Fit, nicht fett
Kuh-Kenner Martin Ott zu Gast an der Fürstenburg. „Kühe haben auch ein soziales Leben.“
Burgeis - „Legen Sie sich doch einmal selbst in die Liegebox einer Kuh und atmen Sie dieselbe Luft ein wie die Kuh. Erst dann werden Sie verstehen, ob die Luft gut oder schlecht ist.“ Mit dieser Anregung wartete Martin Ott am 30. November bei einem Informationsabend in der Fachschule für Land- und Forstwirtschaft Fürstenburg zum Thema „Die Kuh - Hochleistungssportler oder gemütlicher Wiederkäuer?“ auf. Martin Ott, der von der Fachlehrerin Elisabeth Haid willkommen geheißen wurde, weiß, wovon er spricht. Er war viele Jahre lang Betriebsleiter auf Gut Rheinau in der Schweiz und kennt die Herausforderungen, vor denen Bauern und Bäuerinnen stehen, aus eigener Erfahrung. Vor 8 Jahren schrieb er das Buch „Kühe verstehen - eine neue Partnerschaft beginnt“ und wurde damit weitum bekannt. In diesem Buch hat Martin Ott seine Beobachtungen, Erfahrungen und Gedanken über die Kuh festgehalten. Eine gute Luft ist für die Kühe besonders wichtig, denn ihre normale Körpertemperatur liegt zwischen 38,3 und 38,5° C. Ott: „Eine Kuh leidet im Verhältnis zum Menschen viel mehr unter schlechter Luft. Die Kuh hat ein Wärmeproblem, nicht ein Kälteproblem. 20 Grad minus sind besser als 30 Grad plus.“
Die 6 „Freiheiten“ der Kuh
Um „glücklich“ zu sein, braucht die Kuh zusätzlich zur guten Luft noch 5 weitere „Freiheiten“: Fressen, Trinken, Ruhe, Bewegung und Licht. „Eine Kuh verbringt in der Regel 8 Stunden am Tag mit Fressen und 8 Stunden mit Wiederkauen.“ Die Ruhe und das Liegen – „eine Stunde liegen ist ein Liter Milch mehr“ - sind ebenso wichtig wie Bewegung. Zusätzlich zu den 6 „Freiheiten“, die alle Lebewesen brauchen, sind laut dem Kuh-Kenner noch weitere Aspekte zu berücksichtigen, die mit artgerechter Tierhaltung zu tun haben, etwa das Sozialleben der Kühe. So gebe es innerhalb einer Milchviehherde einzelne Sippen. „Es gibt auch Freundschaften unter Kühen“, gab sich Ott überzeugt. Er unterteilte die Kühe in 6 Klassen. Das Problem seien nicht die „Königinnen“ und „Vizeköniginnen“ und auch nicht die „glücklichen Hinteren“ und „Hinteren“, sondern die „panischen“ Kühe, die sozial unter Druck stehen und die ganze Herde in Aufregung bringen. Am Wertvollsten seien die „stillen Kühe“. Auch das Verhalten des Melkers, „der alle Fäden in der Hand hat und in den alle Kühe verliebt sind“, hat Einfluss auf die Kühe.
Von „panischen“ und „stillen“ Kühen
Lautes Schreien oder aggressives Verhalten seien im Stall fehl am Platz. Auch auf den Themenkreis Sexualität, Fruchtbarkeit und Kuh-Kalb-Beziehung ging Ott ein. Eine muttergebundene Kälberaufzucht hält er für wichtig, „weil die Kuh dem Kalb über die Milch die Welt erklärt.“ Spürt die Kuh, dass mit dem Kalb etwas nicht stimmt, produziert sie sofort ein Gegen- bzw. Heilmittel, das dem Kalb über die Milch zugeführt wird. Ott ist zudem überzeugt, dass Rinder auch Sex aus Freude machen. In punkto Ernährung der Kühe sei darauf zu achten, dass ihnen nicht ständig derselbe „Teller“ vorgesetzt wird, sondern dass sie eine Auswahl haben. „Besonders wichtig ist Raufutter, denn das gibt Struktur. Mindestens ein knappes Viertel des Raufutters sollte länger sein als 20 Zentimeter.“ Auch Kühe haben Geschmackserlebnisse. „Eine Kuh muss fit sein, nicht fett. Bei einer Laktation geht sie auf die ‚Tour de France’“, so der Kuh-Kenner.
Spitzenleistungen auch ohne Kraftfutter
Dass Kühe auch ohne Kraftfutter zu hohen Leistungen fähig sind, belegte Ott mit Beispielen aus eigener Erfahrung: „Meine beste Kuh gab 9.335 Liter Milch im Jahr, ohne auch nur ein Gramm Kraftfutter. Der Stalldurchschnitt belief sich auf 6.500 Liter, immer ohne Kraftfutter.“ Die Milch ist nach Ansicht von Ott ein Zusatzgeschenk der Kuh. Ist eine Kuh „glücklich“ und wird sie artgerecht gehalten, fehlt nur die Wesensgerechtigkeit. Ott: „Die Kuh scheißt und frisst und der Boden wird besser. Das ist bei keinem anderen Tier der Fall.“ Bei der Diskussion wurden u.a. die Aspekte der Züchtung, Mutterkuhhaltung und Fütterung vertieft. Abschließend griff Martin Ott, seines Zeichens auch Liedermacher, zur Gitarre und sang sein „Liebeslied an die Kühe“.
