seine feinen Sandstrände und Schauplatz etlicher Romane von Henning Mankell, arbeitete Lara Domeneghetti während der ersten Coronawelle an einem abgelegenen und naturnahen Ort: „Ich habe dort an einem Auftrag gearbeitet, der mich während der Zeit des Lockdowns in Italien beschäftigt gehalten hat. Bei dem Auftrag handelte es sich um eine Rekonstruktion einer Madonnenfigur mit Baldachin aus dem 13. Jahrhundert, die vor Ort angefertigt werden sollte. Ich konnte trotz der hohen Anzahl der Fälle in Schweden bis Juni Aufträge entgegennehmen, die es mir erlaubten, meine künstlerische Aktivität weiterhin aufrecht zu erhalten“. In Norwegen habe sich seit dem Sommer nicht allzuviel verändert, schreibt sie. Das Arbeitsteam sei projektbedingt auf verschiedene Standorte verstreut: „Das macht es möglich, alleine oder maximal zu zweit unterwegs zu sein“. Während der Arbeitsmarkt in Norwegen generell sehr von den Corona-Auswirkungen betroffen sei, würden spezialisierte Arbeitsbereiche wie die Restauration großzügig vom Norwegischen Kulturdenkmalschutz unterstützt: „In Norwegen gibt es nur eine Handvoll aktive und professionelle Holzschnitzer und ich schätze es sehr, diese Stelle erhalten zu haben“. Glücklich schätzt sie sich auch, weil sie das ganze Jahr über beschäftigt war – und nicht zu sehr unter der ersten Welle gelitten habe. Schwer hingegen sei es gewesen, „über die Entfernung Familienmitgliedern und Freunden nahe zu sein, die es in dieser Zeit nicht so leicht hatten“. Auch im Moment der derzeitgen Coronawelle „holt mich zeitweise die Unruhe ein, die mich seit Anfang des Jahres beschäftigt. Es handelt sich vorwiegend um die Sorge um Familienmitglieder und Freunde, die sich verstreut in Europa und Asien befinden“. Trotz des Zuwachses an positiven Fällen in Norwegen (seit Mitte November steigende Fallzahlen und stärkere Restriktionen des öffentlichen Lebens und des Wirtschaftens im Vergleich zum Frühjahr 2020; Anm. d. Red.) sei die Regierung zuversichtlich, schreibt Lara Domeneghetti aus Eidsvoll in Südostnorwegen. Die Nähe zur Natur „und mein kreatives Schaffen erlauben es mir, mich zu entspannen und zu erden“.
Nadja Senoner, Lehrerin und Obfrau Juvi Vinschgau
Von Anfang an ambitioniert und partizipativ; das Jugendtheater Vinschgau. Theater- und Musicalproduktionen, Bildungsreisen, Fortbildungen in den verschiedensten Sparten, all das und mehr war im Mai bei der Gründung des Juvi geplant. Eine Horizonterweiterung mit Spaßfaktor, Jugendliche, die in Entscheidungen auf der Bühne und der Verwaltung miteinbezogen sind. Mitbegründerin ist auch Obfrau Nadja Senoner, zehn Jahre lang war sie Obfrau des Theatervereins Schlanders. Dort habe sie gemeinsam mit Daniel Trafoier, dem heutigen künstlerischen Leiter des Juvi, bereits damals tolle Projekte gestemmt: „Er hat große Vorarbeit für das Entstehen des Jugendtheaters geleistet“. Doch dann kam Corona. Während der Proben für das Musical „Barfuß im Regen“ – geplante Premiere im Mai – sei Corona immer präsent gewesen: „Auch wenn wir jetzt einen Monat lang nicht proben können – wir schaffen das“, erklärt die Schlanderserin. „Wir hätten falscher nicht liegen können. Mit der Erkenntnis der Situation wurde die Anspannung größer und schließlich … die Enttäuschung: die Aufführungen konnten nicht stattfinden“. Neue Hoffnung keimte auf, als sie im August entschieden, den bereits geplanten Klassiker „Herr der Fliegen“ im Herbst aufzuführen: „Wir haben Ausschreibungen gemacht, eine Regisseurin engagiert und die Arbeit am Stück begonnen.“ Zwei Monate lang wurde geprobt, dann hieß es: „Das wird eng.“ Dann wieder Entwarnung. Also seien Bestellungen gemacht und Regelungen getroffen worden. Bis sie die bittere Nachricht erreichte: Das Aus für alle kulturellen Veranstaltungen. Rückblickend sieht Nadja, dass es der Mut der Verzweiflung gewesen sei, mit der dieser Termin angepeilt worden war. „Die Aufführungskosten wären höher als die Einnahmen gewesen, vor allem, wenn man die Ausfälle, bedingt durch die Corona-Maßnahmen, bedenkt. Zwischen Hoffnung, Anspannung, Nervosität und dem Warten auf ein Wunder gab es bei uns alles –
wir hoffen, den Klassiker ‚Herr der Fliegen’ noch aufführen zu können. Dem Ab und Auf folgte Ernüchterung und die erzwungene Akzeptanz. Neben der fehlenden Innigkeit, die bei Proben entsteht, gab es auch keine Aufführungen“. Unterstützung für die erste Aufführung leisteten die Gemeinde Schlanders und das Land: „Das war bitter nötig, weil private Sponsoren wegen der Krise wegfielen, also jene, die helfen, Spesen abzudecken“. Trotz etlicher Versuche, Mitarbeiter/innen zu motivieren, war „ein schrittweises Zurückziehen an der Tagesordnung. Viele hatten mit Home-Schooling zu kämpfen und mussten sich auf neue Lebensumstände einstellen“. Das Juvi macht weiter, mit kleinen Veranstaltungen, den Gegebenheiten angepasst. „Wir holen Atem“, berichtet Nadja Senoner, „Daniel Trafoier ist bereits am Entwickeln. Wir hoffen, dass alle für einen Neuanfang bereit sind – und dass es bald wieder heißt: Bühne frei.“